Wenn Sisilie Skagen ihren Nachwuchs im Kindergarten abgegeben hat, geht sie nicht ins Büro, sondern fährt raus aufs Meer – am liebsten zwischen Januar und Ende April. Bei eisigen Winden und Temperaturen um den Gefrierpunkt ziehen große Winterkabeljau-Schwärme vor die Lofoten, wo ihre Laichgründe liegen. Zu dieser Jahreszeit wird der Fisch „Skrei“ genannt, was wortwörtlich übersetzt „Wanderer“ bedeutet. Das Fleisch ist im Gegensatz zu gewöhnlichem Kabeljau sehr fest, mager und zart – eine weltweit begehrte Delikatesse.
Der Bürojob versprach Langeweile
„Ich bin direkt am Kai aufgewachsen, auch mein Vater war Fischer, und seit meiner Kindheit bin ich mit ihm zur See gefahren“, erzählt die zierliche Frau mit den sanften Gesichtszügen. Als Fischerin ist sie in der von Männern dominierten Branche eine Exotin, Frauen bleiben eigentlich brav an Land. Zu hart der Alltag auf rauer See, zu anstrengend die schwere Arbeit mit Fischen, die bis zu 40 Kilo wiegen, zu zeitaufwendig, um für die Kinder da zu sein. Sisilie Skagen beweist das Gegenteil. „Als ich anfing, ging ich jeden Tag ins Fitnessstudio, um Muskeln aufzubauen und mehr Kraft zu gewinnen. Aber schnell habe ich gemerkt, dass es vielmehr um Technik als um Kraft geht.“ Die 28-jährige Norwegerin lebt mit ihrem Partner in einer siebenköpfigen Patchwork-Familie auf den Lofoten, drei der fünf Kinder stammen aus ihrer ersten Beziehung. Auch sie kennen das Leben auf dem Boot, sind oft an Bord, wenn Mama Hunderte Kilo Kabeljau aus dem Wasser zieht. Doch es stand nicht immer fest, dass Sisilie eines Tages in die Fußstapfen ihres Vaters treten würde. Der Bürojob im Gesundheitswesen versprach Sicherheit, geregeltes Einkommen – und Langeweile. So tauschte sie ruhige Arbeit am Rechner mit dem Auf und Ab des Fischerinnenlebens. Ihr Boot, die „Braken“, hat sie von ihrem Vater übernommen.
Sjark
Mit zehn Metern Länge gehört es zu den kleineren Fischerbooten, ein sogenanntes „Sjark“, mit dem sie pro Jahr 230 Tonnen fängt. „Ich liebe das Meer, die Seeluft und die Gemeinschaft. Wir machen viel in der Natur, sind draußen, und weil nicht so viele hier wohnen, kennt jeder fast jeden.“ Die Gemeinschaft wächst, wenn die Skrei-Saison im Januar beginnt. Wenn die Fischer gemeinsam aufs Meer fahren und den Winterkabeljau fangen, ein erheblicher Wirtschaftsfaktor für die Region. Wie viel gefangen wird, ist streng geregelt, eine Qualitätskontrolle stellt sicher, dass der Skrei den hohen Standards entspricht. Von dem wertvollen Fang werden selbst die Zungen verwertet.
Ich bin mit frischem Skrei mit Kartoffeln und Speck aufgewachsen
„Schon im Alter von sechs Jahren habe ich mein Taschengeld als Kabeljau-Zungenschneiderin in der Saison verdient, das ist hier nichts Ungewöhnliches.“ Noch bessern Kinder mit dem Abtrennen der begehrten Delikatesse ihr Salär auf. Damit auch in Zukunft eine ganze Region vom Kabeljau leben kann, wurde die Küstenreferenzflotte ins Leben gerufen, bei der Skagen Mitglied ist – als erste Frau. Mit ihrem Boot sammelt sie Fangproben, liefert Daten und trägt mit ihren Erfahrungen dazu bei, dass auch künftige Generationen auf die natürlichen Ressourcen zurückgreifen können. Ist die Skrei-Saison vorbei, fischt sie auch Seelachs, Seehase, Schwarzen Heilbutt und Seeteufel vor den Küsten der Lofoten.
Um die Vorurteile abzubauen, mit denen Fischerinnen immer noch zu kämpfen haben, arbeitet Skagen „intelligenter und schneller“, wie sie sagt. Dazu gehört auch, dass sie das Boot ihres Vaters mit moderner Technik ausgestattet hat, er stand ihr eher skeptisch gegenüber. „Mein Vater ist ein sturer, stürmischer Mann, der es vorzieht, Dinge auf die altmodische Art zu machen.“ Trotz moderner Hilfsmittel fährt ihr Vater immer noch mit auf See und hilft seiner Tochter, sobald die Skrei-Saison beginnt.
Wenn Sisilie Skagen dann nach einem langen Tag auf dem Meer zurückkommt, den Fisch ablädt und ihre Kinder vom Kindergarten oder von der Schule abholt, nimmt sie oft etwas von ihrer Ar[1]beit mit nach Hause. In vielen Berufen ein Zeichen von Überlastung, hier die Wertschätzung ihres eigenen Handelns. Kabeljau als Kro[1]ketten, in Suppe oder einfach gebraten – ein Leben ohne Skrei ist für sie undenkbar. „Ich bin mit frischem Skrei mit Kartoffeln und Speck aufgewachsen, und dieser wird immer ganz oben auf meiner Liste stehen.
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