Bäcker Handwerkskunst
Text: Kersten Wetenkamp
Zum Bäcker gehen? Nein, lieber zur Brotboutique! Dort hat die neue Bäckergeneration ihr Handwerk zur Kunst entwickelt. Jedes Brot, jedes Brötchen hat dort eine eigene Geschichte, hinter jedem steht eine Überzeugung seines Erzeugers. Wer sie isst, tut das zu Recht mit Bedacht: Die Rinde und Krume erschnuppern, auf der Zunge zergehen lassen. Würzig, voll aromatisch, mit langem Nachhall wie ein guter Wein, sind diese Brote. Die jungen Bäcker holen aus dem Gebäck an Geschmack heraus, was möglich ist. Mehr Brot geht nicht.
Und wie das Brot präsentiert wird! Bei Julius Brantner in München sind die Semmeln ausgelegt wie Juwelen. Auf Buchenholzbrettern drapiert, auf einem Tresen aus Terrazzostein, hinter einer Glaswand zu bestaunen, mit Schildchen davor: „Bio Münchner Handsemmel“ und „Konrads Krusti“, daneben der wuchtige, runde „Münchner Hauslaib“. Brötchen und Brotsorten, präsentiert wie Kunstwerke in einer Galerie. Fast jedenfalls.
An Selbstbewusstein mangelt es den jungen Bäckermeistern nicht: An der Wand hat der Chef die Sorten in goldenen Buchstaben aufgeführt, darüber prangt ebenfalls in Gold sein Name: Julius Brantner. Brothandwerk.
Richtig so. Lange haben sich die Bäcker klein gemacht, weggeduckt und versteckt in ihrer Backstube, während immer mehr Köche im Fernsehen zu Stars wurden und für sich selbst und ihr Handwerk warben. Damit sollte Schluss sein, fanden auch die schwäbischen Bäckermeister Jörg Schmid und Johannes Hirth und ließen sich für ein Brotrezeptbuch in dynamischer Aktion fotografieren – als „Wildbakers“. Ob mit Sonnenbrille und schwarzem Anzug wie die Blues Brothers oder mit Mehl um sich werfend – Hauptsache Action. „Es hat uns gewurmt, dass Bäcker hinter den Köchen zurückstanden“, erzählt Jörg Schmid aus Gomaringen, „bis heute haben die Bäcker kaum ein Image. Wir wollten uns modern präsentieren, plakativ. Besonders wichtig war uns, dass unsere Gesichter aufs Buchcover kommen!“
- Bäcker Alex Onasch
- „prôt“ in Köln
- WILD: Die „Wildbakers“ Jörg Schmid und Johannes Hirth
„Wildbaker“ Schmid (er hat sein Brotatelier in Reutlingen eröffnet), Julius Brantner in München, Sören Korte in Hamburg, „Brot ist Gold“ in Berlin oder Alex Onaschs „prôt“ in Köln – eine neue Generation der Bäcker hat die Innenstädte erobert und erregt mit puristischmodernen Brotateliers Aufsehen. Statt überbordendem Sortiment mit Semmeln, Broten und Obstkuchen bieten sie nur sechs, sieben Sorten an, meist nicht einmal Brötchen, Sahnetorten schon gar nicht. Kaffee wird nicht ausgeschenkt. Es gibt ja auch keine Stühle und Tische, an die man sich setzen und ihn trinken könnte. Und eine Angebotsgarantie fehlt ebenfalls: Begehrte Brotsorten sind in den Ateliers oft am frühen Nachmittag schon ausverkauft. Nachgelegt wird nicht, sind alle Brote verkauft, schließen die Verkäufer das Geschäft. Und genießen ihren Feierabend.
Es sind mehrere Aspekte, die junge Bäcker wie Brantner bedenken und anders machen als die älteren Generationen. Schon die Öffnungszeiten sind ungewohnt rigide, der neue Hamburger Kultbäcker Sören Korte etwa schließt seine „Brotmanufaktur“ in der Weidenallee nur täglich vier Stunden auf und montags gar nicht. Dies soll die Arbeitszeiten der Bäckergesellen und Verkäufer sozial verträglicher machen. Und das verknappte Angebot reduziert den Abfall, damit nachhaltiger gewirtschaftet wird.
Über allem aber steht der Ehrgeiz, die handwerkliche Backkunst auf die Spitze zu treiben. Man sieht den Broten an, dass sie handgemacht sind. Rundliche Laibe, von Hand „ausgehoben“ statt vom Fließband befördert, mit unregelmäßig rissigen Krusten, sodass jeder Laib ein bisschen anders aussieht als der andere. Und erst aufgeschnitten: die Krume locker und grobporig, gerne noch feucht. Ein Brot wie Brantners Bio Roggenbrot mit fermentierten Bio-Äpfeln – saftig, die frische Krume geradezu klebrig, zwei, drei Tage nach dem Kauf hat sich die Krume gefestigt, das Aroma noch weiter intensiviert.
Team um Julius Brantner
Diese hocharomatischen Brote, die lange ihre Frische behalten (am besten im Tongefäß aufbewahren!), lassen sich nur mit der Hauptzutat der Bäcker herstellen: viel Zeit. Zeit für die hauseigenen Sauerteige, die über mehrere Tage reifen und durch diese Reifung eigene Hefen entwickeln. Früher haben viele Bäcker dafür in die Zutatentüte gegriffen und die Fertighefe hineingearbeitet.
„Wildbaker“ Jörg Schmid sagt: „Zur Zeit meines Opas waren die Rohstoffe teuer und die Arbeitskräfte billig, also wurde viel und nachhaltig mit der Hand gearbeitet. Bei meinem Vater war es schon umgekehrt, der Zeitaufwand wurde mindestens halbiert.“ In den Siebzigerjahren wurde dann auch viel bei der Industrie bestellt: Hefen, Backhilfsmittel, Enzyme, Säuerungsmittel. Die weltweit beklagten zunehmenden Allergien etwa gegen Gluten nehmen die jungen Bäcker zum Anlass, so pur wie möglich zu arbeiten – keine Hefe, keine chemischen Hilfsmittel. Nur Mehl, Wasser, Salz.
Sauerteig
Junge Bäcker wie Julius Brantner wenden sehr viel Zeit für ihre Sauerteige auf, sie nutzen das Bäcker-Know-how früherer Generationen und backen viel mit der Hand, frei geschoben oder im Korb.
Das Maß aller Dinge ist für diese Bäcker der Sauerteig. Nur dieser, dank Milchsäurebakterien und Hefen gärend, bringt gute Brote zustande – am besten reift er ein bis drei Tage lang, zwischen Geh und Kühlzeiten in drei oder vier „Stufen“, bis er optimale Konsistenz und Aroma entwickelt hat. Sören Korte in Hamburg etwa lässt für seine fabelhaft aromatischen „Rakete“-Baguettes den Weizensauerteig zwei Tage lang ruhen, der Hauptteig bleibt weitere zwei Tage liegen, bis das Baguette 45 Minuten lang auf der Steinplatte backt. „Eine konventionelle Bäckerei nimmt dafür Fertighefen der Industrie“, sagt Korte, „die macht das Baguette in eineinhalb Stunden fertig.“ Nur schmeckt es dann entsprechend flach und nicht so intensiv fruchtig wie Kortes „Raketen“, für die der 35 Jahre junge Meister Rotwein und Traubensaft in den Hauptteig gegeben hat.
Es ist ein Erlebnis, Korte in seiner kleinen Backstube zuzusehen und die Nase über den Roggensauerteig in der Plastikwanne zu halten. Der helle Schaum-Sauerteig, so der Fachbegriff, duftet geradezu betörend nach Blaubeeren und Pflaumen. Dafür hat Korte viermal mehr Mehl versäuert als üblich, was 24 Stunden Ruhezeit und mehr bedeutet. „Das macht den Teig aromatisch und ausgeglichen“. Wohl wahr – später beim Anschneiden des frisch gebackenen Laibs duftet die elastische Krume nach Früchten und Kräutern, sie schmeckt mild und kaum sauer auf der Zunge. Ein herrliches Brot.
Hand in Hand mit dem handwerklichen Ehrgeiz dreht sich die Sorge der Jungen um die Umwelt. „Wir müssen nachhaltig und ökologisch wirtschaften, da gibt es keine Alternative“, sagt zum Beispiel Simone Imhof, Juniorchefin der 101-jährigen Traditionsbäckerei „Imhof“ in Nürnberg, die trotz Doktortitel in Pädagogik wieder in der Backstube arbeitet. Ideal ist Biogetreide, das in den eigenen Mühlen verarbeitet wird – wichtig, um reines Mehl zu haben, das nicht mit Enzymen vorbehandelt wurde, was noch immer der Standard bei den Mühlen in Deutschland ist. Am besten ist natürlich ein eigenes Weizenfeld, wie es Jörg Schmid hat. Alte Getreidesorten wie Emmer oder Champagner-Roggen werden bei befreundeten Bauern gekauft, das ist Vertrauenssache. „Wir müssen wissen, was woher kommt und ob es clean ist“, sagt Schmid. Wird Korn an feuchten Sommertagen geerntet, ist das Mehl viel aktiver. „Dann musst du gegensteuern“, so Schmid. Erfahrung hilft. Augenmaß und Technik auch. Handwerk eben! Die beschriebenen Bäcker finden Sie im Taschenbuch „Die 500 besten Bäcker in Deutschland 2021“, der Ausgabe 12/20 beiliegend.