Gastro-Trends 2024: Was Restaurants aus der Krise lernen

Gastro Trends 2024: Restaurants im Wandel

Wenn Tische frei bleiben, ist das nicht nur ein Zeichen für derzeit schmalere Budgets bei den Gästen. Haben sich Gastronomen zu lange auf sicher geglaubte Modelle verlassen? 10 Entwicklungen in der Restaurantszene.
Text Patricia Bröhm
Datum05.08.2024

Jetzt wird an den Stühlen gerückt! Unsere Gastro-Analyse 2024 von Autorin Patricia Bröhm zeigt, wie sich die Restaurantkultur aktuell verändert. Vom Comeback von Lunch und Brunch über flexible Menükonzepte und spontane Restaurantbesuche bis hin zu Streetfood-Optionen im Sommer und der wachsenden Bedeutung der Gastgeberkultur.

1. Mittagessen und Brunch sind zurück

Das ehemalige Umspannwerk im Herzen der Altstadt von München ist mit seinem Graffiti-Anarcho-Charme der letzte Ort, an dem man gehobene Küche vermuten würde. Und vielleicht genau deshalb der richtige Ort, um über die Zukunft von Fine Dining in Deutschland nachzudenken. Das haben die Macher des „Mural“, das seit 2017 hier Gäste bewirtet, getan. 

„Gastronomie ist nie fertig gedacht“, sagt Co-Founder Wolfgang Hingerl. „Sie muss immer in Bewegung bleiben, das Gefühl für die Bedürfnisse der Gäste sollte man regelmäßig auf den Prüfstand stellen.“ Das Ergebnis der Überlegungen: Das Restaurant, das – wie so viele andere auch – in den letzten Jahren nur abends öffnete und festgeschriebene Menüs servierte, hat sich breiter aufgestellt: „Wir wollen das Mittagessen wieder hochleben lassen“, sagt Hingerl. Und nicht nur das: Es gibt auch Brunch am Sonntag, nachmittags eine gute Flasche Wein zu Brot von Julius Brantner und erstklassigem Saftschinken, abends ein zügig serviertes Vier-Gänge-Menü vor der Kino-Late-Night. Kurz: jede Menge Flexibilität zu leistbaren Preisen. „Es muss wieder mehr Spontaneität in die Gastronomie kommen“, meint Hingerl. „Wir haben uns auf den Wortsinn von Gastgeben besonnen.“

Moritz Meyn (l.) und Wolfgang Hingerl, Co-Founder des „Mural“ in München.

2. Keine starren Menüs, mehr Flexibilität

Wie das „Mural“ nehmen derzeit viele Restaurants unter dem Druck der wirtschaftlichen Krise Anpassungen im Angebot vor, führen den Mittagsservice wieder ein, reduzieren die Menüpreise oder wechseln gleich ganz das Konzept. Gute Nachrichten für die Gäste! Denn tatsächlich lief es in der Mehrzahl deutscher Fine-Dining-Restaurants zuletzt so: Man servierte abends nur ein fixes Menü, Flexibilität wurde vor allem von den Gästen erwartet. So mancher Gastronom schrieb ihnen nicht nur vor, wie viele Gänge sie essen sollten, sondern auch, wann sie bei Tisch zu sein hatten und was es zu trinken gab. Ein zunehmend starres Konstrukt, das zuweilen abschreckende Wirkung hatte. 

„Hört auf, eure Gäste zu regulieren“, meint Tim Raue von seinem gleichnamigen Restaurant. „Das will niemand mehr. Jetzt geht es darum, flexibel zu sein, das eigene Ego zurückzustellen und eine gute Atmosphäre zu schaffen. Denn das zählt für wiederkehrende Gäste mindestens so sehr wie die Küche.“

Tim Raues Erfolgsrezept: Den Gästen zuhören!

3. Kurzfristig essen gehen statt reservieren

Doch nicht nur, dass es immer weniger Gäste als das höchste der Gefühle empfinden, vier Stunden bei Tisch zu sitzen. Die Gastronomie kämpft derzeit mit einer ganzen Reihe von Problemen: Personalmangel, fehlender Nachwuchs, gestiegene Warenkosten und Gehälter, Wiedererhöhung der Mehrwertsteuer, Energiekrise, Inflation – um nur die wichtigsten zu nennen. Und Tatsache ist: Restaurantbesuche zählen in Deutschland zum Ersten, an dem in Krisenzeiten gespart wird. Bei einer Umfrage des Preisvergleichsportals Idealo gaben 53 Prozent an, sich hier derzeit zurückzuhalten. 

„Das Buchungsverhalten ist sehr volatil geworden“, sagt Sophie Lehmann vom „100/200 Kitchen“ in Hamburg. „Früher waren wir einen Monat im Voraus durchreserviert, heute geht alles sehr kurzfristig, es gibt solche und solche Abende.“

Sophie Lehmann vom 100/200 Kitchen & Glorie in Hamburg stellt ein neues Buchungsverhalten fest: kurzfristig essen gehen statt lange im Voraus reservieren.

4. Kennenlernpreise für neue Gäste

Wie es trotzdem weitergehen kann, zeigen kreative Lösungsansätze landauf, landab. Zum Beispiel im Karlsruher Fine-Dining-Restaurant „Tawa Yama“: Dort bieten der junge Küchenchef Igor Yakushchenko und sein Team dienstags bis donnerstags ein 4-Gänge-Menü zum Kennenlernpreis von € 98 an, auch die größeren Menüs sind an diesen Tagen günstiger. 

„Stammgäste kommen auch weiterhin lieber am Wochenende, für sie spielt der Preis keine Rolle“, sagt Yakushchenko. „Neue Gäste nutzen das Angebot unter der Woche, um uns kennenzulernen.“ Ein ähnliches Modell fahren das „Jante“ in Hannover und bundesweit zahlreiche Kollegen.

Menüs zu Kennenlernpreisen wie im „Tawa Yama“ in Karlsruhe ziehen Gäste auch unter der Woche an.

5. Streetfood Optionen für den Sommer

Gerade jetzt im Sommer experimentieren viele Gastronomen mit neuen Formaten: In München eröffnete das koreanische Highend-Restaurant „Mun“ kurzerhand einen Schanigarten (Terrasse auf dem Gehsteig oder Parkstreifen nach Wiener Vorbild), ein Modell, das die Stadt München seit Corona Gas­tronomen zubilligt. Dort serviert Mun Kim seinen Gästen nicht wie bisher ein vielgängiges Menü, sondern Korean BBQ und Sushi. Falls es gut ankomme, meint er, sei eine Fortsetzung des unkomplizierteren À-la-carte-Formats drinnen nicht ausgeschlossen. Wie er flirten viele Gastronomen derzeit mit zugänglichen Streetfood-Optionen, werfen jetzt im Sommer den Grill an oder versuchen sich an Hamburgern wie etwa Max Strohe im Berliner „Tulus Lotrek“.

Mun Kim vom Mun in München serviert draußen vor seinem Restaurant BBQ und Sushi statt eines mehrgängiges Menü.

6. Double Seating und kleinere Menüs

Noch einen Schritt weiter geht Billy Wagner in Berlin, der seinem „Nobelhart&Schmutzig“ einen der radikalsten Konzeptwechsel der Branche verpasste: Statt wie vorher zehn Gänge, serviert er nur noch sechs – für 115 statt 195 Euro. Auch der Küchenstil hat sich geändert, ist bodenständiger geworden und erinnert mit Käsespätzle oder Huhn mit Kartoffeln und Salat eher an ein Gasthaus. Wagner hofft, seine Tische mit dem kürzeren Menü pro Abend zweimal belegen zu können – das „double seating“ ist in USA und anderswo längst Usus.

Billy Wagner hat in seinem „Nobelhart&Schmutzig“ einen radikalen Konzeptwechsel vollzogen: weniger Gänge, bodenständigere Gerichte.

7. Bistroküche statt Fine Dining

„Berlin bildet viele Trends besonders plakativ ab“, sagt Jonathan Kartenberg vom „Irma La Douce“. In den Zehnerjahren erlebte die Stadt einen Fine-Dining-Boom, bis Corona diesem ein abruptes Ende setzte. Die Touristen kommen inzwischen zwar wieder, aber eher im Pauschalbereich – da sind Döner gefragt statt Zehn-Gänge-Menüs. Kartenberg stellte sein Restaurant 2023 auf zugänglichere À-la-carte-Angebote um, um zu überleben. Zum Jahresende 2023 schlossen „The Noname“, „Cordo“ und „Lode&Stijn“, während andere umstellen: Dylan Watson-Brawn schließt sein Gourmetrestaurant „Ernst“ bis Ende 2024 und setzt auf sein Casual Dining Konzept „Julius“ und das „Richard“ serviert nun Bistroküche. 

Jonathan Kartenberg vom Irma La Douce in Berlin hat sein Konzept auf À-la-carte-Angebote umgestellt.

8. Szenerestaurants und absolute Spitzenküche funktionieren

Nicht alle trifft die Krise gleich hart. Szenerestaurants, wo es mehr ums gemein­same Erlebnis und Spaßhaben als um hochkarätige Küche geht, laufen weiterhin, dort konsumiert man auch gern mal die eine oder andere hochpreisige Flasche. Auch die absolute Spitze, wo das Essen­gehen zelebriert wird wie anderswo ein Opernbesuch oder Champions-League-Spiel, hält sich vergleichsweise gut. Dort konnte man auch notwendig gewordene Preiserhöhungen durchsetzen. Vor allem klassische Gourmetkonzepte außerhalb der Städte wie das „schanz. restaurant“ und das „Waldhotel Sonnora“ an der Mosel oder „Bareiss“ und „Schwarzwaldstube“ in Baiersbronn können über Zulauf nach wie vor nicht klagen.

Stilvoll: Das "Sonnora" bietet Kulinarik auf allerhöchstem Niveau.

9. Preise müssen angehoben werden

Überall sonst ist das Thema Preise derzeit besonders sensibel. Das trifft vor allem den mittleren gehobenen Bereich, also das Ein-Sterne-Segment, das in den vergangenen Jahren stärker wuchs als die Nach­frage dafür. „Spätestens im Sommer 2023 hätten wir eigentlich flächendeckend die Preise erhöhen müssen“, sagt Jonathan Kartenberg. Viele Kollegen litten unter den gestiegenen Strompreisen und Warenkosten, zögerten aber, das an die Gäste weiter­zugeben. „Gastronomen neigen zur Selbstausbeutung.“

10. Gastgeberkultur rückt stärker in den Fokus

„Man muss auf das hören, was die Gäste sagen“, meint Sophie Lehmann. Mit ihrem Mann Thomas Imbusch betreibt sie seit sechs Jahren sehr erfolgreich das „100/200 Kitchen“ in Hamburg als klassisches Menü-Restaurant. Weil viele Stammgäste gern öfter kommen, aber nicht jedes Mal das große Menü essen wollten, eröffneten die beiden Anfang des Jahres „ein Restaurant im Restaurant“. 

Im neuen Format „Glorie“, das auch räumlich etwas getrennt ist, wird à la carte serviert. Und zwar klassische Wohlfühlgerichte auf hohem Niveau – von Imbuschs Version des Käsetoasts bis zu Roastbeef mit Bratkartoffeln. „Der Anspruch an Lebensmittelqualität, Handwerk und Servicekultur ist der gleiche“, sagt Lehmann. „Wir bieten Klassik, aber auf unsere Art.“ Das Konzept kommt gut an, Stammgäste schauen jetzt öfter vorbei – bis hin zu jenem Paar, das zum Lunchmenü kam, bei einer Flasche Wein sitzen blieb und abends noch mal Hummer Thermidor bestellte. „Gastgeberkultur ist das große Thema der nächsten Zeit“, sagt Sophie Lehmann. „Man muss dieses Nach-Hause-kommen-Gefühl erzeugen.“

Sophie Lehmann und Thomas Imbusch vom 100/200 Kitchen haben ein Restaurant-im-Restaurant-Konzept entwickelt, um mehr Gästen gerecht zu werden.
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