Kulinarische Moderne in der Pfalz: Restaurants mit kühner Küche

Kulinarische Moderne in der Pfalz: Restaurants mit kühner Küche

Paris, Tokio – Deidesheim. Sonnenverwöhnt und gesellig ist die Pfalz, aber schon lange nicht mehr bieder. In schmucken Städtchen geben Winzer:innen und junge Gastronom:innen mit kreativer Küche und aufregendem Ambiente der Region ganz neues Flair: weltoffen, wild und überraschend.
Text Patricia Bröhm
Datum29.08.2023

Lange vorbei sind die Zeiten, als der Weinort Deidesheim vor allem für den Stammgast Helmut Kohl bekannt war, der ausländischen Staatschefs am grünen Kachelofen im "Deidesheimer Hof" gern seine berühmte "Saumagen-Diplomatie" angedeihen ließ. Heute reihen sich im Ortskern stilvolle Vinotheken, und durch die schmalen Gassen fährt schon mal ein Aston Martin mit englischem Kennzeichen. Dass das schmucke 3700-Einwohner-Städtchen zum beliebten Naherholungsziel wurde, verdankt es nicht nur hochdekorierten Weingütern wie Bassermann-Jordan, Von Buhl und Von Winning, sondern auch auch dem Engagement von Küchenchef Schimkowitsch im "L.A. Jordan".

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Das L.A. Jordan in Deidesheim begeistert mit Kontrasten

Odinstal-Rind "Jackson Pollock", so heißt das Gericht, das wohl besser als jedes andere die neue Pfälzer Küche auf den Punkt bringt: Das zum Tatar geschnittene Fleisch stammt von einem Charolais-Rind, das frei auf den grünen Wiesen des biodynamisch bewirtschafteten Weinguts Odinstal hoch über Wachenheim aufwuchs. 

"Wie jedes Jahr haben wir ein halbes Jungrind abgenommen und komplett verwertet", sagt Daniel Schimkowitsch, Küchenchef im Restaurant "L.A. Jordan" in Deidesheim. 40 Tage ließ er die Keule im Reifeschrank hängen, bevor er das Fleisch fein aufschnitt, um es mit Salz und fermentiertem Pfeffer zu marinieren. Serviert wird das Tatar mit einem im Pollock-Stil auf den Teller gespritzten Reigen aus Gänselebersauce, Kopfsalatsaft und Trüffelvinaigrette – "weil ich die Dinge gern mal etwas wilder anlege", sagt Schimkowitsch. Beim Servieren am Tisch stellt der Service neben das Tatar noch einen weißen Porzellanbecher mit intensiv duftender Umamibrühe, aus den Knochen gekocht und mit Zimt, Sternanis und Macisblüte aromatisiert. Das Pfälzer Spitzenprodukt, die intensive Aromatik, der kreative Touch – mit dieser Stilistik holt der 38-Jährige Auszeichnungen in seine Wahlheimat und prägt als Impulsgeber die gesamte Region.

L. A. Jordan
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Konzept: Auf dem historischen Gelände des Ketschauer Hofs wird ein 7-Gang-Menü mit zahlreichen Küchengrüßen davor und danach zelebriert.
Küche: Frische, saisonale Zutaten von bester Qualität, schonende Zubereitung, abwechslungsreiche Texturen und Kontraste, Ästhetik beim Anrichten: Die Einflüsse der japanischen Küche auf Daniel Schimkowitschs („Mr. Kaisergranat") oft gewagte, aber geschmacklich immer stimmige Kreationen sind offensichtlich. Zutaten wie Sojasauce, Miso, Kombu-Algen und getrocknete Bonito-Flocken verstärken den herzhaften Umami-Geschmack, der den Gerichten Tiefe gibt und den Appetit anregt. Zu den mutigen und faszinierend harmonischen Kombinationen gehört die salzig-jodige KYS-Auster No. 2 aus der Bretagne, serviert mit zartem Poltinger Lamm, dezent süßem Koshihikari (Premium Sushi-Reis) und wildem Knoblauch. Das Umami-Dessert aus Kombu-Eiscreme und 70-prozentiger Original Beans Cru Virunga-Schokolade ist mit reichlich Kaviar getoppt und mit dünnen Walnussbrot-Scheiben dekoriert.
Wein: Chef-Sommelier Stephan Nitzsche kredenzt zu jedem Gang das passende Glas. Zur Unternehmensgruppe gehören die benachbarten Weingüter Bassermann-Jordan, von Buhl und von Winning. Davon profitiert die Weinkarte mit fast 1200 Positionen (Schwerpunkt Deutschland und Frankreich), die bis ins Jahr 1811 zurückreicht.
Atmosphäre: Im ehemaligen Weingut treffen historische Architektur und modernes Design harmonisch aufeinander. Idyllisch im ruhigen Innenhof gelegen bietet das Restaurant großzügige Platzverhältnisse und charmanten, perfekt abgestimmten Service.
Fazit: Raffinierte, japanisch inspirierte Gourmetküche – viel gewagt und (fast) alles gewonnen.

Ketschauerhofstr. 1, 67146 Deidesheim
+49 (0) 6326 70000
www.ketschauer-hof.com
Mi-Sa 18.30-22 Uhr
Menüs € 155 - 275
Kinmedai-Fisch mit Vadouvan-Gewürz, wildem Kalamandi und Dill im L.A. Jordan

Es sind gerade die Kontraste zwischen historischem Ambiente und zeitgemäßer Küche, die Gäste begeistern: Das Restaurant liegt im ehemaligen Bassermannschen Herrenhaus und wurde nach dem Gründer des Weinguts, Ludwig Andreas Jordan, benannt. Im prächtigen Raum mit Kreuzgewölbe und eindrucksvollen Säulen zündet das Küchenteam Geschmacksfeuerwerke, die Pfälzer Genussfreude mit kulinarischen Einflüssen aus aller Welt, besonders gern aus Japan, verbinden.

Zum Reh mit Kohlrabi-Püree und Kaperngremolata wird am Tisch Sauce Roiyaru gelöffelt, eine Kreation von Schimkowitsch, die auf klassischer Royale basiert, aber durch Ponzu, Kombu-Alge und Yuzu japanisiert wurde. Und zum Dessert schickt Patissier Tatsuya Shimizu eine berückende Kombination aus Tamarindenmousse, Sojasaucen-Karamell, Haselnusseis und einer Nocke Kaviar. Das ist überraschend, sehr genussvoll und rüttelt die Sinne am Ende des Menüs noch mal ordentlich auf. Genau so will es Schimkowitsch, der die Kreation nach der Party-Droge "Special K" benannte: "Wir wollen anders sein, überraschen, aber dabei die Bodenhaftung nie verlieren."

Aufbruchstimmung in der Pfalz durch junge Talente

Das passt zur Aufbruchstimmung in der Pfalz, wo in renommierten Weingütern wie Rebholz oder Christmann zunehmend die nächste Generation den Kurs bestimmt und junge Talente wie die Rings-Brüder, die Seckinger-Brüder oder die Andres-Brüder durchstarten. Ähnlich verläuft die Entwicklung in der Gastronomie. Durch die Nähe zum Elsass sind französische Einflüsse von jeher stark, und so bewegt man sich hier viel im klassischen Bereich, etwa im Freinsheimer "Atable" oder im "Borst" in Maßweiler. Doch hinter mancher historischen Fassade hat längst die kulinarische Moderne Einzug gehalten, wie ein Besuch im Weindorf Wachenheim zeigt. 

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Restaurant Intense: "Forsch der Hinkel" – Huhn aus Forst, Green and Red Hot Sauce

Dass der 33-Jährige bei aller Verwurzelung auch globale Trends aufgreift, zeigt sich gleich nach dem Intro. Die Gäste werden ins eigentliche Restaurant geführt, eine ans historische Haus angrenzende Halle im schicken Industriestil. Man nimmt am Tresen mit Blick in die offene Küche Platz – gefühlt könnte das Restaurant auch in Stockholm, London oder New York liegen. Oder in Tokio, denn Peifer sagt: "Nach einem Japanbesuch hat sich mein Gaumen ganz neu kalibriert." Seither serviert er zum exzellenten Sauerteigbrot Nussbutter mit Brotmiso, und als Basis all seiner Saucen dient klassische Ramen-Brühe. 

Zum Freilandhuhn aus dem Nachbardorf Forst, dessen Brust mit Ragout aus der Keule und etwas Leber gefüllt wurde, reduziert er die Ramen-Basis stark ein und schmeckt sie mit Petersilienöl und Yuzu-Koshu ab. Doch Peifer sieht sich nicht als Nippon-Adepten, auch wenn er direkt nebenan mit dem "Izakaya" ein zweites japanisch inspiriertes Lokal führt. "Es ist mehr die Gedankenwelt, die mich fasziniert, der Purismus auf dem Teller, der Fokus auf besten Produkten, am liebsten aus der Region."

Restaurants in der Pfalz: Zu Gast im Intense

Intense
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Konzept: Benjamin Peifer hat hier sein Herzensprojekt verwirklicht und Küche (mit Grill), Gasträume und Geschirr nach seinen Vorstellungen gestaltet. Fine Dining mit asiatischem Touch als Menü (10 Gänge).
Küche: Der Gruß aus der Küche kommt aus der Heimat und wird in der Guud Stubb serviert, etwa eine Mini-„Dampfnudel mit Woisoß“ – heiß, knusprig, luftig mit süffiger Sauce. Dann werden die Gäste durch eine Schauwerkstatt (Fermentation) in den eigentlichen Gastraum gefüht. Beim anschließenden genussvollen Reigen zeigen Peifer und sein Team ihr ganzes Können: Chawanmuschi mit Koji-Coppa, XO-Sauce und Spargel; Ceviche von Altrheinfischen; hausgemachte Soba mit Garnelen. Peifer ist ein Perfekionist, der sein eigenes Brot backt, Miso und Sojasauce selbst macht und Jahre an dem richtigen Kaffee tüftelte.
Wein: Umfassende Auswahl mit Jahrgangstiefe aus Deutschland und Pfalzschwerpunkt. Menübegleitung mit und ohne Alkohol.
Atmosphäre: Im Raum mit schwarzen Wänden, beleuchteten Sitznischen und großem Tresen agiert der kenntnisreiche Service locker und entspannt. Bettina Peifer-Thiel hat hier die Übersicht.
Fazit: Kulinarische Erlebnisreise auf hohem Niveau in legerer Atmosphäre.

Weinstr. 31, 67157 Wachenheim an der Weinstraße
+49 (0) 6322 6004994
www.restaurant-inten.se
Di, Do-Sa 18.30-20 Uhr
Menüs € 210 - 250

Japanisch inspirierter Purismus: Restaurant Irori in Neustadt

Max Goldberg und Kerstin Bauer aus dem Irori

Dass man für eine produktorientierte Küche in der klimatisch begünstigten Rheinebene aus dem Vollen schöpfen kann, erlebt man als Besucher schon beim Überlandfahren – Weinberge wechseln sich ab mit Obstplantagen, Gemüseäckern und Getreidefeldern. "Wir beziehen 95 Prozent unserer Lebensmittel von hier", sagt Max Goldberg, der im Februar mit seiner Lebensgefährtin Kerstin Bauer in Neustadt an der Weinstraße das "Irori" eröffnete. 

Nicht nur die Zutaten rund um gegrillten Kopfsalat, angerichtet mit Rhabarbergranité, Zucchinicreme, Paprika und Tomatenwasser, wuchsen in der Region. Der junge Chef verarbeitet auch Zitronengras, Ingwer und selbst die asiatische Zitronensorte Buddhas Hand, allesamt in der sonnenverwöhnten Südpfalz gediehen. Goldberg fühlt sich japanisch inspiriertem Purismus verbunden: "Das Allerschwierigste in der Küche ist, alles Überflüssige wegzulassen." Teller wie sein Saibling mit Kohlrabi belegen, wie gut er diese Kunst beherrscht: Der saftige Fisch wurde leicht gebeizt und über offenem Feuer auf der Haut angegrillt, er badet in mit Holunderblüte und Aprikose aromatisierter Ponzu, für Frische und Knackigkeit sorgt roh gehobelter Kohlrabi mit Ingwer. Dazu wird unfiltrierter Sylvaner von Georg Lingenfelder serviert, gereift im Fass aus Pfälzer Eiche.

irori
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Konzept: Wechselndes neungängiges Menü. Eine Fisch-Variante ist ganzjährig, ein vegetarisches Menü von Juni bis Oktober möglich.
Küche: Max Goldberg vereint skandinavische Puristik und japanische Techniken in originellen Menüs. Von seiner letzten Japan-Reise hat er die Idee mitgebracht, den Seehecht mit tieforangener Seeteufel-Leber zu begleiten. Die Wachtelbrust ist gefüllt mit Entenleber und „oxidierten“ Champignons und liegt auf einem Bett aus Süßkartoffel und Kürbiscreme, der Sud aus Aal und Wachtel wird am Tisch angegossen. Grandioses Fleischaroma bei Rippe und Schulter vom Lamm mit ordentlicher Fettdecke. Dazu Paprika, Knoblauch-Aubergine, eingeweckte Artischocke und eine jus naturel. Selbst der Safran, die Kaki-Frucht (zur Lachsforelle) und die Guave fürs Dessert stammen aus der Pfalz.
Wein: Regionaler Schwerpunkt, auch Burgund, Loire und Elsass sind gut vertreten. Zahlreiche biodynamisch arbeitende Produzenten.
Atmosphäre: Das freundlich ausgeleuchtete Fachwerkhaus aus dem 17 Jahrhundert bietet mit nur fünf Tischen einen intimen Rahmen. Freundlicher, bestens organisierter Service.
Fazit: Spannender Genuss bei freundlichen Gastgebern.

Hauptstraße 15a, 76879 Knittelsheim
+49 (0) 175 2437801
www.irori.restaurant
Mo, Do-Sa 18.30-23 Uhr, So 14-18 Uhr
Menüs € 140 - 140

Gourmetrestaurant XR ergänzt Knipsers Halbstück in Bissersheim

Bissersheim, in der Mitte Knipsers Halbstück

Wie sehr hier Gastronomie und Weinbau verbunden sind, zeigt sich daran, dass viele Winzer selbst ambitionierte Weinstuben und Restaurants betreiben. So ließ Stephan Knipser vom renommierten Weingut Knipser schon vor Jahren ein barockes Anwesen im beschaulichen Bissersheim restaurieren und eröffnete mit "Knipsers Halbstück" eine stimmungsvolle Weinstube – die sich nun noch mal ganz neu ausrichtet. Der neue Küchenchef Christian Rubert lässt eine elsässisch-pfälzische Brasserieküche servieren, mit Fischsuppe im Bouillabaisse-Stil oder à la minute am Tisch tranchiertem Elsässer Junghahn mit Estragonjus und Karotten. 

Im Oktober folgt dann im Seitenflügel das Gourmetrestaurant "XR" für maximal 16 Gäste, benannt nach Knipsers bester Bordeaux-Cuvée. Eine neue, komplett verglaste Küche im Innenhof wird es möglich machen, dass die Gäste zusehen, wie ein Gourmetmenü auf klassisch französischer Basis mit regionalem Touch entsteht. Stephan Knipser freut sich darauf, im "XR" neben besten Gewächsen aus Deutschland und der Welt auch sein eigenes Sortiment in seltener Jahrgangstiefe auszuschenken: "Wir wollen zeigen, wie gut gereifte Pfälzer Weine mit kreativer Gourmetküche harmonieren. Dafür öffnen wir gerne unsere Schatzkammer."

Genuss im Weingut: Weitere Empfehlungen in der Pfalz

„1718“

Auf der Terrasse mit Blick ins Grüne oder drinnen im gewitzten Vintage-Ambiente serviert man, angrenzend ans Weingut Bassermann-Jordan, ambitionierte, französisch inspirierte Küche.

„Weinreich“

Die modern gestylte Weinstube gehört zum Weingut Rings und bietet eine produktorientierte zeitgemäße Küche, etwa Carpaccio vom Saumagen. Sympathische Gästezimmer. 

„Leopold“

Unterm Kreuzgewölbe mit schickem Design-Mobiliar oder auf der lauschigen Terrasse genießt man im Weingut von Winning mediterran inspirierte Küche, aber auch Pfälzer Bratwurst mit Rieslingkraut.

„Acham-Magin“

Uriger Gutsausschank von 1712 im Forster Weingut Acham-Magin. Zu den eigenen Bio-Weinen wird saisonal gekocht – zum Beispiel Lachs mit Bärlauchrisotto und Rieslingsauce.

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