Food im Wandel der Zeit

Food im Wandel der Zeit

Seit Gründung des Feinschmeckers prägte Food-Fotografie das Magazin. Eine optische Zeitreise auf den Tellern in 50 Jahren.
Datum25.03.2025

In seinen Anfängen - die erste Ausgabe erschien im September 1975 - wurde der Feinschmecker kurzgehal-ten: Wenige Farbfotos, bescheidene Illustrationen in SchwarzWeiß und viel „Bleiwüste" (Text) auf eher tristem Papier. Mehr war im Budget nicht drin - die skeptischen Verlagskaufleute prophezeiten dem Verleger Kurt Ganske einen frühen Hungertod des neuen Magazins „spätestens in einem Jahr". Der überwiegend recht biederen und frugalen Anmutung der frühen Ausgaben begegnete die Redaktion mit dosierter Opulenz - dann mit voller Kelle: Auch 30 Jahre nach dem Krieg wollte man für die damals noch kleine Zielgruppe im kulinarisch kaum entwickelten Deutschland auffahren, Motto „wie bei Fürstens". Höchste Zeit für ein neues Genre im Journalismus: Food-Fotografie.

70er: Bilder erzählen Geschichten

Damit es auch der Letzte versteht: Zu einer zärtlichen Soirée à deux gehören Seafood (aphro-disierend!) und schwarze Oh-là-là-Spitze (lasziv!), der Nau-tilus symbolisiert Harmonie und Beständigkeit (ein Glück!). Wer Tournedos Rossini unwi-derstehlich findet, darf sich auf Augenhöhe mit dem verfressenen Komponisten Gioachino Rossini fühlen. 

1979: Fürs „zärtliche Menü zu zweit“ darf schwarze Spitze nicht fehlen: Jakobsmuscheln und Schnittlauchcreme.
1981: Rinderfilet, darauf Gänsestopfleber und Trüffel: Tournedos Rossini, hier zubereitet von Harald Wohlfahrt, Traube Tonbach.

80er: Reinhart Wolf: Ein kühner Lichterkünstler

REINHART WOLF (1930-1988), in Berlin geboren, studierte u.a. Kunstgeschichte und besuchte Münchens Schule für Foto-grafie. In den 1980ern machte Wolf Furore mit Werbefotografie, die er zu ungeahntem Chic führte. Horst-Dieter Ebert, vormals Feinschmecker-Chefredakteur, besuchte Wolf anlässlich eines Shootings für das Cover der Ausgabe 5/85 (gefüllter Lachs) in seinem Hamburger Studio: „Er tritt mir entgegen, als wolle er gerade auf eine Cocktailparty: im gedeckten Zweireiher, formell mit Krawatte und Kragen." Im Studio riesige Lichtwände, Beethoven aus Lautsprechern - und eine Großbildkamera des Formats 18 x 24, nur über eine Leiter erreichbar. „Sie hängt wie ein gewaltiges Geschütz zwei Meter über dem Teller für das Fotomodell, den Lachs*, staunte Ebert. „Wolf hat die Food-Fotografie aus den Niederungen der barocken Ausstattungs-schwelgerei herausgeführt und aus ihr eine Kunstgattung gemacht.*

1988: So hatte man drei Aale noch nie auf einer großen Doppelseite gesehen: Sich schlängelnd auf rosarotem Transparenz- Grund, darunter aalt sich ein geschuppter Gartenschlauch im Licht
Über eine Doppelseite schweben Josef Viehhausers sieben Petits Fours über die Milchstraße (Puderzucker!).

90er, frühe 2000er: Ferran Adrià – Magier der Molekularküche

Ende der 90er-Jahre beginnt in dem katalanischen Strandrestaurant das goldene Zeitalter von Paco-jet und Thermomix, von Ge-friertrockner und Rotations-verdampfer, Vakuumierer und Grammwaage. Wichtige Hilfsmittel für diese hochpräzise Küche der winzigen Wunder-sind Xanthan, Lecithin sowie Stickstoff fürs Schockgefrieren. Für viele der oft 30 „Gänge" einer solchen kulinarischen Revue reicht ein Löffel. Man serviert „Luft", „Esspapier" oder essbare „Folien", „Wolken", „Sphären" „Kaviar" aus Melone, Mimikry, wohin man schaut. Keine Küche des 20. Jahrhunderts hat derart polari-siert. Ferran Adrià stellte seine Koch-Kunst 2007 sogar auf der Documenta in Kassel vor.

2002: Ferran Adriàs berühmtes Yuzu-Eigelb, schockgefroren. Viele „Gänge“ seiner Menüs fanden in einem Löffel Platz. Foto: Günter Beer
Typisch Adrià: Mal Luft schnappen – hier aus Karotten und Mandarine.

2000er: „Wow“-Effekte in Zeiten von Social Media

Im neuen Jahrtausend beginnt in vielen Spitzenküchen eine Ära der Miniaturen und der Hochstapelei: Köche, Gastronomen, Food-Stylisten und auch Fotografen entdecken, wie instagrammable nie gesehene Tellerarrangements wirken. Moderne Wolkenkratzer-Metropolen mögen die Kosmopoliten unter den Baumeistern am Herd inspiriert haben. Und auch die Gäste riefen entzückt: „Ahhh!" und „Oooh!", wenn ihnen die Pracht vorgesetzt wurde. Mitunter hatte der Service nun minutenlang damit zu tun, am Tisch alle Elemente auf dem Teller zu erklären und zu erörtern. Derweil zückten nicht nur die Millenials ihre Handys fürs Foto. So kam bald der Begriff Food Porn auf. 

2005: Miniaturen wie Thunfisch mit Königskrabbe und Wasabi-Sorbet von Spitzenkoch Peter Goossens, der seinen ostflämischen „Hof van Cleve“ 2024 nach 30 Jahren verkauft hat.
Scheibchen von rohen Sardinenfilets. Der Neuro- loge und Koch (Autodidakt!) Miguel Sánchez Romera signierte seine Teller im L‘ Esguard bei Barcelona mit Paprikaschnipseln auf dem Rand.

2010er: Kochkunst überall

Die Kreativität der Spitzenköche und ihrer Patissiers hat seit der Ära von Ferran Adriàs „Mole- kularküche“ weltweit kräftig Fahrt aufgenommen – auch dank ihrer vielen technischen Möglichkeiten. In Restaurants, die mit edlem Design ausge- stattet sind, muss auch der Look des Essens mit viel Spek- takel mithalten können. Guter Geschmack allein reicht da schon lange nicht mehr – die Kreationen sollen selbst noch weit gereiste Gourmets ver- blüffen und sogleich in den so- zialen Medien ausgestellt und kommentiert werden. Die Sig- nature Dishes namhafter Kü- chenchefs haben nun rund um den Globus einen nicht zu un- terschätzenden Wiedererken- nungswert mit Zeitraffer-Ef- fekt. Das bringt im besten Fall animierte Gäste aus der ganzen Welt gezielt an ihre Tische – von Los Angeles bis Kopenhagen, von Bangkok bis San Sebastián, von Modena bis Bergisch Gladbach.

2013: „Oops, I dropped the lemon tart” von Massimo Bottura, „Osteria Francescana“, Modena. So wurde ein Missgeschick in der Küche – oops! – zur Dessert-Ikone des Restaurants.
2014: Der Brite Heston Blumenthal tischt im „The Fat Duck“ gern Historisches. auf. Die „Meat Fruit“ ist ein Parfait von der Hühnerleber in Mandarinengelee. Ein Gruß aus der Renaissance!
2019: Avantgarde im Baskenland – Die „Seide“ aus Tintenfisch sieht aus wie ein Halstuch – Andoní Luis Aduriz vom „Muga- ritz” bei San Sebastián.
2020: Rasmus Munk vom „Alchemist“ in Kopenhagen zitiert Andy Warhols Werk von 1967: Bananen- saft für die Knusper- hülle, innen Gel aus Cachaça und Tonka- bohne.

Eine eigene Disziplin: New Nordic

Das „Noma“ war eine Gourmet-Option auch für Vegetarier und Veganer – und machte in seinen Anfängen Kopenhagen zur kulinarischen Hauptstadt der Welt. Die Idee: kompromissloser Fokus auf saisonale lokale Zutaten, ob gefischt, gejagt, geerntet oder in den Wäldern gesammelt. Krustentiere von den Färöer-Inseln etwa oder das Fleisch des Moschusochsen aus Grönland setzten Qualitätsmaßstäbe. Den optimalen Geschmack jedes Produkts herauszuarbeiten, sei es Muschel oder Möhre, war der Ehrgeiz dieser Küche mit eigenem Versuchslabor. Küchenchef René Redzepi und Kompagnon Claus Meyer gelten als „Erfinder“ der New Nordic Cuisine. Sie eröffneten das „Noma“ 2003 in Kopenhagen. Es wurde mehrfach zum weltbesten Restaurant gekürt und zog scharenweise Hospitanten aus aller Welt an. Das Restaurant (ab 2018 in Christianshavn) ist hyggelig ausgestattet mit viel Holz, getöpfertem Geschirr und duftender Grillstation.

Exzellenter Bissen: Eine Möhre, 170 Tage gewachsen, dann über Holzkohle gegart, im Berliner „Ernst“ (2017-2024) serviert von Dylan Watson-Brawn.
2022: Sellerieknolle, ein Jahr lang in der Salzkruste getrocknet: Sebastian Frank vom Berliner „Horváth“ reibt sie und würzt damit etwa jungen Sellerie!
2024: Der Stil des Noma ist sofort zu erkennen – Gekochte Languste im Ganzen mit Muschelsud.

Zum Abschluss noch etwas „Süßes“: Im Restaurant Sühring in Bangkok gibt es eine Referenz an die Süßwarenindustrie. Eneta ist Entenleber mit Aprikosengelee zwischen zwei knusprigen Waffeln - nicht süß, aber besser als das Vorbild.

2025: Scherzkekse aus Germany: Die Berliner Zwillinge Thomas und Mathias Sühring bieten deutsche Küche auf Top- niveau – in Bang- kok! Etwa Waffeln à la „Hanuta“ mit Entenleber.
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