König der Kuchen: Cédric Grolet
Viel Farbe und noch mehr Fantasie: Mit seinen originellen Desserts ist Cédric Grolet zum Star aufgestiegen. Ein Erneuerer französischer Patisserie-Kunst, der sich seine unbekümmerte Bodenständigkeit erhalten hat
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Calvin Courjon
Vom Pflücken zum Backen
Es begann im Erdbeerfeld, in einem kleinen Weiler nahe Lyon, in dem Cédric Grolet aufgewachsen ist. Seine Eltern ließen ihn hier einen Sommer lang zur Aufbesserung seines Taschengeldes ernten. Der Junge pflückte nicht nur, er aß auch genüsslich. Und er stellte fest, dass sich der Geschmack der Früchte verändert, von Stunde zu Stunde, von Tag zu Tag. Am Ende gab es zum Lohn einen Korb voller Erdbeeren. Doch anstatt sie seinen Eltern zu schenken, machte er seine erste eigene Torte daraus – und verliebte sich unwiderruflich in dieses Handwerk.
Sein großes Talent hat der 36-Jährige seitdem in einer ungewöhnlichen Karriere unter Beweis gestellt. Der Mann mit dem tätowierten linken Arm, der die unprätentiöse Patissier-Schule von Le Puy-en-Velay besuchte, krönte diese 2018 mit der Auszeichnung „bester Patissier der Welt“. Vor den Boutiquen des Dessert-Stars bilden sich lange Schlangen, es gibt Kochbuch-Bestseller und Millionen Fans bei Instagram.
Cédric Grolet: Ich bin der Junge aus dem Garten
In der Gourmet-Metropole Paris lebt das Landkind seit 15 Jahren. Zunächst arbeitete Cédric Grolet für das Unternehmen Fauchon und seine Edelmarken, bis er 2011 ins Le Meurice wechselte. In dem prestigeträchtigen Hotel hatte er als Commis de Cuisine anfangs einen schweren Stand. Weil er so anders war – ganz bescheiden und bodenständig.
Seit acht Jahren ist Cédric Grolet nun der Chefpatissier des Luxustempels. „Es ist verrückt“, erzählt er. „Die Leute sagen, ich müsse einen Anzug tragen, ich sei ja jetzt berühmt.“ Aber er bleibt bei T-Shirt, Kapuzenpullover und seiner unbekümmerten Art: „Ich bin der Junge aus dem Garten, alles, was ich kann, habe ich dort gelernt. Ich werde mich nicht verändern.“ Und doch weiß dieser Künstler ganz genau, was er tut: Nach seinem ersten Geschäft im Le Meurice eröffnete er 2019 seine zweite gläserne Boutique auf der Avenue de l’Opéra unweit der Place Vendôme. In edler Architektur präsentiert er hier seine genussreichen, farbintensiven und auf Instagram und in opulenten Bildbänden wunderschön aussehenden Dessertkreationen.
Im Rhythmus der Jahreszeiten
Die Titel häufen sich: der Papst der Früchte, der Erfinder der Nouveau Pâtisserie, ein Game-Changer. „Das schmeichelt mir, ohne Frage“, sagt Grolet, „ich finde es aber ehrlich gesagt ein wenig übertrieben. Ich will die Patisserie nicht aus den Angeln heben, sondern sie weiterentwickeln, wie schon meine Väter es getan haben.“
Der Süßspeisen-Superstar hat zwei markante Ansätze entwickelt, die seine Werke einzigartig machen: Da sind die Früchte, die er derart originalgetreu nachbildet, dass es dem Betrachter scheint, als solle er gleich in eine Zitrone, eine Mango oder eine Mandarine beißen. Grolet nutzt eine dünne Schicht weißer Schokolade, die er im Airbrush-Prinzip glatt und glänzend ausarbeitet, dann trägt er behutsam die Farben auf. Die Textur, die Farbigkeit – alles fügt sich verblüffend und ist dazu noch nachhaltig verarbeitet. Stets verwendet der Patissier Pürees und hochwertige Essenzen aus Früchten, die er im Rhythmus der Jahreszeiten erntet.
Ich mache die simpelsten Sachen
Die neue Interpretation legendärer französischer Süßspeisen – das ist der andere unverwechselbare Cédric Grolet-Ansatz. So übersetzt er jahrhundertealte Rezepte ins Jetzt, darunter der Mont-Blanc, eine Tarte aus Maronen, die er wie ein Stukkateur ziseliert. Oder das Paris-Brest: Cédric Grolet füllt es mit einer nussigen Creme und lässt es wie eine frisch erblühte Blume aussehen.
Sein Signature-Dessert ist die Torte Sainte-Honoré, für die er einen Mürbeteig mit kleinen Profiteroles und einer Haube aus Vanille belegt. Aufgetragen ist die Creme in millimeterkleinen Schichten, die wie grazile Fächer wirken. Die Desserts sind geschmacklich vertraut, doch in ihrer Aromatik konzentriert und in der Optik optimiert. „Manche sagen, ich würde Techniken der Haute Cuisine benutzen. Aber so ist es nicht: Ich mache die simpelsten Sachen. Wenn ich die Zutaten zu stark verändern würde, dann schmeckt der Gast nichts mehr von der Qualität des Grundprodukts.“
Die nächste Station London
Im Hotel The Berkeley hat Cédric Grolet gerade seine erste Patisserie außerhalb Frankreichs eröffnet. Sein Anspruch ist hoch. „Wenn ich in ein Restaurant gehe, gebe ich zu, dass ich sehr kritisch gegenüber der Patisserie bin“, sagt Grolet. Lächelnd fügt er hinzu: „Wenn Sie mich also nach Hause einladen, servieren Sie mir einen simplen flambierten Crêpe – und Sie werden mich sicher glücklich machen!“ www.cedric-grolet.com
Backbuch von Cédric Grolet
„Opéra – Die neue französische Pâtisserie“
100 klassische, leicht nachvollziehbare Rezepte.
Knesebeck Verlag, € 48