Martín Berasategui
Die größte Inspiration für Martín Berasategui? Die Markthalle von San Sebastián mit Schätzen des Atlantiks und des grünen Hinterlands. So schaffte Martín Berasategui das größte kulinarische Imperium der Iberischen Halbinsel.
Martín Berasateguis Kindergarten und Universität
Die Geschichte von Martín Berasategui ist die eines Vollblutkochs. Einem, der nie etwas anderes werden wollte als Koch und bei dem man noch heute, mit 60 Jahren, die Leidenschaft spürt, sobald er über die Produkte seiner baskischen Heimat spricht. Über Meerbrasse und Seehecht, den beliebten Merluza, über Teppichmuscheln und Chipirones, kleine Kalamare, gefischt aus den Tiefen des Atlantiks, an dessen Ufern seine geliebte Heimatstadt San Sebastián liegt. Über wilde Tauben, Kaninchen und Kräuter aus den Bergen des grünen Hinterlands. Und über all die anderen kulinarischen Schätze, die man in Donostias (so heißt San Sebastián auf baskisch) legendärer Markthalle La Bretxa findet.
Nur ein paar Schritte entfernt ist er aufgewachsen, buchstäblich im Lokal der Familie, dem Bodegón Alejandro. „Die Küche meiner Eltern, das war mein Kindergarten und meine Universität.“ Er erinnert sich an den Duft über Holzkohle gegrillter Sardinen, an die Sammler, die mit frischen Steinpilzen an die Küchentüre kamen und an die schimmernden Angulas , Glasaale, die es traditionell zu Weihnachten gab.
Ich bin selbst ein ewiger Lehrling
Es war ein weiter Weg vom volkstümlichen Bodegón in die Hightech-Küche seines Restaurants Martín Berasategui in einem grünen Vorort der Stadt. Hier steht er heute am Pass, umgeben von jungen Köchen aus Brasilien, Korea, den USA oder der Karibik, die bei ihm die große Küche lernen wollen. Doch der Chef sieht sich nicht als Lehrmeister: „Ich bin selbst ein ewiger Lehrling.“ Das ist natürlich Tiefstapelei, aber typisch für den Mann, der sich bei allem Erfolg viel Bescheidenheit bewahrt hat.
Nie würde er darüber sprechen, wie oft eines seiner berühmtesten Gerichte, das karamellisierte Millefeuille von Aal, Gänseleber und grünem Apfel, schon kopiert wurde. Dabei ist es eine seiner persönlichsten Kreationen: „In einem Bissen steckt mein ganzes Geschmacksuniversum.“ Die satten Aromen des im Baskenland so beliebten Aals stehen für seine Heimatverbundenheit, die Süße der Foie gras für die prägenden Lehrmeister in Frankreich. Der Apfel, der mit frischer Fruchtsäure die Schwere aufmischt, repräsentiert die Ideen der Nueva Cocina Vasca, der neuen baskischen Küche. Ihre Vertreter bildeten neben den katalanischen Kollegen unter Führung von Ferran Adrià das kreative Rückgrat der spanischen Avantgarde.
San Sebastíans Seele kennenlernen
Berasategui ist ein Sohn seiner Stadt, dieses essverrückten San Sebastián, das ab den frühen 1990er-Jahren zur Keimzelle der neuen baskischen Küche wurde, weil hier mit Juan Mari Arzak, Pedro Subijana und Martín Berasategui kreatives Talent auf den Schatz eines reichen kulinarischen Erbes traf. Bis heute verfügt die knapp 200 000 Seelen Stadt über eine der höchsten Sternedichten weltweit. „Wer der Seele von San Sebastián nahekommen will, der muss am Meer spazieren gehen“, sagt Martín Berasategui. „Am besten bei Sonnenaufgang, wenn die Fischerboote am Miramar Palast hinausfahren.“
Martín Berasateguis Weg nach Frankreich
Als Junge verbringt er viel Zeit mit den Fischern und Hafenarbeitern in den Txokos, einfachen Kantinen, wo über dem Holzfeuer gekocht wird. Mit 14 Jahren beginnt Martín Berasategui im elterlichen Restaurant zu arbeiten. Die Grundlagen des Küchenhandwerks bringen ihm nach dem frühen Tod des Vaters seine Mutter Gabriela und seine Tante Maria bei. Mit 17 Jahren schickt ihn die Mutter für ein Praktikum das erste Mal nach Paris, um die Kunst der Patisserie zu entdecken. Von da an zieht es ihn immer wieder ins Nachbarland, manchmal kann er sich im „Bodegón Alejandro“ für ein paar Wochen loseisen, oft genug aber opfert er seinen freien Tag. Dann steht er um halb fünf Uhr auf und fährt ins nahe Frankreich, um in namhaften Patisserien, Charcuterien und Restaurants mitzuarbeiten. Später öffnen sich dem wissensdurstigen jungen Mann auf diese Art auch die Türen von Michel Guérards Les Prés d’Eugénie und Alain Ducasses Le Louis XV in Monaco.
Vor den Toren der Stadt
Mit 25 Jahren erkocht Martín Berasategui im Bodegón Alejandro den ersten Stern. Mit 33 eröffnet er, gemeinsam mit seiner Frau Oneka Arregui, bis heute als Restaurantleiterin an seiner Seite, das eigene Restaurant Martín Berasategui vor den Toren der Stadt. Rasch macht er überregional von sich reden. In seiner Küche trifft die technische Präzision, die er sich in Frankreich aneignete, auf kreative Energie und den Willen, die Küche und Produkte seiner Heimat einem größeren Publikum bekannt zu machen. Die Gäste schmecken beglückt einzelnen Aromen nach, wenn der Meister Schweinehals in einen hauchdünnen Raviolo verwandelt, ihn mit Eigelb füllt und dazu einen „flüssigen Salat“ als grüne Creme auf den Teller pinselt. Gern kombiniert er Fisch und Meeresfrüchte mit Produkten aus dem Hinterland und den Bergen. „Mar i muntanya“, nennt man in Spanien Gerichte, die diese Dualität aufgreifen – etwa die tropfenförmigen jungen Erbsen, deren Süße Berasategui mit Seegurken, sautierten Jakobsmuscheln und einer Seeigelcreme herausstreicht.
Großzügigkteit und professionielle Detailgenauigkeit
Einer seiner feinsten Charakterzüge ist die Großzügigkeit, von der nicht nur die Gäste profitieren, sondern auch die Mitarbeiter. Er ist der geborene Lehrmeister, der sein Wissen mit den vielen jungen Talenten, die bald aus allen Teilen Spaniens in seine Küche strömen, freigiebig teilt. Es entsteht eine Art Berasategui Schule, die sich in strenger professioneller Detailgenauigkeit, großem Respekt vor den Produkten der Natur und dem Einsatz modernster Küchentechnik manifestiert. Zu seinen namenhaften Schülern zählen der Andalusier Dani García und sein baskischer Landsmann Andoni Luis Aduriz, dem er als Mentor ermöglichte, sein eigenes Restaurant Mugaritz außerhalb von San Sebastián zu eröffnen, heute ebenfalls ein Fixstern baskischer Avantgarde.
An Stelle drei des Michelins
„Mein Vater hat mir beigebracht, wie wichtig Teamwork in der Küche ist“, sagt Berasategui. „Wer sich selbst an erste Stelle stellt, der limitiert sich. Denn in dem Moment verlierst du deine Demut. Und wenn du deine Demut verlierst, bist du tot.“ Mit dieser Einstellung war der Meister aus San Sebastián prädestiniert, ein Gastro-Imperium aufzubauen, inspiriert vom großen Vorbild Alain Ducasse. Angebote für Restauranteröffnungen gab es genug und loyale Schüler, die als Küchenchef vor Ort agieren konnten, ebenfalls. Heute steht der bescheidene Junge aus dem Bodegón Alejandro mit insgesamt 12 Sternen an dritter Stelle weltweit, wenn es nach der Hitparade des Michelin geht.
Hommage an die Produkte des Meeres
Neben den drei Sternen im Stammhaus führt er auch im Restaurant Lasarte im Monument Hotel in Barcelona die höchste Auszeichnung. Am Herd steht dort der Italiener Paolo Casagrande, seit 20 Jahren an der Seite des Meisters. Die Küche ist eine Hommage an die Produkte des Meeres, allen voran die tiefrote Gamba aus dem Dorf Palamós: Ihr leicht süßliches Aroma unterstreicht der Küchenchef, indem er sie ganz kurz dämpft und „in ihrem natürlichen Habitat“ serviert, gebettet auf Algen, in einem aus den Schalen gekochten Jus, getoppt mit einem knallgrünen Klacks Seetang Mayonnaise.
Die Küche seiner Mutter
Auch auf Teneriffa ist Berasategui präsent, das Restaurant MB im Hotel Ritz Carlton Abama führt zwei Sterne. Im gleichen Haus liegt das Txoko, inspiriert von den einfachen Fischerkantinen seiner Kindheit. Hier, im Lokal mit markant schwarz weißem Terrazzo Boden, lässt er im lockeren Bistrostil die Küche seiner Mutter aufleben, traditionelle baskische Gerichte, bereitet aus hochwertigen Zutaten. Hier stehen auch Kokotxas auf der Karte, die Kiemenbacken vom Seehecht, wie man sie in San Sebastián überall serviert: „Kokotxas verbinden intensiven Meeresgeschmack mit Saftigkeit und einer leicht gelatinösen Textur“, sagt Berasategui. „Wenn ich das esse, geht mir das Herz auf.“
So schmeckt Martín Berasategui – Signature Dishes
Mithilfe der für die spanische Avantgarde so typischen molekularen Technik interpretiert Berasategui den baskischen Aperitif-Klassiker „Gilda“ neu: Normaler - weise als Spießchen von Sardelle, Olive und grüner Peperoni serviert, wird er bei ihm zu einem Löffel mit Sphären der drei Bestandteile. Dazu kombiniert er Tomaten-Kapern-Wasser und Tatar vom begehrten katalanischen Balfegó-Thunfisch. Als Hommage an die Fischer von San Sebastián versteht Berasategui seinen gegrillten Seeteufel im Speckmantel auf Langustinencarpaccio, der mit gebratenen Fenchelwürfeln und Sepia-Chip serviert wird; die Aromatik des Atlantiks inszeniert er als asiatisch gewürzte Fischsuppe mit Kokosmilch, Kaffirlimette, Chili und Gangal. Auch zum Dessert gibt sich der Meister gern spielerisch: Die „falsche“ Limette, in der Silikonform entstanden, füllt er mit Eis von Limettenschale und arrangiert dazu Gin-Granité, Mandelespuma, Kakaoknusper und Basilikumsaft.
Ein Leben für die Küche
Martín Berasategui 1960 in San Sebastián geboren, geht er mit 15 Jahren im elterlichen Restaurant Bodegón Alejandro in die Lehre, später bildet er sich bei Didier Oudill, Michel Guérard und Alain Ducasse weiter. 1986 erkocht er zu Hause den ersten Stern. 1993 eröffnet er sein eigenes Restaurant „Martín Berasategui“, das 1995 mit dem ersten, 1997 dem zweiten und 2001 mit dem dritten Michelin-Stern ausgezeichnet wird. Auch als Gastro-Unternehmer ist er erfolgreich – sein Imperium zählt heute 17 Restaurants und 12 Michelin-Sterne auf der Iberischen Halbinsel.