Japanischer Whisky – der Kultwhisky Nikka
Text: Agnes Tandler
Japanischer Single Malt nebst Wintersport-Paradies
Der kleine Bahnhof in Yoichi auf der japanischen Insel Hokkaido hat nur drei Gleise. Viele Züge halten hier nicht. Die meisten Reisenden sind Wintersportler:innen auf dem Weg nach Niseko, sie haben Ski, Snowboards, Helme und Stöcke auf den Gepäckablagen im Zug verstaut. Nur eine kleine Gruppe von Passagieren steigt in Yoichi aus. Mit Trenchcoats und Lederschuhen würden die Besucher:innen besser in die Straßen von Tokio passen als in den tief verschneiten Ort, 1059 Kilometer nördlich von Japans Hauptstadt. Yoichi ist weit entfernt von der Hektik Tokios. Der Bahnhofsvorsteher kontrolliert hier noch von Hand die Fahrkarten der Reisenden. Diejenigen, die sich im tiefen Winter hierher durchschlagen, haben alle ein Ziel vor Augen: traditionellen japanischen Whisky! Nur ein paar Schritte vom Bahnhof des 20000 Einwohner großen Städtchens entfernt steht die wichtigste Destillerie Japans, Nikka.
Die Geschichte der Nikka Distillery
Hier begann 1936 der abenteuerlustige Japaner Masataka Taketsuru seinen Lebenstraum zu verwirklichen: einen heimisch produzierten Whisky für das Land der aufgehenden Sonne, das bis dahin fast nur Sake (Reiswein) oder Obstliköre kannte. Geboren in eine Familie von Sake-Fabrikanten in Hiroshima, hatte sich Masataka 1918 nach Schottland aufgemacht, um das Handwerk des Whisky-Machens zu erlernen. Akribisch trug der Student alles über die Whisky Herstellung in seine Notizbücher ein.
In Schottland lernte der Firmengründer auch seine künftige Frau Rita kennen. Die beiden heirateten im Januar 1920 gegen den entschiedenen Willen beider Familien. Kurz nach ihrer heimlichen Hochzeit brach das japanisch schottische Paar nach Japan auf. Taketsuru war 25, seine Braut ein Jahr jünger.
Der junge Mann überließ nichts dem Zufall: Nach ausführlichen Studien kam er zum Schluss, dass Yoichi, im Norden Japans, am besten für sein Whisky-Projekt geeignet sei. Der Fischerei-Ort auf der Insel Hokkaido hat nicht nur ein ähnliches Klima wie das schottische Hochland, sondern liegt auch direkt an der Küste, wo die Meeresluft und die torfhaltige Erde der Umgebung dem Getränk einen besonderen Geschmack geben. Doch Hokkaido war damals noch eine dünn besiedelte, unwirtliche und schwer zugängliche Region. Wild und ungezähmt, mit harten Wintern und Schneefall von bis zu sieben Metern im Jahr, war Hokkaido eine so ungewöhnliche Wahl, dass Taketsurus Investoren es sich fast anders überlegt hätten. Doch der Gründer beharrte auf seinem Standpunkt, dass Yoichi wegen seiner Lage der einzige richtige Ort in Japan sei. In seiner Autobiographie „Whisky to Watashi“ („Whisky und ich“) lobt Taketsuru Whisky als das „Geschenk der Natur“. Yoichi, auf der Höhe von Wladiwostok am Japanischen Meer gelegen und von drei Seiten von Bergen umgeben, ermöglicht dieses Geschenk noch heute.
Japanischer Whisky aus Nikka – eine Tour durch die berühmte Kultstätte
An der Nikka-Destillerie wird die kleine Gruppe von Reisenden von jungen Frauen in roten Kostümen mit schottischem Tartan Muster und transparenten Regenschirmen empfangen. Es hat wieder begonnen zu schneien. Jeder der Besucher muss nun unterschreiben, dass er nach der Whisky-Verkostung nicht Auto fahren wird, denn dann würde sich auch die Destillerie strafbar machen. Bei Alkohol am Steuer kennt Japan keine Gnade. Dann kann es losgehen.
Zunächst führt die Tour in das Gebäude, wo japanischer Whisky traditionell gebrannt wird. Hier stehen sechs kupferne Brennblasen, die direkt über einem Kohlenfeuer erhitzt werden. Ein Arbeiter im Blaumann schaufelt mit einer Schippe Kohlen in das Feuer unter den Kesseln. Das Verfahren ist immer noch so, wie es Taketsuru damals in der Longmorn-Distillery in Schottland gelernt hatte. Nikka hat die traditionelle Herstellung bis heute beibehalten. Sie ist die letzte Whisky-Brennerei der Welt, die noch mit Kohlenfeuer arbeitet. Jeder der Kupferkessel ist mit weißen, über Kreuz gefalteten Papierstreifen geschmückt, wie man sie auch an japanischen Shinto Schreinen sieht. Diese Tradition hatte Taketsuru aus der SakeBrauerei seiner Familie in Hiroshima übernommen. Die Papierstreifen (japanisch: Shide) sollen böse Geister abwehren und den Whisky rein halten.
Weiter geht es auf dem Gelände zum ehemaligen Labor der Destillerie und dem alten Wohnhaus der Taketsurus gleich daneben. Ein kleines Museum gibt Einblick in das Leben des ungewöhnlichen Paares, das Konventionen und Vorurteilen trotzte. Zusammengetragen sind Andenken, Bilder und Notizbücher. Auch die Wohnzimmereinrichtung samt Tannenbaum und Klavier ist zu besichtigen. Ausgestellt sind auch Ritas Kleider und Kimonos, ihre runde Brille und ihr Golfschlägerset. Fotos zeigen Rita beim Skifahren und ihren Mann bei der Bärenjagd, im weißen Laborkittel und bei der Apfelernte: Um die Zeit zu überbrücken, die der japanische Whisky zum Reifen brauchte, verlegte sich die Brennerei zunächst auf die Herstellung von Apfelsaft und Apfelschnaps.
Wann kam der erste Nikka aus Japan auf den Markt?
Erst 1940 kam der erste Whisky in den Verkauf. Das Timing war gut: Japan war im Krieg, und Wirtschaftssanktionen bedeuteten, dass das Land keinen schottischen Whisky mehr einführen konnte. Gleichzeitig hatte aber Japans Kaiserliche Armee Geschmack an dem Tropfen gefunden. Taketsuru lieferte japanischen Whisky, und im Gegenzug wurde Nikka als kriegswichtige Produktionsstätte eingestuft und bekam weiter Kohle, Gerste und Holz zugeteilt. Für Rita hingegen war die Kriegszeit weniger einfach: Als Ausländerin wurde sie auf der Straße beleidigt und mit Steinen beworfen. Zeitweilig waren die Behörden überzeugt, dass Rita eine Spionin sei und beschatteten die gebürtige Schottin.
Ab an die Bar: Japanischer Kultwhisky im Live-Test
Vom Ausflug in die Geschichte geht es nun an die Theke: Haruo Yamaki, ein Barkeeper aus Nagoya, ist dafür mehr als 1500 Kilometer angereist. Er ist bekennender Nikka-Fan. Auch Brandan Wong, ein IT-Fachmann aus Singapur, ist hier, um japanischen Whisky zu verkosten. Das Ziel ist die standing bar neben dem Museum, eine an einen Pub erinnernde Bar, in der über 50 Sorten Whisky ausgeschenkt werden. Etliche Flaschen, die hinter der Eichentheke aufgereiht stehen, sind im Handel gar nicht mehr erhältlich. Nikka, inzwischen unter dem Dach der Asahi-Brauerei, beendete im Jahr 2014 den Verkauf von Taketsuru und 2015 den Verkauf aller Yoichi-Whiskys mit Jahresangabe.
Yamaki lässt es sich nicht entgehen, die ganze Reihe der raren Whiskys durchzuprobieren. Als Barkeeper, so sagt er, brauche er auch praktisches Wissen. Sein Lieblingswhisky an diesem Nachmittag ist der wunderbare 21-jährige Taketsuru Pure Malt, ein blended Whisky, und der 12-jährige Yoichi Single Malt mit tiefem Aroma, salzigscharfen Noten, einem langen Abgang und dem Geschmack gerösteten Getreides. Viel Zeit bleibt nicht, denn die Bar schließt im Winter bereits um 16 Uhr, wenn es dunkel wird.
Japanischer Whisky im Aufschwung
Nach Jahren der Stagnation erfreut sich japanischer Whisky wieder einer steigenden Nachfrage. Grund dafür ist auch die Liebesgeschichte, die mit Yoichi verbunden ist. Zwischen 2014 und 2015 zeigte der staatliche Fernsehsender NHK eine 91 Episoden lange Serie über das Leben und die Liebe von Rita und Masataka Taketsuru mit dem Titel „Massan“, dem Kosenamen von Rita für ihren Ehemann. Das Epos wurde ein riesiger Erfolg. Weil große Teile in Yoichi und Hokkaido gefilmt wurden, bescherte das TV-Drama der Nikka Destillerie eine Flut von Besuchern und machte Whisky-Trinken wieder beliebt. Die Verkaufszahlen schnellten nach oben.
Emiko Kaji, Nikkas Leiterin für den internationalen Markt, sagt, die Serie habe ein regelrechtes Fieber entstehen lassen. „Wir haben das nicht erwartet.“ Dieses Ereignis sei natürlich die perfekte Gelegenheit gewesen, das 80-jährige Bestehen der Firma zu feiern, doch die rasant steigende Nachfrage habe es schwieriger gemacht, die Vorräte zu managen. Auch andere japanische Whisky Firmen werden inzwischen von ihrem großen Erfolg eingeholt. Mitte 2018 stellte Suntory den Verkauf ihres 12-jährigem Hakushu und des 17-jährigen Hibiki ein.
Nachdem der Schauspieler Bill Murray im Film „Lost in Translation“ (2003) den 17-jährigen Hibiki getrunken hatte, fand der Whisky in der eleganten Flasche weltweit neue Liebhaber. Und Anfang 2019 folgte eine weiterer Schock für die Fans japanischen Whiskys: Beendet wurde die Produktion des Suntory Shirokaku, des Nikka 12, des Nikka Coffey Grain und des Nikka Coffey Malt, des Suntory Chita in den kleinen 350ml-Flaschen und des in Japan so beliebten Kakubin in der 450ml-Größe. All diese Whiskys sind nun nur noch in Restbeständen auf dem Markt.
Alte Jahrgangswhiskys vs. limited Editions: japanischer Whisky hat viele Facetten
Nikka und Suntory, die beiden großen japanischen Whisky-Produzenten, weichen inzwischen auf neue Produkte aus, um den Engpass bei den alten Jahrgangswhiskys zu überbrücken. Der „Hibiki Japanese Harmony“, ein japanischer blended Whisky ohne Jahrgangsbezeichnung, kam 2015 auf den Markt, nachdem die Fässer mit den Jahrgangswhiskys sich immer rascher leerten. Nikka hat eine limited Edition von Single Malt Yoichi in den drei Geschmacksrichtungen „Sherry and Sweet“, „Woody and Vanillic“ und „Peaty and Salty“ aufgelegt. Wer noch die alten Abfüllungen probieren will, muss nach Yoichi reisen.
Hier gibt es japanischen Whisky zu kaufen:
- Nikka Days, Blended Whisky, 40 Vol.%, € 29,90, www.whiskyzone.de
- Nikka From The Barrel, 51,4 Vol.%, 0,5 l, € 32,80, www.rumpiraten.de
- Nikka Single Malt Yoichi, 45 Vol.%, 0,7 l, € 64,90, www.drinks.de
- Single Malt Miyagikyo, 45 Vol.%, 0,7 l, € 65,90, www.weisshaus.de