Ist die Gastronomie in der Krise? Ein Interview

Hamburger Restaurants: Schluss mit der Krise!

Eine Gruppe Hamburger Gastronomen hat ein Bündnis gegründet, um die Probleme in der Gemeinschaft zu lösen. Im Interview erzählen sie, wie die Restaurants mit den neuen Herausforderungen umgehen.
Text Gabriele Heins
Datum23.04.2024

Ist die Gastronomie in der Krise? Die Erhöhung der Mehrwertsteuer im vergangenen Jahr, steigende Kosten von Miete über Strom bis hin zu Lebensmitteln und der Fachkräftemangel stellen viele Betriebe vor große Herausforderungen. In Hamburg hat sich deshalb eine Gastro-Gruppe aus verschiedenen Restaurants zusammengeschlossen. Im Interview erzählen Julia Bode vom Restaurant Witwenball und Johannes (Jo) Riffelmacher vom Salt & Silver, was sie mit der Gemeinschaft erreichen wollen.

Julia Bode vom „Witwenball“ und Johannes Riffelmacher von „Salt & Silver“ sind Teil von der neuen Hamburger Gastro-Gruppe.

Feinschmecker: Liebe Julia Bode, lieber Jo Riffelmacher, Sie haben sich kürzlich mit anderen Hamburger Restaurants zusammengeschlossen ...
Julia Bode und Jo Riffelmacher: ... genau genommen ist es eine Selbsthilfegruppe, entstanden aus der Not.

Feinschmecker: Was heißt das genau?
Julia Bode und Jo Riffelmacher: Der Berg an Herausforderungen wurde immer größer, die wieder heraufgesetzte Mehrwertsteuer im letzten November war der Grund, warum wir uns erstmals zusammengesetzt haben. Von der Politik ist wenig zu erwarten, und auf die Gäste wollen wir unsere Probleme nicht abwälzen, sie sollen bei uns eine schöne Zeit haben.

Feinschmecker: Was sind aktuell die größten Sorgen der Gastronomie? 
Julia Bode und Jo Riffelmacher: Wir müssen alles daran setzen, unsere Mitarbeiter zu halten und verhindern, dass noch mehr in andere Berufe abwandern. Außerdem haben sich unsere Kosten in fast allen Bereichen extrem erhöht.

„Wir fühlen uns nicht mehr allein, sondern stark wie eine Fußballmannschaft.“

Feinschmecker: Wie helfen Sie sich dabei?
Julia Bode und Jo Riffelmacher: Wir arbeiten gerade daran, unsere Buchhaltung und Steuerberatung zu vereinfachen und zusammenzulegen. Wenn man als Gruppe auftritt und somit ein anderes Volumen bewegt, bekommt man bessere Konditionen. Die haben wir auch schon erzielt, als wir uns auf eine neue Reservierungsplattform sowie ein neues Kassensystem geeinigt haben. Auch beim Strom hoffen wir, dass wir durch die Gemeinschaft insgesamt 50 Prozent unserer Kosten senken können. Im Prinzip betrachten wir uns wie ein Franchise-Unternehmen mit verschiedenen Filialen, das auch einen anderen Preis verhandeln kann. Wir treten als Marktmacht auf, nicht mehr jeder nur für sich, und können so großen Anbietern auf Augenhöhe begegnen.

Feinschmecker: Ist es denn immer so leicht, eine gemeinsame Linie zu finden?
Julia Bode und Jo Riffelmacher: Unser Wille ist es, überall einen Kompromiss für alle zu finden. Wir treffen uns jeden Donnerstag, verteilen die Aufgaben in Arbeitsgruppen und Workshops. Das hat bisher sehr gut geklappt.

Feinschmecker: Und jeder muss seine Zahlen natürlich offenlegen.
Julia Bode und Jo Riffelmacher: Genau, die totale Ehrlichkeit ist die Voraussetzung für unsere Zusammenarbeit. Zu Beginn haben alle ihre Umsätze und Gewinne offengelegt, alle Gehälter und Kosten. Das war interessant, alles zu vergleichen.

Feinschmecker: Was gibt es sonst noch an Ideen?
Julia Bode und Jo Riffelmacher: In Planung ist ein gemeinsames Lager, gemeinsamer Einkauf von Lebensmitteln, von Wein oder auch von Folien, Verpackung und Spülmittel, was bei allen ein Riesenposten ist. Wir denken aber auch an Vergünstigungen für Mitarbeiter, die in den Partnerrestaurants essen gehen, oder an eine Rotation von Personal. Und natürlich empfehlen wir uns den Gästen gegenseitig, wenn wir ausgebucht sind.

Feinschmecker: Welchen persönlichen Gewinn ziehen Sie aus der Zusammenarbeit?
Julia Bode und Jo Riffelmacher: Wir sehen uns nicht mehr als Konkurrenten. Wir sind freundschaftlich verbunden und teilen dieselben Werte: Persönlichkeit, Handwerk, keine Produkte aus Massentierhaltung. Und wer eine Frage hat, kann sich auf das Netzwerk verlassen. Man fühlt sich nicht mehr allein, sondern stark wie eine Fußballmannschaft.

Feinschmecker: Welche gute Idee der Kollegen verblüffte Sie bisher am meisten?
Julia Bode und Jo Riffelmacher: Die Peruaner vom „Tigre“ haben uns mit ihrem digitalen Controlling total überrascht. Im Lokal ist es immer laut und wuselig, aber jede Zahl wird exakt erfasst. Davon kann man sich eine Scheibe abschneiden.

Die Hamburger Gastro-Gruppe

Welche Restaurants gehören noch zur Hamburger Gastro-Gruppe? Gastronomen und Gastronominnen aus folgenden Betrieben haben sich zusammengeschlossen: Bistro Carmagnole, Haebel, Jing Jing, Kaalia, Kiosque, Klinker Bar & Restaurant, Klippkroog, Maa Deyo, Salt & Silver, Tigre, Überquell, Weinladen St. Pauli, Witwenball und XO Seafoodbar.

Feinschmecker-Bewertungen

Witwenball
K N R Q F V

Konzept: Szeniges Restaurant mit zeitgemäßer Küche und Weinschwerpunkt.
Küche: Die Inhaber Julia und Axel Bode wählen die Produkte für die kreativen Gerichte genauso sorgfältig aus wie die Weine – gerne bio, gerne regional, etwa für Erbsen-Panna-cotta mit Falafel, Ayran, Granatapfel und Minze (€ 16), das Seafood-Pot-au-feu kommt mit Fregola-Sarda-Pasta und Bouillabaisse-Schaum (€ 23). Sonntag ist Wiener-Schnitzel-Tag (€ 29).
Getränke: Handwerkliche Weine abseits des Mainstreams sind auf der fulminanten 390 Positionen umfassenden Karte vertreten. Überwiegend aus Deutschland, Österreich, Frankreich, Spanien, Portugal und Südafrika kommen die Güter, die biodynamisch, biologisch oder naturnah arbeiten.
Atmosphäre: Ehemals ein Tanzlokal („Elfriedes Witwenball“), ist das Art-déco-Flair erhalten. Innen schick und farbenfroh. Kleiner Außenbereich mit Olivenbäumchen.

Weidenallee 20, 20357 Hamburg
+49 (0) 40 53630085
www.witwenball.com
Mi-Fr 18-23 Uhr, Sa 17.30-23 Uhr, So 17-23 Uhr
Menüs € 59 - 59
Salt & Silver Lateinamerika
K R Q F V

Konzept: Legeres Fine Dining Restaurant in Hafennähe mit Fokus auf lateinamerikanischer Küche, Menü mit 4 bis 6 Gängen (69 - 99 €)
Küche: Die Gerichte zeigen den klaren Fokus auf Mexiko und Peru, doch sind immer wieder von anderen Kulturen geprägt. Zum Start kommt ein Ceviche mit geschmacklich ausbalancierter Harmonie aus Säure und Schärfe. Als Zwischengang eine knusprige Tostada mit Tatar vom Holsteiner Rind und Daikon, diese darf und soll hier mit den Händen gegessen werden. Das Onsen Ei wird von cremiger Sauce Hollandaise begleitet und mit Kimchi kontrastiert, was den Gang so in Spannung gesetzt. Im Hauptgang wird ein gebratener Hamachi-Flügel mit Fenchel serviert.
Wein: Die Weinkarte ist auf Naturwein fokussiert, jedoch an keiner Stelle anstrengend. Sie enthält viele Geheimtipps und Newcomer der Szene.
Atmosphäre: Team und Publikum sind leger, jung und divers. Im Sommer gibt es einige Tische draußen mit Blick auf den Hafen.
Fazit: Qualität trifft Lässigkeit: Casual Fine Dining im Wortsinn.

St. Pauli Hafenstraße 140, 20359 Hamburg
+49 (0) 40 000000
saltandsilver.de
Mo-Sa 18-23 Uhr
Menüs € 69 - 99
Jing Jing
H K R Q F V

Konzept: Lässiges Bar-Restaurant in einem Hinterhof mit moderner Thaiküche.
Küche: Vorweg passt etwa ein Rindertatar mit thailändischer Gewürzpaste, Cashews und Thaikräutern (€ 15,90), einen schönen Biss hat der dry-aged Hamachi aus Dänemark mit Nam-Prik-Sauce, Minze und Koriander (€ 16,60).Viel Wumms haben die gebratenen Meeresfrüchte mit frischem grünem Pfeffer Meeresfrüchte (€ 18,60), Veganer werden glücklich mit gebratener Aubergine mit Thai-Basilikum und hausgemachter veganer Fischsauce (€ 14,60).
Getränke: Kleine, hauptsächlich deutsch orientierte Weinkarte. Viele Cocktails an der zugehörigen Bar.
Konzept: Lichterketten und ein Leuchtschriftzug kennzeichnen außen die schuppenartige Location. Drinnen schmücken viele Lampen den Raum, man nimmt an Holztischen Platz und wird freundlich geduzt. Je später der Abend, desto lauter die Musik.

Waterloohain 7, 22769 Hamburg
www.jing-jing.de
Di-Do 18-0 Uhr, Fr, Sa 18-2 Uhr
Menüs € 54 - 89
XO Seafoodbar
K R Q F V

Konzept: Lebendiges Bar-Restaurant im Herzen von St. Pauli mit Schwerpunkt auf Fisch und Meeresfrüchten, begleitet von regionalem Gemüse. Alle Gerichte à la carte, zusätzlich gibt es ein Chef‘s Choice Menü.
Küche: Inhaber Fabio Haebel bezieht für sein Restaurant die besten Produkte aus dem Meer und orientiert sich dabei an der saisonalen Verfügbarkeit. Nori-Cracker mit Fisch-Tatar und Sauerampfer (€ 12) gibt es immer, ebenso den „Pasta Krabbe“ mit Krabbenbisque und Forellenkaviar (€ 26). Je nach Verfügbarkeit wechselt der Catch of the day oder Crudo vom Tagesfang, im Frühsommer mit Rhabarber, Spargel und Pistazien (€ 19). Apfelkuchen mit Haselnusseis und Fichtensprossen (€ 12) ist ein Klassiker, Erdbeersalat mit Buttermilcheis (€ 10) ein Sommerdessert.
Getränke: Europäisch geprägte Weinkarte und Signature Drinks.
Atmosphäre: Entspannte und offene Atmosphäre mit Plätzen an der offenen Küche oder im hellen, skandinavisch eingerichteten Gastraum. Im Sommer gibt es einen kleinen Außenbereich.

Paul-Roosen-Str. 22, 22767 Hamburg
+49 (0) 151 72423046
www.thisisxo.de
So, Mi-Sa 17-0 Uhr
Menüs € 69 - 69
haebel
R Q V

Konzept: Mitten im Herzen von St. Pauli liegt das kleine Fine-Dining-Restaurant mit regionaler und nachhaltiger Ausrichtung. Es werden zwei Menüs angeboten, eines davon vegetarisch.
Konzept: Die Küche von Kevin Bürmann konzentriert sich auf zwei Dinge: das Produkt und den Wohlgeschmack. Gleich zu Beginn überzeugen die zart gebackene Praline vom Schweinskopf und die mit Entenfett Hollandaise überbackene Auster. Die säuerlich gewürzte Vinaigrette zum Bittersalat bekommt einen süß-cremigen Kontrast durch eine Paste aus gerösteten Haselnüssen – sehr gut. Aus Kartoffeln werden knusprig-fluffige Donuts mit einer würzigen Creme aus Belper Knolle. Die Ente wird in zwei Gängen serviert: zunächst als Dumplings aus der Keule, dann die auf den Punkt gebratene Brust mit intensiver Jus, leicht gegartem Grünkohl und Grapefruit-Sabayon, die herb-frische Akzente setzt
Wein: 120 Positionen stehen auf der Karte von Sommelière Jule-Fee Poll, vom Newcomer bis zum Klassiker ist alles dabei.
Atmosphäre: Entspanntes Ambiente im skandinavischen Stil in urbaner Umgebung. Die offene Küche und der Pass im Gastraum sind Teil des Konzepts. Für die 14 Gänge bitte etwas Zeit einplanen.
Fazit: Stimmiges, legeres Genusserlebnis, das einfach Spaß macht.

Paul-Roosen-Str. 31, 22767 Hamburg
+49 (0) 157 86864585
www.haebel.hamburg
Di-Sa 18-22 Uhr
Menüs € 129 - 149
Weinladen
R Q

Die Sommelière Stephanie Döring hat eine hervorragende Auswahl. Gute Beratung.

Paul-Roosen-Str. 29, Hamburg
+49 (0) 40 37029728
www.weinladen.de
Tigre
K R Q

Nernstweg 32-34, 22765 Hamburg
+49 (0) 163 3126491
www.lechedetigre.de
Mi-So abends geöffnet
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