Champagner am Meeresgrund
Text: Oliver Zelt
An diese legendäre Geschmacksexplosion erinnert sich Hendrik Thoma noch nach 15 Jahren. Bei einer munteren Runde saß der Master Sommelier mit Freunden in einem Bremer Lokal, in der Hand ein Glas, in dem ein Champagner goldgelb schimmerte. Den hatte der russische Zar Nikolaus II. genießen wollen, doch die Luxusladung war nie in Sankt Petersburg angekommen: Der Torpedo eines deutschen U-Bootes hatte den Zweimaster „Jönköping“ im Oktober 1916 auf den Grund des Bottnischen Meerbusens geschickt. Dort bargen Taucher gut 80 Jahre später, im Frühling 1998, aus 30 Meter Tiefe das Wrack und mit ihm nach und nach 2800 Champagnerflaschen. Weinliebhaber aus aller Welt rissen sich darum, Auktionshäuser, vor allem in den USA, versteigerten sie später zu Preisen von bis zu 10 000 Dollar. Zwei Jahre nach dem Fund im Meer probierte Thoma in Bremen den Champagner, einen 1907 Heidsieck Diamond Bleu. An „einen honigartigen, feinen Duft“ erinnert sich der Sommelier. Wie aber kann es sein, dass Champagner und Wein dort, wo sonst Krebse über den Meeresboden krabbeln, so vortrefflich reifen? Ist der Trunk für den Zaren über die lange Zeit nur so gut geblieben, weil er dunkel und bei konstanter Temperatur schlummerte?
Passend zu Champagner - Kaviar
Wie aber kann es sein, dass Champagner und Wein dort, wo sonst Krebse über den Meeresboden krabbeln, so vortrefflich reifen?
Je kälter die Umgebung, desto besser für das Aroma, stellt Professor Ulrich Fischer vom Kompetenzzentrum Weinforschung in Neustadt an der Weinstraße fest. Am Meeresgrund liege der Wein über Jahrzehnte bei etwa vier Grad, sagt Fischer, „das ist optimal“. Bei Sekt oder Champagner stelle zudem der Wasserdruck tief unter den Wellen sicher, dass die feinen Perlen des gelösten Kohlendioxids sich nicht allmählich aus der Flasche verflüchtigten. Der Champagner bleibt frischer. Und was sagt der Wissenschaftler zu der These, das sanfte Schunkeln in der See mache den Unterschied aus? „Dort unten schunkelt nichts“, ist seine klare Antwort. Manager und Mitarbeiter des Champagnerhauses Veuve Clicquot wollen es genauer wissen. Bei strahlend blauem Himmel ließen sie im vergangenen Sommer 350 Flaschen ihrer Erzeugnisse versenken. In einem Stahlkäfig liegen diese jetzt 40 Meter tief auf dem Grund des Meeres, nicht weit von der Stelle zwischen den finnischen Åland-Inseln, wo Taucher im Sommer 2010 eine große Entdeckung gemacht hatten: In einem Schiffswrack, das Mitte des 19. Jahrhunderts gesunken war, befanden sich uralte Champagnerflaschen, übersät mit Algen und Seepocken. In 46 von ihnen perlten Weine aus dem Hause Veuve Clicquot, Jahrgang 1841.
Bei Sekt oder Champagner stelle zudem der Wasserdruck tief unter den Wellen sicher, dass die feinen Perlen des gelösten Kohlendioxids sich nicht allmählich aus der Flasche verflüchtigten
Die auf Åland lebende Sommelière Ella Grüssner Cromwell-Morgan war fasziniert. In den dicken grünen Glasflaschen fand sie „ein Bukett sehr reifer Früchte, Töne gelber Rosinen und ein klares Tabakaroma“. Vor vier Jahren blätterte ein anonymer Bieter aus Singapur bei einer Auktion auf den Åland-Inseln 30 000 Euro für eine einzige Flasche aus jenem Jahrgang hin. Tatsächlich inspirierten der Geschmack und die Geschichte des Champagners aus dem Wrack die Franzosen zu ihrem Versuch. Ihrem speziellen Sortiment geben sie nun 50 Jahre zum Reifen im Meer. Vier unterschiedliche Sorten in verschiedenen Flaschengrößen ruhen im Unterwasserbett. Sie sollen nun alle paar Jahre verglichen werden mit den Gegenstücken, die in den Weinkellern im heimischen Reims lagern. Was die Weltmarke Veuve Clicquot mit ihren Experimenten anstrebt, hat der Winzer Bruno Lemoine schon hinter sich: den Meer-Land-Vergleich. Der Chef von Château Larrivet Haut- Brion bei Bordeaux ließ sich zwei identische Fässer bauen und füllte jeweils 56 Liter Rotwein aus dem Superjahrgang 2009 hinein, eine Cuvée aus Merlot- und Cabernet-Trauben. Dann taufte Lemoine ein Fass nach der römischen Erdgöttin Tellus und lagerte es in seinem Keller ein; das andere, benannt nach Neptun, dem Herrn der Meere, ruhte ein halbes Jahr im Atlantik. Der Wein aus der See sei „weicher und komplexer“ als der vom Land, urteilt Lemoine nach der Vergleichsprobe, schwärmt von „seidigen Tanninen“. Laboranalysen zeigten, dass der so gelobte Wein leicht salzhaltig war. Offenbar hatte eine Osmose stattgefunden, obwohl das Fass wasserdicht war. Beim Probieren war der Salzhauch eher ein Gewinn. Bei Flaschen mag Weinprofessor Ulrich Fischer nicht an das Eindringen von Meerwasser glauben: „Da müsste der Korken schon tropfnass sein.“ Die meisten modernen Verschlüsse seien aber mit Silikon versetzt, da fließe nichts durch. Die Wrackweine haben es bewiesen: Jahrzehnte im Meer tun dem Geschmack gut. Bislang lassen sich nur wenige Winzer auf Nautik-Weine ein. Aber vielleicht ist ein Keller unter Wasser schon bald mehr als bloß ein spektakuläres Experiment.