Im Gespräch mit Sergio Herman

Sergio Herman im Interview

Gourmetrestaurants und Bistros, eine Fastfood-Kette und eine Tableware-Linie: Was der niederländische Superstar Sergio Herman anfängt, wird zum Erfolg.
Datum24.02.2020

Sergio Herman steigt vor dem "Standhotel" in Cadzand aus dem Auto. "Das ist er!", raunt eine Frau verstohlen ihrem Begleiter zu. Herman verschwindet im Frühstücksraum „Pine House“. Dort checkt der schwarz gekleidete 49-Jährige mit kurzem Blick das Buffet und arrangiert die Müslis neu. Schließlich soll da, wo er das Sagen hat, alles perfekt sein – verdammt perfekt!

Darunter macht es der kulinarische Star noch immer nicht, auch wenn er sein weltberühmtes Restaurant „Oud Sluis“ schon Ende 2013 geschlossen hat. Damals stand er im Zenit seines Erfolgs: Höchstbewertungen in Restaurantführern, die niederländische Küche revolutioniert, casual fine dining auf den Weg gebracht, regionale Zutaten mit Weltoffenheit in leichte, intensive Gerichte eingebunden... Nun wollte Herman mehr Zeit haben, für seine Frau, seine vier Kinder, sich selbst. Trotzdem stürzte er sich rasch in neue Projekte: „Heute geht es um mehr als Essen, es geht um ein Erlebnis. Da passiert viel, aber ich habe tolle Teams, die leidenschaftlich bei der Sache sind.“

REINE SEE UND NASIGORENG

Cadzand-Bad in der ländlichen Provinz Zeeland ist der ideale Ausgangspunkt zum Erkunden seines kleinen Reichs. Der südlichste Strandort der Niederlande liegt an der Grenze zu Belgien, nur wenige Kilometer vom elterlichen Muschelrestaurant, das Sergio Hermann nach der Hotelfachschule in Brügge zu Weltruhm führte. 2010 eröffnete er mit dem „Pure C“ im Strandhotel den ersten Ableger des „Oud Sluis“. Die „reine See“ – der Name ist Programm. So spektakulär wie beruhigend wirkt der Blick über Dünen und Strand auf die Nordsee.

Dazu passt die Küche von Hermans Musterschüler Syrco Bakker („Koch des Monats“ 8/2017). Die fantastische Zeeland-Auster aus Yerseke hat ihren Auftritt mit dem Strandgewächs-Likör Hierbas de las Dunas, lokale Miesmuscheln kombiniert der junge Küchenchef mit Sanddorn. Im Fokus stehen regionale Produkte. Bei den Kostbarkeiten aus Zeeland wird Wildfleisch aus Sluis zum redang-Curry, Garnelen aus Zeebrugge ergänzen Aprikose und Presswurst. Besonders spannend inszeniert Bakker, von Herman angespornt, Bezüge zu seinen mütterlichen indonesischen Wurzeln, etwa bei seinem signature dish Nasigoreng mit Schellfisch und Muscheln aus der Nordsee zu pikantem Bratreis oder beim prächtigen Kaisergranat mit schaumig-würzigem Sambal.

Das Seebad, das laut Herman „vor zehn Jahren fast eine Geisterstadt“ war, erlebt jetzt mit Neubauten und Renovierungen einen Aufschwung. Aus dem gealterten Betonklotz „Strandhotel“ ist ein schickes Haus geworden, mit lässiger, vom Strand inspirierter Einrichtung und puristisch ausgestatteten Zimmern. Sergio Herman verantwortet die gastronomische Seite. Spätestens die Fertigstellung des neuen Jachthafens und seine dortige Restaurant-Eröffnung 2017 hat Cadzand-Bad zu einer Attraktion für niederländische, belgische und deutsche Foodies gemacht.

Das „AIRrepublic“ im nüchtern weißen Strandpavillon ist Hermans zeitgemäße Adresse für Fische, Krusten- und Schaltiere vom Holzgrill oder aus dem Tonofen in der offenen Küche. Die Zeeland-Auster kommt mit dashi und Ingwerbier-granité, Aal wird klassisch mit flämischer grüner Sauce serviert. Der Sergio-Stil mit Säureakzenten und aromatischen Kräutern verankert sich hier in den eigenen Wurzeln. Die Fischsuppe „Oud Sluis“ ist eine Hommage an seinen Vater: „Die Klassiker, die richtig guten Basics, habe ich von ihm gelernt.“

In lebhafter Brasserie-Atmosphäre sitzt man an blanken Holztischen auf Sitzbänken mit Bezügen aus Fallschirmstoff, die deckenhohen Fenster an drei Seiten bringen die Nordsee nahe. Rohe Jakobsmuscheln mit Knollensellerie umschmeichelt samtige Corail-Beurre-blanc, gegrillte Langustine toppt verführerische Verbenenbutter. „Dieses Essen liebt jeder – klassisch mit einem modernen twist“, sagt Herman, während der junge Service eine perfekte Sauce hollandaise mit gezupftem Krebsfleisch zum im Ganzen gegarten kleinen Steinbutt gibt. Als „einfach zugänglich für Radfahrer und Strandspaziergänger“ beschreibt er das „AIRcafé“ nebenan. In der Strandbude mit Selbstbedienung schnappt man sich ein paar Austern oder ein Sandwich mit zeeländischem Käse und genießt auf der Terrasse mit einem Kaffee oder einem Glas Champagner das Strandleben.

IM APRIL WIEDER WAS NEUES

„Mir fehlte in der Region ein Restaurant mit japanischem Essen“, erklärt Sergio Herman seinen jüngsten Zugang „Blueness“ im „Strandhotel“. Zwei Etagen hoch ist der fensterlose Raum mit netten Nischen und einer langen Theke; an der gut sortierten Bar kann man sich unter anderem in eine große Sake-Auswahl vertiefen. Die Küchenchefs Jaclyn Kong und Thijs Baert vereinen mit schmissigem Umami-Wohlgeschmack Zeeland und Japan, zu loungigen Beats glüht in der offenen Küche ein Robata-Holzkohlegrill. Den darauf gegrillten Kaisergranat begleiten auf japanischem Geschirr Blumenkohl und dashi-Essig-Beurre-blanc.

Manchmal reicht Herman das Planen und Probieren nicht. Dann bindet er die Schürze um und kocht mit. „Mein Leben ist angenehmer als zuvor, doch ich vermisse Sergio als Küchenchef“, sagt er über seine Wandlung vom Koch zum Gastro-Unternehmer. Das erklärt vielleicht seine Pläne für Anfang 2021: Zwei Kilometer entfernt wolle er auf einem ehemaligen Bauernhof ein homestyle-Restaurant eröffnen. Da will er am Herd stehen, vielleicht zehn Tage im Monat, und im intimen Rahmen für rund 18 Gäste kochen – total anders, mit einem völlig neuen Konzept, mehr verrät er noch nicht.

Vorerst bleibt uns der Weg nach Antwerpen, um die Fortschreibung des „Oud Sluis“ zu erleben. Nach dessen Schließung eröffneten Sergio Herman und sein Küchenchef Nick Bril 2014 hier das „The Jane“, zunächst mit einem casual-Konzept. Heute ist es ein Gourmettempel, im doppelten Sinne: Das spektakuläre und schwer angesagte Restaurant befindet sich in der früheren Kapelle eines Militärhospitals. Aus der Küche im ehemaligen Altarraum kommen eklektische Gerichte, die mit Zitrusfrische und Leichtigkeit höchst anregend Zeeland, Asien und Mittelmeer vereinen. Bereits als Klassiker gilt der pochierte Hummer mit geräucherter Roter Bete, Kaviar und dashi-Butter-Sauce, und Nick Bril, dem Herman im „Jane“ das kulinarische Feld überlässt, ist heute selbst ein Star, auch als DJ.

Nur ein kleiner Hunger zwischendurch? Dafür gibt es in Antwerpen – wie in Gent, Brüssel, Den Haag und Arnheim – das „Frites Atelier“. Auch knusprige Kartoffelstäbchen aus einer frituur kann Sergio Herman noch optimieren, und mit frischen Saucen wie „Vlaamse Stoverij“ aus in dunklem Bier geschmortem Rindfleisch gewinnt er dem Streetfood köstliche Seiten ab.

Ab April 2020 wird es einen Grund mehr geben, die Modestadt Antwerpen zu besuchen: Im Zentrum eröffnet Herman „Le Pristine“, ein casual-Restaurant nebst Café. „Der Motor, die DNA“, erzählt er, „wird wie im ‚AIRrepublic‘ das kulinarische Erbe Zeelands sein, aber mit einem italienischen Touch.“ Das bedeutet Pasta mit Muscheln aus Zeeland oder gefüllt mit Oosterschelde-Hummer. Herman verspricht eine Mischung aus Mode, Musik, Kunst und Design – und „a very fucking great bar!“ Es gibt keinen Grund, am Gelingen zu zweifeln.

 

Text: Stefan Chmielewski

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