Kulinarische Moderne in der Pfalz: Restaurants mit kühner Küche
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Lange vorbei sind die Zeiten, als der Weinort Deidesheim vor allem für den Stammgast Helmut Kohl bekannt war, der ausländischen Staatschefs am grünen Kachelofen im "Deidesheimer Hof" gern seine berühmte "Saumagen-Diplomatie" angedeihen ließ. Heute reihen sich im Ortskern stilvolle Vinotheken, und durch die schmalen Gassen fährt schon mal ein Aston Martin mit englischem Kennzeichen. Dass das schmucke 3700-Einwohner-Städtchen zum beliebten Naherholungsziel wurde, verdankt es nicht nur hochdekorierten Weingütern wie Bassermann-Jordan, Von Buhl und Von Winning, sondern auch auch dem Engagement von Küchenchef Schimkowitsch im "L.A. Jordan".
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Das L.A. Jordan in Deidesheim begeistert mit Kontrasten
Odinstal-Rind "Jackson Pollock", so heißt das Gericht, das wohl besser als jedes andere die neue Pfälzer Küche auf den Punkt bringt: Das zum Tatar geschnittene Fleisch stammt von einem Charolais-Rind, das frei auf den grünen Wiesen des biodynamisch bewirtschafteten Weinguts Odinstal hoch über Wachenheim aufwuchs.
"Wie jedes Jahr haben wir ein halbes Jungrind abgenommen und komplett verwertet", sagt Daniel Schimkowitsch, Küchenchef im Restaurant "L.A. Jordan" in Deidesheim. 40 Tage ließ er die Keule im Reifeschrank hängen, bevor er das Fleisch fein aufschnitt, um es mit Salz und fermentiertem Pfeffer zu marinieren. Serviert wird das Tatar mit einem im Pollock-Stil auf den Teller gespritzten Reigen aus Gänselebersauce, Kopfsalatsaft und Trüffelvinaigrette – "weil ich die Dinge gern mal etwas wilder anlege", sagt Schimkowitsch. Beim Servieren am Tisch stellt der Service neben das Tatar noch einen weißen Porzellanbecher mit intensiv duftender Umamibrühe, aus den Knochen gekocht und mit Zimt, Sternanis und Macisblüte aromatisiert. Das Pfälzer Spitzenprodukt, die intensive Aromatik, der kreative Touch – mit dieser Stilistik holt der 38-Jährige Auszeichnungen in seine Wahlheimat und prägt als Impulsgeber die gesamte Region.
Konzept: Kreatives Fine Dining auf dem historischen Gelände des Ketschauer Hofs im Ortskern von Deidesheim. Ein Menü mit 6-8 Gängen.
Küche: Intensive Aromatik, jede Menge Kreativität, hochkarätiger Einkauf – das sind die Pfeiler von Daniel Schimkowitschs Erfolg. Beim besten Koch der Pfalz dreht sich alles um das große Produkt: Für das Tatar vom Odinstaler Rind lässt er das Fleisch 40 Tage abhängen und serviert es mit den Aromen von Foie gras, Kopfsalat und Trüffelvinaigrette; Seeforelle von Niki Birnbaum rahmt er mit Walnuss, Pfifferlingen und geräucherter Hollandaise ein. Im Frühjahr scoutet er baskische Lagrima-de-Costa-Erbsen und serviert sie mit Kaviar auf Gazpacho von der Green-Zebra-Tomate; sein Japanfaible lebt er aus, wenn er klassische Sauce royale zum Reh mit Ponzu, Kombu-Alge und Yuzu aromatisiert.
Wein: Sommelier Stephan Nitzsche hütet einen eindrucksvollen Keller, naturgemäß mit vielen Pfälzer Schätzen (Jahrgangstiefe!), aber auch die weite Weinwelt ist gut vertreten.
Atmosphäre: Gäste haben die Wahl: zeitgemäß-locker mit Blick auf die Küche im Wintergarten oder nebenan unter Kreuzgewölbe mit weiß eingedeckten Tischen. Freundlich-zuvorkommender Service.
Fazit: Großes Genusserlebnis, ganz entspannt präsentiert.
Es sind gerade die Kontraste zwischen historischem Ambiente und zeitgemäßer Küche, die Gäste begeistern: Das Restaurant liegt im ehemaligen Bassermannschen Herrenhaus und wurde nach dem Gründer des Weinguts, Ludwig Andreas Jordan, benannt. Im prächtigen Raum mit Kreuzgewölbe und eindrucksvollen Säulen zündet das Küchenteam Geschmacksfeuerwerke, die Pfälzer Genussfreude mit kulinarischen Einflüssen aus aller Welt, besonders gern aus Japan, verbinden.
Zum Reh mit Kohlrabi-Püree und Kaperngremolata wird am Tisch Sauce Roiyaru gelöffelt, eine Kreation von Schimkowitsch, die auf klassischer Royale basiert, aber durch Ponzu, Kombu-Alge und Yuzu japanisiert wurde. Und zum Dessert schickt Patissier Tatsuya Shimizu eine berückende Kombination aus Tamarindenmousse, Sojasaucen-Karamell, Haselnusseis und einer Nocke Kaviar. Das ist überraschend, sehr genussvoll und rüttelt die Sinne am Ende des Menüs noch mal ordentlich auf. Genau so will es Schimkowitsch, der die Kreation nach der Party-Droge "Special K" benannte: "Wir wollen anders sein, überraschen, aber dabei die Bodenhaftung nie verlieren."
Aufbruchstimmung in der Pfalz durch junge Talente
Das passt zur Aufbruchstimmung in der Pfalz, wo in renommierten Weingütern wie Rebholz oder Christmann zunehmend die nächste Generation den Kurs bestimmt und junge Talente wie die Rings-Brüder, die Seckinger-Brüder oder die Andres-Brüder durchstarten. Ähnlich verläuft die Entwicklung in der Gastronomie. Durch die Nähe zum Elsass sind französische Einflüsse von jeher stark, und so bewegt man sich hier viel im klassischen Bereich, etwa im Freinsheimer "Atable" oder im "Borst" in Maßweiler. Doch hinter mancher historischen Fassade hat längst die kulinarische Moderne Einzug gehalten, wie ein Besuch im Weindorf Wachenheim zeigt.
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Globale Trends im Restaurant Intense im Weindorf Wachenheim
Wie aus dem Bilderbuch wirkt der Ortskern mit Fachwerkfassaden, Kirche und dem blumengeschmückten Innenhof des Sektguts Schloss Wachenheim, im Sommer finden in den kleinen Gassen viele Weinfeste statt. In den historischen Räumen des alten Pfarrhauses führt Benjamin Peifer seit November sein "Intense" fort, das zuvor in Kallstadt beheimatet war. Der Abend beginnt in der wohnzimmerartigen "Gudde Stub" mit einem Amuse-Bouche-Feuerwerk voller Pfälzer Reminiszenzen, darunter die Neu-Inkarnation der regionalen Trilogie "Weck, Worscht, Wei", hier ein Sauerteigbrot mit hausgereiftem Coppa-Schinken und glasierten Rotweinzwiebeln. "Wir sind im Herzen Pfälzer", sagt Peifer, der im nahen Speyer aufwuchs. "Das sollen die Gäste schmecken."
Dass der 33-Jährige bei aller Verwurzelung auch globale Trends aufgreift, zeigt sich gleich nach dem Intro. Die Gäste werden ins eigentliche Restaurant geführt, eine ans historische Haus angrenzende Halle im schicken Industriestil. Man nimmt am Tresen mit Blick in die offene Küche Platz – gefühlt könnte das Restaurant auch in Stockholm, London oder New York liegen. Oder in Tokio, denn Peifer sagt: "Nach einem Japanbesuch hat sich mein Gaumen ganz neu kalibriert." Seither serviert er zum exzellenten Sauerteigbrot Nussbutter mit Brotmiso, und als Basis all seiner Saucen dient klassische Ramen-Brühe.
Zum Freilandhuhn aus dem Nachbardorf Forst, dessen Brust mit Ragout aus der Keule und etwas Leber gefüllt wurde, reduziert er die Ramen-Basis stark ein und schmeckt sie mit Petersilienöl und Yuzu-Koshu ab. Doch Peifer sieht sich nicht als Nippon-Adepten, auch wenn er direkt nebenan mit dem "Izakaya" ein zweites japanisch inspiriertes Lokal führt. "Es ist mehr die Gedankenwelt, die mich fasziniert, der Purismus auf dem Teller, der Fokus auf besten Produkten, am liebsten aus der Region."
Restaurants in der Pfalz: Zu Gast im Intense
Konzept: Fine Dining in zwei Stationen: Von der „Guud Stubb“ mit kleinen Snacks geht es in den Gastraum mit offener Küche. Ein Menü mit 17 kleinen Gerichten.
Küche: Benjamin Peifer und sein Team schaffen ihre ganz eigene kulinarische Identität, indem sie regionale Produkte mit japanischen Kochtechniken oder Zutaten kombinieren – immer geschmacksintensiv und so angerichtet, dass die Gäste einfach nur genießen können. Soja Sauce und Miso sind hausgemacht, Trüffel und Yuzu (frisch) sind zwei der Zutaten, die es in viele Gerichte schaffen. Zum Beispiel beim Freilandhuhn aus dem Nachbardorf Forst, dessen Brust mit Ragout aus der Keule und etwas Leber gefüllt wurde. Die stark reduzierte Ramen-Basis wird mit mit Petersilienöl und Yuzu-Koshu abgeschmeckt. Das offene Feuer ist im Zentrum der Küche und gibt vielen Gerichten einen ganz eigenen, puren Wohlgeschmack.
Wein: 600 Positionen stehen auf der Karte und Sommelière Bettina Peifer Thiel empfiehlt die passenden Weine aus der Pfalz, anderen deutschen Anbaugebieten oder Europa. Sehr gute Champagnerauswahl.
Atmosphäre: Ob an der offenen Küche oder im Gastraum, hier fühlt man sich willkommen. Der Service ist freundlich und gut gelaunt.
Fazit: Ein echtes Erlebnis, dazu herausragende Küche.
Japanisch inspirierter Purismus: Restaurant Irori in Neustadt
Dass man für eine produktorientierte Küche in der klimatisch begünstigten Rheinebene aus dem Vollen schöpfen kann, erlebt man als Besucher schon beim Überlandfahren – Weinberge wechseln sich ab mit Obstplantagen, Gemüseäckern und Getreidefeldern. "Wir beziehen 95 Prozent unserer Lebensmittel von hier", sagt Max Goldberg, der im Februar mit seiner Lebensgefährtin Kerstin Bauer in Neustadt an der Weinstraße das "Irori" eröffnete.
Nicht nur die Zutaten rund um gegrillten Kopfsalat, angerichtet mit Rhabarbergranité, Zucchinicreme, Paprika und Tomatenwasser, wuchsen in der Region. Der junge Chef verarbeitet auch Zitronengras, Ingwer und selbst die asiatische Zitronensorte Buddhas Hand, allesamt in der sonnenverwöhnten Südpfalz gediehen. Goldberg fühlt sich japanisch inspiriertem Purismus verbunden: "Das Allerschwierigste in der Küche ist, alles Überflüssige wegzulassen." Teller wie sein Saibling mit Kohlrabi belegen, wie gut er diese Kunst beherrscht: Der saftige Fisch wurde leicht gebeizt und über offenem Feuer auf der Haut angegrillt, er badet in mit Holunderblüte und Aprikose aromatisierter Ponzu, für Frische und Knackigkeit sorgt roh gehobelter Kohlrabi mit Ingwer. Dazu wird unfiltrierter Sylvaner von Georg Lingenfelder serviert, gereift im Fass aus Pfälzer Eiche.
Das Restaurant in Diedesfeld ist geschlossen. Kerstin Bauer und Max Goldberg eröffnen im Oktober 2024 neu in Knittelsheim.
Gourmetrestaurant XR ergänzt Knipsers Halbstück in Bissersheim
Wie sehr hier Gastronomie und Weinbau verbunden sind, zeigt sich daran, dass viele Winzer selbst ambitionierte Weinstuben und Restaurants betreiben. So ließ Stephan Knipser vom renommierten Weingut Knipser schon vor Jahren ein barockes Anwesen im beschaulichen Bissersheim restaurieren und eröffnete mit "Knipsers Halbstück" eine stimmungsvolle Weinstube – die sich nun noch mal ganz neu ausrichtet. Der neue Küchenchef Christian Rubert lässt eine elsässisch-pfälzische Brasserieküche servieren, mit Fischsuppe im Bouillabaisse-Stil oder à la minute am Tisch tranchiertem Elsässer Junghahn mit Estragonjus und Karotten.
Im Oktober folgt dann im Seitenflügel das Gourmetrestaurant "XR" für maximal 16 Gäste, benannt nach Knipsers bester Bordeaux-Cuvée. Eine neue, komplett verglaste Küche im Innenhof wird es möglich machen, dass die Gäste zusehen, wie ein Gourmetmenü auf klassisch französischer Basis mit regionalem Touch entsteht. Stephan Knipser freut sich darauf, im "XR" neben besten Gewächsen aus Deutschland und der Welt auch sein eigenes Sortiment in seltener Jahrgangstiefe auszuschenken: "Wir wollen zeigen, wie gut gereifte Pfälzer Weine mit kreativer Gourmetküche harmonieren. Dafür öffnen wir gerne unsere Schatzkammer."
Genuss im Weingut: Weitere Empfehlungen in der Pfalz
Auf der Terrasse mit Blick ins Grüne oder drinnen im gewitzten Vintage-Ambiente serviert man, angrenzend ans Weingut Bassermann-Jordan, ambitionierte, französisch inspirierte Küche.
Die modern gestylte Weinstube gehört zum Weingut Rings und bietet eine produktorientierte zeitgemäße Küche, etwa Carpaccio vom Saumagen. Sympathische Gästezimmer.
Unterm Kreuzgewölbe mit schickem Design-Mobiliar oder auf der lauschigen Terrasse genießt man im Weingut von Winning mediterran inspirierte Küche, aber auch Pfälzer Bratwurst mit Rieslingkraut.
Uriger Gutsausschank von 1712 im Forster Weingut Acham-Magin. Zu den eigenen Bio-Weinen wird saisonal gekocht – zum Beispiel Lachs mit Bärlauchrisotto und Rieslingsauce.