Top-Restaurants in München: Deutschlands Gastro-Boom-Town
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Foie-gras-Tartelette mit Crème Chantilly; Umami-Baiser mit Karotte, kandierter Kombu-Alge und knuspriger Hendlhaut; Sot-l’y-laisse-Pastete (mit Rückenfilet vom Huhn) mit Muskatkürbis. Donnerstagmittag in München, im Restaurant Jan beginnt die Amuse-Bouche-Parade. Das Restaurant ist bis auf den letzten Platz besetzt.
Kein Kunststück, könnte man sagen – die von Jan Hartwig nur sechs Monate nach Eröffnung erkämpften drei Michelin-Sterne sorgen für ein volles Haus. Dass aber zeitgleich auch andere Spitzengastronomen, wie etwa Benjamin Chmura im "Tantris", Menüs auf höchstem Niveau servieren, ist für deutsche Verhältnisse doch ungewöhnlich. Und spricht für München: Denn das gastronomische Niveau einer Stadt bemisst sich nicht daran, was samstagabends passiert – sondern mittags unter der Woche.
München: Eine Stadt mit kulinarischem IQ
"Ich habe dieser Stadt enorm viel zu verdanken", sagt Hartwig. "Dass wir hier jeden Mittag 26 Couverts kochen, hat auch viel mit dem kulinarischen IQ der Stadt zu tun." Die Münchner Gäste beschreibt der 41-Jährige als "interessiert, weit gereist, gastronomisch gebildet". Und als aufgeschlossene Esser: Zu Hartwigs Lieblingsprodukten zählt Kalbsbries, in stets neuen Varianten immer auf der Karte – zum Beispiel gebacken und mit Kalbsjusreduktion glasiert, begleitet von Petersilienwurzelpüree, Aalmayonnaise und Rauchfischbrühe. Es ist ein Aushängeschild seiner Version neuer deutscher Küche – handwerklich meisterhaft, zeitgemäß präsentiert und dabei wunderbar süffig.
Nicht überall in Deutschland würde das von den Gästen so selbstverständlich angenommen, weiß der gebürtige Niedersachse: "Aber in Bayern mit seiner Innereientradition werden Bries, Zunge oder Lüngerl noch in vielen Wirtshäusern serviert." Die gelebte Gasthauskultur – die etwa im "Sedlmayr" nahe dem Viktualienmarkt, im "Paulaner am Nockherberg" und im "Halali" am Englischen Garten beispielhaft gepflegt wird – sowie das landwirtschaftlich geprägte Umland mit seinem Füllhorn guter regionaler Lebensmittel und die aufgeklärten Gäste sind nur einige der Faktoren, von denen München als Gastrometropole profitiert. Hinzu kommt, dass die Pandemie und andere Entwicklungen die Szene in den vergangenen drei Jahren kräftig durch gewirbelt haben. Durch Neugründungen, Küchenchef- und Konzeptwechsel stellt sich die Spitze der Stadt nun deutlich verjüngt dar. Mit Jan Hartwig, Tohru Nakamura oder Benjamin Chmura, gibt eine neue, internationaler ausgerichtete Generation kulinarisch den Ton an und zieht junge Talente nach.
Deutsch-japanische Küche bei Tohru Nakamura
"München bietet heute eine enorme Vielfalt an gastronomischen Konzepten auf qualitativ hohem Level", sagt Tohru Nakamura, "nicht nur im High-End-Bereich." Als Beispiele nennt der 39-Jährige die lebendige Kaffeeszene mit Protagonisten wie "Fez Kaffee" oder "Man versus Machine" sowie engagierte Produzenten wie den Kultbäcker Julius Brantner.
Nakamura hatte, ebenso wie Jan Hartwig und die ehemalige "Tantris"-Souschefin Sigi Schelling, den Mut, sich mitten in der Pandemie selbstständig zu machen. Ein paar Schritte vom Marienplatz entfernt verwirklicht er heute hinter der historischen Fassade der ehemaligen Stadtschreiberei zwei Konzepte: Im Erdgeschoss betreibt er das französisch-asiatisch inspirierte Bistro "Schreiberei" mit dem wohl schönsten Innenhof der Stadt, und im ersten befindet sich das Gourmetrestaurant "Tohru", wo er seinen sehr eigenständigen, durch seine deutsch-japanische Biografie geprägten Küchenstil ambitioniert weiterentwickelt.
Nakamuras Generation bewegt sich auf bestem Nährboden, denn Spitzenküche hat in München Tradition, seit die Stadt mit dem "Tantris" von 1971 an zu einer der Wiegen des sogenannten "deutschen Küchenwunders" wurde. Noch Mitte der Neunzigerjahre galt die Isar-Metropole als kulinarisch führend in Deutschland. Das ist lange her, doch aus dieser Zeit stammt ein Publikum mit ausgeprägter gastronomischer Kultur. Und auch an den für große Küche nötigen Geldbeuteln fehlt es nicht – München und sein Speckgürtel bis hin zum Starnberger See stellen acht der zehn kaufkraftstärksten Landkreise Deutschlands. Dazu kommt, dass Bayern für Besucher aus dem In- und Ausland die beliebteste deutsche Urlaubsregion ist und seine Hauptstadt gerade für internationale Gäste eine gefragte Destination.
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Max Natmessnig prägte im Dallmayrs "Alois" die Stadt
Da passt es ins Bild, dass die 1,5-Millionen-Metropole mit "Dallmayr" und "Käfer" auch die beiden führenden deutschen Delikatessenhäuser stellt. Und selbst wenn München von Berlin-Kreuzberg aus gesehen gern als konformistisch und allzu etabliert abgetan wird: Hinter so manch historischer Fassade verfolgt man die neuesten internationalen Foodtrends sehr genau.
Ein guter Beleg dafür war Max Natmessnig, der bis vor Kurzem als Küchenchef im Dallmayrs "Alois" fungierte. Eine Personalie, die deutschlandweit aufhorchen ließ. Denn der Österreicher gilt als eines der vielversprechendsten Talente im deutschsprachigen Raum, zu seinen Lehrmeistern zählen international gefeierte Küchenchefs wie der Österreicher Heinz Reitbauer, der Niederländer Sergio Herman, Daniel Humm in New York – und César Ramirez. In dessen "Chef’s Table at Brooklyn Fare" entwickelte Natmessnig nicht nur ein Faible für Japans Esskultur, sondern auch für eine zeitgemäße Form von Gastlichkeit mit engem Kontakt zwischen Koch und Gast. Nach nicht mal einem Jahr im "Alois" gab Spitzenkoch Max Natmessnig seinen Abschied bekannt – er verlässt das Gourmetrestaurant schon zum Herbst 2023.
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Große, französische Küche mitten in München – das "Tantris"
Natmessnig bringt einen Schwung kulinarische Weltläufigkeit an die Isar – genauso wie "Tantris"-Küchenchef Benjamin Chmura, der bei Haeberlin und Troisgros geprägt wurde, aber auch in London und Sydney Erfahrungen sammelte. Bei ihm hat man als Gast die hierzulande seltene Gelegenheit, eine handwerklich ausgefeilte, ganz auf das große Produkt fokussierte französische Küche auf der Höhe der Zeit zu genießen. Und von seinen Kontakten zu französischen Spitzenproduzenten zu profitieren, deren Erzeugnisse sonst nicht nach Deutschland gelangen.
Zum Beispiel handgeangelter Wolfsbarsch von einem befreundeten Fischer in der Bretagne oder Tauben aus Pornic an der Atlantikküste. Und in der Saison der extrem gefragte grüne Spargel von Sylvain Erhardt aus der Provence, der von Pistazien-Estragon-Creme und frischen Kräutern genial gerahmt wird. Die Familie Eichbauer, die das "Tantris" heute in zweiter Generation betreibt, und Dallmayr-Geschäftsführer Florian Randlkofer, der Natmessnig nach einem Abendessen in Lech am Arlberg vom Fleck weg engagierte, sind nicht die einzigen Förderer großer Kulinarik in München. Denn auch das macht den derzeitigen Boom erst möglich: dass es hier Menschen gibt, die bereit sind, in große Küche zu investieren. Das gilt für Innegrit Volkhardt, Chefin des Hotels Bayerischer Hof, die Jan Hartwig 2013 nach München holte und mit seinem Nachfolger im "Atelier", Anton Gschwendtner, weiter auf ambitionierte Küche setzt.
Dynamische Kulinarik: Das "Brothers" der Klaas-Zwillinge
Aber auch für Michael Käfer, der Bobby Bräuers souveräne Küche der modernen Klassik in der BMW-Welt möglich macht. Auch eine der derzeit spannendsten Neueröffnungen, das "Brothers" in Schwabing, verdankt seine Existenz einem Investor. Das stilvolle Lokal mit den schilfgrünen Polsterbänken und dem jungen Vibe steht für den Schneeballeffekt, den eine dynamische Gourmetszene erzeugen kann. Geführt wird es von den Zwillingsbrüdern Markus und Tobias Klaas, die als Restaurantleiter und Sommelier jahrelang mit Nakamura arbeiteten, in der Küche steht Daniel Bodamer, Ex-Souschef von Chmura. Markus Klaas, der drei Jahre in London gelebt hat, orientiert sich vor allem an dortigen Konzepten: "Wir arbeiten mit hochwertigen Produkten, und Daniel gibt auf dem Teller Vollgas. Aber wir setzen eher auf das Gesamterlebnis, da spielen auch Service, Ambiente, Licht und Musik eine wichtige Rolle."
Das neue, urbane Gastro-Klima in München
In der boomenden Münchner Szene können sich junge Talente ganz anders entfalten, das gilt nicht nur für Bodamer, sondern auch für Nathalie Leblond im "Les Deux", Franz-Josef Unterlechner im "Schwarzreiter", Joshua Leise im "Mural" oder Rico Birndt im "Mural Farmhouse". So entsteht ein urbanes Gastro-Klima, das auf überlieferte Muster verzichten kann: "Die Stereotypen aus der sogenannten Sternegastronomie brauchen wir nicht mehr", sagt Jürgen Wolfsgruber. Wenn er in seinem "Sparkling Bistro" handgetauchte Jakobsmuscheln aus Norwegen serviert, über Holzkohle perfekt auf den Punkt gegart, dazu gesurten Kalbskopf und Brennnessel, dann gibt es dazu immer auch einen lockeren Spruch oder einen Witz.
Und Restaurantleiter Benni Stadler schenkt mit tätowierten Armen erste Gewächse aus dem Bordelais ebenso ins Glas wie Pfälzer Naturweine. Man sieht hier, mitten in Schwabing, viele junge Gäste: "Die Leute sind hungrig, sie wollen essen gehen und dabei etwas erleben", sagt Wolfsgruber. Damit das noch besser gelingt, will die junge Gastrogeneration der Stadt in Zukunft enger zusammenarbeiten und neue Wege gehen. Wolfsgruber hätte da Ideen: "Mein Traum ist es, dass wir alle gemeinsam auf den Odeonsplatz für 2000 Gäste ein paar schöne Gänge kochen."
Rendite mit Restaurants
Drei Fragen an Ingo Hillen, Vorstand der sino AG, der durch sein finanzielles Engagement die Eröffnung des "Brothers" möglich machte.
Sie sind als Investor höchst erfolgreich. Wie kam es zu dem Engagement im "Brothers"?
Im Venture Capital sagt man: Man investiert in Menschen, nicht in Produkte. Ich kenne Markus Klaas schon lange, aus seiner Zeit im "Vendôme", wo ich damals Stammgast war. Er ist ein hervorragender Gastgeber, extrem professionell, weltgewandt, herzlich. Und irgendwann habe ich wohl im Scherz gesagt: Wenn ihr euch mal selbstständig macht, bin ich dabei. Da hat er mich beim Wort genommen. Als er im Sommer 2021 anrief, habe ich spontan zugesagt.
Das "Brothers" machte von Beginn an mit seiner Weinkarte von sich reden – dank Ihnen?
Keine Bank gibt Ihnen heute Kredit, um für mehrere 100 000 Euro Wein einzukaufen. Das habe ich dann gern möglich gemacht. Ein Restaurant muss mit einer hochklassigen Weinkarte starten, wenn es ernst genommen werden will. Tobias Klaas, der ebenfalls einen tollen Job macht, wird die Karte noch weiter ausbauen, vor allem im Spitzenbereich. Das ist auch ein Investment, denn Weine gewinnen ja meist an Wert.
Warum gibt es in Deutschland nicht mehr Mäzene, die große Küche unterstützen?
Da möchte ich etwas klarstellen: Mäzenatentum war nie der Plan. Wir sind ein Wirtschaftsunternehmen, wir wollen und müssen Geld verdienen – ein Ziel, das wir de facto vom ersten Tag an erreicht haben. Dass es in Deutschland nicht mehr Investoren im Gourmetbereich gibt, hat wohl mit der immer noch viel zu geringen Wertschätzung für große Küche zu tun."Keine Bank gibt Ihnen heute Kredit, um für mehrere 100 000 Euro Wein einzukaufen. Das habe ich dann gern möglich gemacht."