Dry January – Pro und Contra
Pro – Marion Swoboda
Jahrelang habe ich mir das zur Gewohnheit gemacht: vier bis sechs Wochen ohne Alkohol, vorzugsweise zu Beginn des Jahres nach der oft ausufernden Festtagszeit. Am Anfang tauchen die üblichen Gedanken auf: „Dann ist der Spaß vorbei. Ich nehme mir selbst etwas weg. Es wird eine Qual!“ Doch genau diese Gedanken lassen mich aufhorchen: „Eine Qual?“ Bin ich vielleicht dem Alkohol mehr zugetan, als mir bewusst ist? Diese Überlegung motiviert mich – ich will beweisen, dass ich auch ohne Champagner & Co eine angenehme und lustige Gesellschaft bin. Also auf zum „Reset“, um mir klarer zu werden, wann für mich genug wirklich genug ist.
Als leidenschaftliche Weinliebhaberin, die privat und beruflich oft in die Welt der Reben eintaucht, habe ich das Privileg, großartige Gewächse zu verkosten. Wein mit all seinen Facetten, vom Terroir über die Geschichte bis hin zu den verschiedenen Philosophien dahinter, fasziniert mich. Und ich genieße es, mich in geselliger Runde weiterzubilden – und dabei natürlich auch zu trinken. Mit der Zeit steigt jedoch die Toleranz, man gewöhnt sich daran, ohne es bewusst wahrzunehmen. Deshalb geht es mir beim Dry January darum, diese Gewohnheiten zu durchbrechen und einen bewussten Neuanfang zu schaffen.
Wenn es dann so weit ist, merke ich, dass der Verzicht meist einfacher ist als gedacht. Gute Gesellschaft ist ohnehin das Wichtigste, und inzwischen gibt es auch hervorragende alkoholfreie Biere, die mehr Geschmack ins Glas bringen als nur Wasser oder Tee. Die positiven Nebeneffekte wie besserer Schlaf, mehr Energie tagsüber und ein allgemeines Wohlbefinden sind so überzeugend, dass ich meine Abstinenz oft über die geplanten Wochen hinaus verlängere – bis ein besonderer Anlass, wie etwa eine Hochzeit, ansteht. Aber auch ohne Anlass merke ich, dass die Lust auf Prozente dann erstaunlich gering ist. Natürlich ändert sich das nach ein paar Gläsern wieder.
Nach solchen Pausen gehe ich bewusster mit Alkohol um – genau das ist mein Ziel. Ich gönne meiner Leber eine Pause und erlebe, dass das Leben auch ohne den Treibstoff schön ist. Trotzdem möchte ich nicht vollständig darauf verzichten, denn die Welt des Weins ist einfach zu spannend. Die verschiedenen Länder, Philosophien, Winzer und das Terroir – der Zauber lässt sich nicht in Worte fassen, man muss ihn einfach verkosten. Um diese Freude mein Leben lang genießen zu können, ist ein ausgewogenes Maß nötig. So bleibe ich gesund und munter – und der Dry January unterstützt mich dabei.
Contra – Hendrik Thoma
Dry January – das hört sich an wie eine Entzugskur in der Betty-Ford-Klinik, zumindest wie eine Entschuldigung. Das neue Jahr beginnt mit einem schlechten Gewissen. In einer Zeit, in der alles Schwarz und Weiß polarisiert, ergibt das eine schöne Headline. Ich gebe zu: Ich habe es probiert und bin davon geheilt. Ich bin raus.
Wer den Wein oder bösen Alkohol nur im Januar ausfallen lässt, für den ist der Zug bereits am Rollen und die Verwandlung vom Genuss- zum Wirkungstrinker in weiten Teilen schon vollzogen. Als wenn es eine Entschuldigung braucht, sich durch eine vierwöchige Abstinenz einen Frei- fahrtschein für elf Monate hemmungslosen Alk-Intake zu ermöglichen!
Ich finde, es nützt auch nichts, noch einen Dry February oder sogar March dranzuhängen. Da finde ich die Formel, die mir einstmals ein Internist mit auf den Weg gegeben hat, sinnvoller: „Wenn man es schon richtig machen will, dann konsequent: einen Monat im Jahr, eine Woche im Monat, einen Tag pro Woche auf alkoholische Getränke verzichten.“ Das hört sich zumindest ausgewogen an.
Je mehr ich über den Dry January nachdenke, umso eher komme ich zu der Auffassung, dass es keine allgemeingültige Formel gibt. Zu unterschiedlich sind die Menschen und ihr Metabolismus. Das von einigen puritanischen Wissenschaftlern der WHO geforderte „Zero Alcohol“ wird uns in die Prohibitionszeiten katapultieren. Jegliche Verbotskultur fordert die Menschheit nur heraus. Von 1920 bis 1933 wurde in den USA illegal gebrannter schlimmster Fusel in rauen Mengen ausgeschenkt, mit grausigen Folgen für die Betroffenen.
Ich plädiere für einen ausgewogenen Lebensstil, einen moderaten und zwar ganzjährig. Das schließt Verzicht mit ein, aber grenzt regelmäßigen Weinkon- sum nicht aus. Ich trenne an dieser Stelle den Wein bewusst von den schweren Geschützen aka Spirituosen, die für mich in einer anderen Liga spielen. Sie lassen sich nur schwer dosieren, und vor ihnen habe ich großen Respekt.
Die Unkontrolliertheit beginnt damit, sich direkt nach dem Bürotag oder zu sonstigen Anlässen den Stoff ungefiltert in die Blutbahn zu verabreichen. Wein wird zum Essen getrunken, am besten in guter Gesellschaft. Es ist ein soziales Getränk, über dessen Eigenschaften man spricht. Es erfordert Disziplin, ihn zu genießen und bewusst wahrzunehmen. Nur so empfinde ich einen Lustgewinn.
Während ich diese Zeilen schreibe, bin ich in Portugal. Mittags zum Essen ein Glas, am Abend zwei bis drei Gläser je nach Wochentag und danach: nichts mehr. In Deutschland geht es nach dem Essen häufig erst richtig los. Bei meinen Freunden im Mittelmeerraum sind Essen und Wein unzertrennlich. Das fühlt sich anders und bewusster an.
Warum muss alles so Schwarz und Weiß sein in diesen Zeiten? Wein ist ein Genussmittel, er ist wie Salz und Pfeffer und kann, richtig genossen, eine wohltuende Entspannung entfalten