Die Vordenker – Christian Bau

Die Vordenker – Christian Bau

Auszeichnungen in Serie und in Rekordzeit zum dritten Stern: Mit 34 Jahren ganz oben angekommen! Ein Wunderkind? Christian Bau hat jedenfalls auf dem Höhepunkt noch einen draufgesetzt – und ist heute vielleicht darum Deutschlands Bester am Herd
Datum08.07.2020

TEXT MADELEINE JAKITS

PARIS-TOKIO nennt Christian Bau sein großes Menü, eine weit gespannte Brücke, die zwei Welten verbindet. „Paris–Tokio“ verortet seine Küche in nur zwei Worten. Sie ist so etwas wie ein Wunschkind aus einer Liaison zwischen Frankreich und Japan. Aber wie bekommt man als Offenburger diesen so unverkennbar von Japan beeinflussten Geschmackskosmos auf den Teller? Wie trifft man den richtigen „Ton“? Und zwar so gut, dass es 2019 in Berlin vom Botschafter Japans dafür die Urkunde „Ehrenbotschafter der japanischen Küche“ gibt? „Ich war 2008 das erste Mal in Tokio und bin bei allen großen Kollegen essen gegangen. Es war eine ganz neue, überwältigende Welt für mich. Ich habe dort handwerkliche Präzision und Perfektion und kompromisslos herausragende Meeresfrüchte gesehen, Fisch, Fleisch, Gemüse, einfach alles war top! Ich habe dort dieselbe Besessenheit gespürt, die auch mich als Koch antreibt. Aber sie war bei den Besten Tokios noch um einiges ausgeprägter, das hat mich wirklich tief beeindruckt“, begeistert sich Christian Bau.

Nach dieser Reise jedenfalls war es endgültig um ihn geschehen: „Ich hatte ja schon 1994 bei Gastauftritten mit meinem Chef Harald Wohlfahrt in Thailand den ersten Kulturschock erlebt: diese Märkte! Diese Gewürze! Diese Aromen! Chili, Zitronengras, Koriander, Ingwer! Das hat mich mitten ins Herz getroffen, so wollte ich auch kochen! Was aber, zurück in der „Schwarzwaldstube“, natürlich nicht möglich war. Aber dann, über zehn Jahre später, hatte ich auch noch Japans Küche erlebt, für mich sofort das Nonplusultra. Ich wollte sie verstehen und sie mir aneignen. Rezepte oder einen Lehrer hatte ich ja nicht. Nur die Erinnerung an das, was ich geschmeckt hatte. Also habe ich mir diese Welt intuitiv Schritt für Schritt erobert, mit vielen Versuchen in der Küche an freien Tagen, mit Anrufen bei Kollegen wie Sergio Herman in Holland oder der Equipe von Alain Ducasse, sie alle haben mir bereitwillig geholfen, Zutaten von Importeuren oder direkt aus Japan zu beschaffen, so habe ich mir ein Netzwerk geschaffen.“

Baus erste Investition damals: 30 Kilo Yuzus, die runden Zitrusfrüchte mit dem markanten bittersüßen Duft. „Der Händler in Belgien hat wegen der Menge nicht mit sich reden lassen, ich musste die ganze Ladung nehmen – für immerhin 40 Euro das Kilo. Den wenigen, extrem intensiven Saft, den Yuzus hergeben, habe ich ausgepresst und tröpfchenweise damit experimentiert, die Schalen habe ich confiert für den Vorrat.“

Die Yuzu war damals noch eine Unbekannte in deutschen Küchen. „Mein Mentor Harald Wohlfahrt, den ich angerufen und nach Tipps gefragt habe, hatte noch nie von Yuzus gehört und hat mich für verrückt erklärt und gemeint: ‚Warum kaufsch von dem viele Geld nid schöne Trüffeln?‘“, erinnert sich Bau lachend, der heute fernöstliche Küchentechniken und Aromen souverän mit französischen Traditionen vereint und dabei zugleich genussvolle Spannung und große Harmonie erzeugt.

Christian Bau hat sich damit ein wirkliches Alleinstellungsmerkmal geschaffen in der Elite nicht nur der deutschen Spitzenköche. Merke: Wer oft kopiert wird, hat es eindeutig ganz nach oben geschafft, auf den Olymp! Und eine berufliche Zufriedenheit strahlt aus Baus dunklen Augen. Er ist angekommen. Eine Erfüllung, die ihn für jede Mühe und all den Schlafmangel, die so eine Karriere auch bedeutet, entschädigt.

GEHEN WIR EIN PAAR SCHRITTE zurück und fragen: Warum wollte Christian Bau wie ein Japaner kochen, wo er doch 2005 als jüngster deutscher Koch die höchsten Sternen-Weihen erhielt? Sicher auch der ersehnte Leistungsnachweis seines Geldgebers? Ein Erfolgsrezept ändern, das ihn mit französisch grundierter Hochküche zu Ruhm und Ehre gebracht hatte – wozu denn? Die Freude über diesen gastronomischen Ritterschlag muss doch überwältigend gewesen sein?

„Nur im ersten Moment war es wirklich toll und eine Riesenfreude. Aber schon in der ersten Nacht war ich schlaflos und ein todunglücklicher Mensch. Für mich ist damals eine Welt zusammengebrochen. Ich wollte nicht mehr der sein, der ich war: Immer das Dogma der französischen Küche als einzig angemessene für ein Gourmetrestaurant. Ich war in diesem Wertesystem wie getrieben: Bot Wohlfahrt acht Sorten Brot an, musste ich zehn haben und einen noch größeren Käsewagen. Aber jetzt, am Tag meines größten Erfolgs, konnte ich das alles nicht mehr sehen: die Gänseleber mit glasierten Äpfelchen, den Steinbutt mit Champagnersauce. Ich habe damals Dinge in Perfektion gekocht, die mich aber schon längst nicht mehr in der Seele berührt haben. Und ich war doch erst 34! Ich wollte nicht mehr Pavarotti und Domingo aus den Lautsprechern im Restaurant hören, keine steifen weißen Tischdecken mehr sehen. Und nicht mehr um 23 Uhr meine Runde im Saal drehen wie eine Marionette, mit Krawatte, fleckenloser Kochjacke, schwarzer Hose, blanken Lackschühchen. „Ich will so nicht weitermachen! Mein Herz will nach Asien!“: Diesen Schuss hat man in der Chefetage, damals, im Jahr von Baus größtem Triumph, verstört gehört. Wohlgemerkt: Damals war Bau noch nicht ein einziges Mal in Japan gewesen.

ER DACHTE NOCH sehnsüchtig an seine thailändischen Geschmackserlebnisse. Man verständigte sich auf einen sanften Übergang von der französischen Klassik in „Victor’s Gourmet-Restaurant“, wie es damals noch hieß, hin zu moderaten Thai-Klangfarben. Bloß nicht die Gäste vergraulen! „Anfangs habe ich manche Würze wie Koriander oder Zitronengras viel zu plakativ eingesetzt, ich wollte das Neue forcieren, das richtige Maß musste sich einspielen, bis alles passte“, meint Bau heute in der Rückschau. „Ich bin ein grundlegend klassisch französisch ausgebildeter Koch, war vier Jahre Harald Wohlfahrts Souschef in der ,Traube Tonbach‘ in Baiersbronn. Wir haben das gemacht, was wir von der französischen Küche adaptiert haben. Und ich bin, anders als die Mehrheit der heutigen Generation von Köchen, auch noch ein klassisch ausgebildeter Handwerker, auch das hat man bei Wohlfahrt gelernt: Ich filetiere jeden Fisch, der hier serviert wird, selber, das erspart Abfälle und inakzeptable Zuschnitte bei sehr teurer und perfekter Ware. In 45 Minuten löse ich Ihnen zehn Tauben aus und pariere zwei Lammrücken. Damit sind junge Köche heute einen ganzen Tag beschäftigt, selbst die aus Europas besten Häusern.“

Die Zusammenführung von französischer und japanischer Küchentradition – ein sperriger oder ein geschmeidiger Prozess? „Das war ein fließender Richtungswechsel. Ich glaube, entscheidend für den letzten Quantensprung in unserer Küche war für mich aber vor allem die Erkenntnis, sich von keinen Dogmen mehr drangsalieren zu lassen, etwa über süß und sauer, kalt und warm, über Texturen bla, bla, bla. Es muss auch nicht immer ein ,philosophischer‘ Teller sein. Ich bin jetzt völlig frei, das zu kochen, was auch mir schmeckt, ich lasse mir von keinem Kritiker mehr vorschreiben, wie ich zu kochen habe. Und, hey, es muss doch in einem Menü auch Gerichte geben, die einfach nur lecker sind! Als ich diesen Weg eingeschlagen habe, konnte ich mich auch mit der französischen Klassik wieder versöhnen. Nicht alles und jedes muss sich heute meiner Liebe zur Küche Japans unterwerfen. Unsere Topprodukte wie Jakobsmuscheln, Steinbutt, Seezunge, Geflügel, Gänseleber und so weiter kommen natürlich immer noch aus Frankreich. Und wir machen auch mal ganz banale Pasta mit Kalbsbries und Froschschenkeln, confierter Zwiebel und schwarzer Trüffel. Und warum nicht einen perfekten bretonischen Hummer einfach nur in Butter pochieren? Oder mal eine Beurre blanc servieren zum Steinbutt?“

Was soll aus Christian Bau werden, wenn es ihm auch mit der japanischen Küche mal langweilig wird? Ungläubiges Lachen. „Das passiert auf keinen Fall! Aber vielleicht mit 60 aufhören und das Leben genießen...?“

DIE STATIONEN DES CHRISTIAN BAU

GEBOREN AM 14. JANUAR 1971. Verlässt mit 16 das Elternhaus, um eine Kochlehre zu absolvieren. Kochte in der „Talmühle“ in Sasbachwalden, im „Le Canard“ in Offenburg (1992). Auf zu Harald Wohlfahrt – als Souschef (1993–1998, Meisterbrief in 1997). Seit 1. April 1998 Küchenchef in „Victor’s Gourmet-Restaurant“ – heute „Victor’s Fine Dining by Christian Bau“– im Schloss Berg in Perl-Nennig, Saarland. 2018 Verdienstorden der BRD als „Meister der Kochkultur und kulinarischer Botschafter Deutschlands“. 2019 „Ehrenbotschafter der japanischen Küche“. FEINSCHMECKER-Höchstbewertung 5 F, 3 Michelin-Sterne.

„TYPISCH BAU!“

SIGNATURE DISHES – DREI BEISPIELE

WOLFSBARSCH: Er wurde in der Bretagne von Hand geangelt und nach traditioneller japanischer Ikejime-Methode mit einem schnellen, präzisen Stich ins Gehirn getötet; danach lässt man den Fisch ausbluten. „Mit dieser Technik hat man die allerbeste und frischeste Fischqualität“, sagt Bau. Das Filet ist auf der Haut knusprig gebraten, dazu gegrillter Süßwasser-Aal mit kräftigem Teriyaki-Lack und eine intensive Kojyu-Vinaigrette.

TASCHENKREBS: Das zarte Fleisch des Krebses ist mit Gemüsewürfelchen und Schnittlauch als Küchlein angerichtet, getoppt mit Dashi-Gelee, dazu Chips aus Jasminreis und Nori-Algen, Sake-Granité und Dashi-Melone auf Bonito-Vinaigrette.

DER „BAU.STEIN“: Christian Baus bekanntestes Dessert hat als Fundament einen Knusperboden mit Mandeln, der eigentliche „Stein“ wird aus pochierter Tonkabohnencreme in makellose Form gebracht. Begleitmusik: pochierte Birnenkugeln, Ingwer-Macarons und Rotwein-Eis.

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