Servicepersonal in Designer-Outfits
Text: Jessica Braun
Als Erstes fällt im „Tulus Lotrek“ die „Schlaraffenwand“ auf. Die üppig mit Blättern und Wedeln bedruckte Tapete lässt das Berliner Restaurant wirken wie einen extravaganten Salon. Ihren Namen trägt sie, weil sich – dafür muss man genauer gucken – im dunkelgrünen Dickicht Schmankerln wie Würste, Auberginen oder Oktopusarme verstecken. Diese Optik hält aber nicht nur die drei Räume zusammen, sondern bindet auch die Gastgeber mit ein: Auf der Kleidung der Gastronomin Ilona Scholl und ihres Serviceteams prangt das Muster ebenfalls, mal auf dem Rock oder dem Longsleeve, großflächig auf einem shift dress oder als kleine Anspielung auf einer Fliege. Lange Jahre trug in Gourmetrestaurants das Personal dunkle Einheitskleidung. Nichts sollte vom Menü ablenken, alles Persönliche verschwand hinter der 08/15-Uniform. Doch für viele Spitzenköche und Gastronomen endet die Inszenierung heute nicht am Tellerrand. Sie haben eine genaue Vorstellung davon, ob die Blumen auf dem Tisch bio, regional oder lila-blassblau sein sollen, ob im Hintergrund Elektropop von Kraftwerk laufen oder Stille herrschen muss und ob die Bilder an den Wänden zum Wachtelei mit Lardo passen. Die Outfits der Mitarbeiter einzubeziehen ist da nur folgerichtig. Aber noch längst nicht so üblich, wie es sein sollte, sagt Lars Ammer, der mit seiner Beratung „The Chef’s Stories“ Gastronomiekonzepte entwickelt: „Klar muss das Essen einen mitreißen. Aber neben Interieur und Musik ist die Bekleidung einer der wichtigsten Bausteine einer guten Inszenierung.“
"Früher trugen alle Münchner Barkeeper die gleiche Jacke. Lediglich an der Farbe erkannte man, in welcher Bar man war."
Der Abschied vom Einheitslook verlangt durchaus Mut: Wer seine Belegschaft neu einkleidet, muss laut Ammer je nach Anspruch mit 500 bis 800 Euro pro Person rechnen – und Uniformen, die vielleicht doch zu gewagt ausgefallen sind, lassen sich nicht so leicht austauschen wie ein verunglücktes Blumenarrangement. Der Münchner Bar-Meister Klaus Stephan Rainer ist jedoch überzeugt, dass die Investition sich lohnt. „Früher“, erinnert sich der Chef der „Goldenen Bar“ im Haus der Kunst, „trugen die Mitarbeiter in allen besseren Bars in München die gleiche Jacke: das Modell ‚Charles‘ einer Manufaktur vom Chiemsee. Alle Barkeeper sahen gleich aus. Lediglich an den Farben der Jacken erkannte man, in welcher Bar man war.“ Als der Hersteller schließen musste, suchte Rainer nach einer Alternative. Er fand sie beim privaten Stöbern in der Boutique des Münchner Designers Hannes Roether: „Ich mag seinen Stil, fühle mich in seinen Sachen wohl. Deswegen schlug ich ihm vor, neue Uniformen für uns zu entwerfen.“ Roether sagte zu. Die Barjacken, die er in Zusammenarbeit mit Klaus Stephan Rainer entworfen hat, sind maßgeschneidert, mit „Taschen genau dort, wo wir sie brauchen“. Die Schürzen bestehen aus abwaschbarem festem Leder und einer Unterschürze aus robuster Baumwolle, die sich abknöpfen und waschen lässt. Ob die Mitarbeiter dazu T-Shirt oder Hemd und Krawatte tragen, ist ihnen überlassen – solange die Teile auch von Hannes Roether stammen. „So fühlen sich alle in ihren Outfits wohl“, sagt Rainer, „aber wir sehen trotzdem aus wie eine Familie.“
Wie Alltagsmode transportiert eben auch Arbeitskleidung eine Botschaft. Ist die lauter als gewohnt, kann das zu Irritationen führen
Auch andere Gastronomen arbeiten mit bekannten Designern zusammen, wie das bei Fluggesellschaften längst üblich ist. So sind die Künstlerkittel im „Atelier“ des „Bayerischen Hofs“ in München ein Entwurf des belgischen Designers Dries van Noten, und fürs „Tantris“ hat das deutsche Label Talbot Runhof Uniformen kreiert, deren psychedelische Blumenmuster an die Anfänge des Hauses in den Siebzigern erinnern – und den Vorhang auf der Damentoilette, der seit der Eröffnung dort hängt. Verrückt? Ein bisschen. Aber ins „Tantris“ oder ins „Atelier“ geht man nicht, um einen durchschnittlichen Abend zu erleben. Manche Gäste reagieren dennoch grantig: „Geht gar nicht“ oder „einfach grausig“, lauten Kommentare auf der Facebook-Seite des „Tantris“. Wie Alltagsmode transportiert eben auch Arbeitskleidung eine Botschaft. Ist die lauter als gewohnt, kann das zu Irritationen führen. Anders als eine Kanzlei oder Arztpraxis darf ein Top-Lokal durchaus exzentrisch, polarisierend und lustig sein – und mit ihm die Kleidung der Mitarbeiter. „Unser Verständnis von Luxus hat sich verändert“, sagt Dr. Catharina Rüß, die an der Universität Paderborn zur Modetheorie forscht: „In der Gastronomie bedeutet Luxus nicht mehr Anzug und Etikette, sondern Individualität, Erlebnisse und Zeit.“ Handgetöpferte Tonschalen ersetzen das Bone China, Craft Beer oder Naturwein begleiten die Gänge, und der Sommelier wünscht fröhlich: „Viel Vergnügen!“ Dazu passt das traditionelle Pinguin-Outfit nicht so recht und wirkt, wenn die Gäste in T-Shirt und Jeans am Tisch sitzen, vielleicht eher servil als smart.
„In der Gastronomie bedeutet Luxus nicht mehr Anzug und Etikette, sondern Individualität, Erlebnisse und Zeit.“
„Die Arbeitswelt“, sagt Rüß, „soll weniger hierarchisch erscheinen als früher. Deshalb darf es auch im Restaurant – zumindest gefühlt – lässiger zugehen.“ Turnschuhe sind inzwischen selbstverständlicher Teil der Berufskleidung, und Angestellte vieler Spitzenlokale dürfen heute auch man bun oder Tätowierungen tragen. Dieser entspannte Umgang macht die Arbeit in einer Branche angenehmer, die selten genug Freizeit lässt. Und wer den Gästen im maßgeschneiderten Designerentwurf statt in der Servicejacke von der Stange gegenübertritt, tut dies vielleicht auch ein wenig selbstbewusster. „Auf das Restaurant abgestimmte Gastro-Uniformen“, sagt die Modeexpertin Rüß, „tragen sicher dazu bei, dass sich die Mitarbeiter als Team wahrnehmen.“ Das bestätigt Mona Röthig, stellvertretende Restaurantleiterin im „Tantris“: „Früher spiegelte unsere Arbeitskleidung die Hierarchie wider. Der Chef de Rang trug Anzug und Krawatte, wir Frauen trugen Hosenanzug und Seidentuch, die Stationskellner, die uns zuarbeiteten, Weste und Schürze.“ Obwohl manche Stationskellner laut Mona Röthig das Potenzial zum Chef de Rang hatten, wandten sich die Gäste lieber an diesen. Die Entwürfe von Talbot Runhof betonen den Teamcharakter und stärken so den Einzelnen. „Die Stationskellner blühten auf“, erinnert sich Röthig an den ersten Abend im neuen Outfit: „Die positive Energie, dieses Wir-Gefühl, war so eindrücklich, dass es mir Gänsehaut gemacht hat.“
Schwarzer Adler Uttenreuth
Schwarze Kochjacken, schwarze Hosen, schwarze Schürzen: Lange entsprachen dem Namen des „Schwarzen Adlers“ auch die Uniformen. Zum Umbau 2019 habe sich das Team aber zeitgemäßere Outfits gewünscht, sagt die Küchenchefin Wadjia Salik (Foto, Mitte), „etwas, das anständig aussieht und funktional ist“. Auf einer Messe entdeckten sie Lederschürzen des Ausstatters Profidress. Das Leder, sagt Salik, schütze vor Verbrennungen oder Schnitten und sei abwaschbar: „Unser Wäscheberg ist deutlich kleiner geworden, und mit der neuen Kochjacke aus Jeansstoff fühlen wir uns auch dann gut angezogen, wenn eine Besprechung mit Gästen ansteht.“ Das ständige Umziehen? Ist passé.
Mehr Infos unter: www.schwarzer-adler-uttenreuth.de
Bayerischer Hof München
Als der Antwerpener Interiordesigner Axel Vervoordt 2009 das Restaurant „Atelier“ umgestaltete, empfahl er, einen weiteren Antwerpener zu beteiligen: den Modedesigner Dries van Noten. „Die kittelartigen Cuts mit weichem Schalkragen aus Leinen“, sagt Restaurantleiterin Barbara Englbrecht, „sind eine Abwandlung einer Jacke aus der Sommerkollektion 2009. Die Stoffe sind nicht zu warm, auch wenn sie so aussehen.“ Englbrechts Version ist hellbraun und kurz, die des Sommeliers Jochen Benz (Foto) rot; alle anderen tragen knielange Kittel in Blaugrau. Diese Malerkittel sollen laut Englbrecht vor allem die Gerichte des Küchenchefs Jan Hartwig unterstreichen: „Die sind Kunst auf dem Teller.“
Mehr Infos unter: www.bayerischerhof.de
Goldene Bar München
„An welchen Stellen muss das Material besonders stabil sein? Wo ist der beste Platz für den Kellnergeldbeutel, wo für Block und Stift?“ Diese Fragen beschäftigten den Barbetreiber Klaus Stephan Rainer, als er mit dem Designer Hannes Roether an den Uniformen arbeitete. Deren Farbe ist einheitlich Schwarz. Die Schürzen sind aus echtem Leder, die Barjacken aus sogenanntem Deutschleder, einem schweren Baumwollgewebe. Beides werde durch den Gebrauch nur schöner, sagt Rainer. Das findet offenbar auch der Designer: Hannes Roether führt die Uniformen mittlerweile offiziell im Sortiment.
Mehr Infos unter: www.goldenebar.de
Tulus Lotrek Berlin
Restaurantleiterin Ilona Scholl steht selten still. Falls doch, scheint ihr Overall mit der Tapete zu verschmelzen. Die Idee, deren Muster auf die Bekleidung zu drucken, stammt von den Designerinnen Veronika Aumann und Nina-Sophie Gekeler. Mit ihrem Pattern Studio berieten sie Scholl und deren Partner Maximilian Strohe während der Restaurantgründung. „Wir hatten uns gerade selbstständig gemacht und kein besonders großes Budget“, erinnert sich Scholl. Die ersten Outfits waren daher noch sehr minimalistisch geschnitten. Mittlerweile wird maßgefertigt – damit die Tapete auch richtig sitzt.
Mehr Infos unter: www.tuluslotrek.de
Merkles Restaurant Endingen
Seit drei Jahren trägt Thomas Merkle bei der Arbeit seine Kochjacke aus dunklem Jeansstoff: „Ich mag den Slim Fit“, sagt der Gastronom und Küchenchef, „das sieht zeitgemäß aus, und der Stoff ist schön leicht und angenehm zu tragen.“ An warmen Tagen lassen sich die langen Ärmel schnell hochkrempeln. Vor allem die vielen Taschen, mit denen der Ausstatter Sacha Gillich das Modell versehen hat, gefallen dem Restaurantbesitzer: „Mein Handy, meine Stifte, meine Pinzette und alles, was ich noch so brauche, hat darin Platz. Am liebsten trage ich sie ohne Schürze. Das ist am praktischsten.“
Mehr Infos unter: www.merkles-restaurant.de
Haus Stemberg Velbert
Sascha Stemberg (im Foto in der Mitte) ist im „Haus Stemberg“ Küchenchef in fünfter Generation. Die Kleidung, die das Team seit wenigen Monaten trägt, sollte die Geschichte des Restaurants repräsentieren, aber auch Social-Media-tauglich sein: „Unser Haus gibt es seit 1864“, sagt der Koch, „früher war es eine Schmiede. Deswegen haben die Uniformen Zweiwege-Reißverschlüsse in Bronzetönen und Details wie Nieten und Kalbslederhalterungen. Alles sehr hochwertig und in Europa produziert.“ Die Mitarbeiter halfen, Zahl und Größe der Taschen festzulegen – für den Service fünf, für die Köche eine –, und Stembergs Kinder steuerten die Namen bei: Die Herrenmodelle heißen Henri wie sein Sohn, die Damenmodelle Lina wie seine Tochter. „Nun fehlen nur noch die passenden Sneaker“, sagt Stemberg.
Mehr Infos unter: www.haus-stemberg.de
Tantris München
Aus Talbot Runhofs Entwürfen durften sich alle im „Tantris“ jeweils zwei Varianten aussuchen. Klarer Favorit der Frauen: das gänzlich mit Blumen übersäte Kleid. „Jede von uns wollte das haben“, sagt die stellvertretende Restaurantleiterin Mona Röthig. Statt strenger Hosenanzüge tragen die „Tantris“-Damen nun schwingende Baumwolle. Die sei auch praktisch, sagt Röthig: „Eine Besonderheit der Couture-Roben von Talbot Runhof ist, dass sie Taschen haben“, und mit denen haben die Designer auch die Blumenkleider ausgestattet. Nicht nur beim Team kommen die Outfits gut an. „Die meisten Gäste reagieren positiv“, sagt Röthig, „nur manche fragen, warum die Herren jetzt Blumen tragen müssen.“
Mehr Infos unter: www.tantris.de