Feinschmecker-Interview mit Günther Jauch

Der Feinschmecker: Herr Jauch, nicht nur der Feinschmecker, auch Sie feiern Jubiläum: Vor 15 Jahren haben Sie mit Ihrer Frau Thea als Quereinsteiger und Newcomer das Weingut von Othegraven gekauft. Mit welchem Gefühl ziehen Sie heute Bilanz?
Günther Jauch: Mit der Freude, dass meine Frau und ich uns zu dem Kauf durchgerungen haben! Der Zeitpunkt war damals ungünstig, ich hatte gerade die Talkshow am Sonntagabend übernommen und kaum Zeit. Die Herausforderungen waren groß: Der Betrieb war rückständig, der ganze Komplex musste restrukturiert, renoviert und dabei die Tradition gewahrt werden. Das Gebäude, der Park, die Weinberge mit den Steillagen, alles steht unter Denkmalschutz und gehört zum Naturpark Saar-Hunsrück. Diese Aufgabe ist etwas ganz Besonderes, aber kein Zuckerschlecken.
Was haben Sie unterschätzt?
Die totale Abhängigkeit von der Natur. Im vergangenen Jahr hatten wir im April nur zwei Nächte Frost, gar nicht mal extrem, aber im Zusammenhang mit dem Regen waren 70 Prozent der Ernte vernichtet. Dann kam Pfingsten das größte
Hochwasser aller Zeiten im Weingut, das hat einen riesigen Schaden an den Gebäuden verursacht. Mit einem Kraftakt haben wir jetzt alles wieder in Ordnung gebracht, aber 2024 war ganz klar, um die Queen zu zitieren, unser „annus horribilis“. Zuvor setzten uns die Pandemie und der Mehltau zu. Ein einziges Fest war die Zeit bisher also nicht.
Sie haben sich anfangs als „Lehrling im eigenen Weingut“ bezeichnet. An welchen Stellschrauben haben Sie gedreht?
Gleich zu Beginn haben wir uns um ein neues, modernes Etikett bemüht, das
mit dem Red Dot Award für Design ausgezeichnet wurde. Darüber haben wir uns sehr gefreut, es war ein wichtiger Anschub. Und als ich angefangen habe, waren 80 Prozent der Weine trocken und 20 Prozent restsüß, jetzt sind wir bei 65 Prozent trocken. Ich lege dabei einen besonderen Fokus auf Kabinett, den ich zugegebenermaßen vorher gar nicht kannte, aber jetzt großartig finde: Da führt die Süße mit der Säure einen Tanz am Gaumen auf! Und mit den niedrigen Alkoholwerten passt er auch sehr gut in die heutige Zeit, man hat immer Lust auf ein zweites Glas. Es ist ein weltweit einzigartiger Stil, den es nur hier im Umkreis von 100 Kilometern gibt.
„Mit Alkohol konnte ich lange Zeit überhaupt nichts anfangen.“
Die Herausforderungen sind im Moment insgesamt nicht einfach
für Sie und andere Winzer.
Ja, aktuell beschäftigt uns der Trend zu alkoholfreien Weinen und natürlich der Klimawandel. Um mit dem Positiven anzufangen: Die Saar ist tatsächlich noch ein Gewinner dieses Klimawandels. Früher gab es in zehn Jahren noch min destens drei, vier grüne Ernten mit un reifen Trauben. Das ist immerhin vorbei.
Gibt es bald also auch alkoholfreien Wein von Günther Jauch?
Wir sind gerade dabei, das durchzurechnen, denn es ist technisch relativ aufwendig. Und das Ergebnis soll den Menschen ja auch schmecken – nicht so schal wie das erste Autofahrerbier.
Sie haben überhaupt erst mit 30 Jahren angefangen, Alkohol zu trinken. War der Geburtstag der Anlass?
Mit Alkohol insgesamt konnte ich lange Zeit überhaupt nichts anfangen. Dabei gab es bei uns zu Hause als Sonntagswein immer einen Riesling zum Mittagessen, und wir Kinder durften ihn ab dem zwölften Lebensjahr aus dem Sherryglas trinken. Meine Eltern haben darin keine Gefahr gesehen. War es ja auch nicht. Als ich nach der Journalistenschule in München beim Bayerischen Rundfunk gearbeitet habe, gingen wir mittags immer in die Haus-und-Hof-Kantine, den Augustiner-Biergarten. Ich habe immer drei kleine „Florida Boy“ bestellt, mich damit natürlich lächerlich gemacht, bin aber tapfer geblieben. Erst langsam begann meine Weißbier-Sozialisierung, mit 40 Jahren kamen die schweren italienischen Rotweine und erst mit 50 Jahren der Weißwein. Also sehr spät. Aber damit hat sich für mich dann eine unendliche Welt erschlossen.
Das Weingut gehörte Ihrer Großtante. Hätten Sie es auch gekauft, wenn es nicht zu Ihrer Familie gehört hätte?
Nein, ich wollte es im Grunde wegen der persönlichen Verbundenheit erhalten, bin aber doch froh, dass es sich nicht um eine Fabrik für Socken oder Schrauben handelt. Als Kind habe ich dort oft meine Ferien verbracht, es war ein toller Spielplatz, bis ich immer mehr herangezogen wurde, den Hof zu fegen und Rasen zu mähen, da hatte ich als Jugendlicher keine Lust mehr und war dann 40 Jahre nicht dort. Durch Zufall erfuhr ich in Berlin, dass das Weingut verkauft werden soll. Wir waren überrascht, was für ein Schätzchen das ist – und noch genauso wie in meiner Kindheit. Das hat mich ge- packt. Da war eine Nostalgie, die drohte den harten Blick für die Ökonomie zu verstellen – sowie für die Herausforderung, als völliger Neuling einzusteigen. Zwei Jahre lang haben wir gegrübelt, be- vor wir uns zum Kauf entschlossen haben. Das ganze Gebilde wäre sonst zerschlagen worden. Hätte ich nicht den Job bei RTL, das muss ich ganz klar sagen, wäre diese Investition gar nicht machbar gewesen.
Sind Sie denn mit offenen Armen an der Saar empfangen worden oder mit Skepsis, nach dem Motto: Hier kommt jetzt der Promi-Winzer
Der Herr vom Denkmalschutz hat zunächst ein finsteres Gesicht gemacht, weil er dachte, ich würde hier ein Wellnesshotel bauen mit Tiefgarage und Jacuzzis im Garten. Und ich hatte Angst, schikaniert und ausgebremst zu werden. Als klar war, dass wir dasselbe wollen, hatten wir die schönste Zusammenarbeit, die ich mir mit einem Denkmalschutzamt nur denken kann.
Und wie haben Sie die Winzerkollegen aufgenommen?
Es hätte sein können, dass wir gegen Mauern rennen, aber sie waren sehr offen zu uns, sie haben uns Kredit gegeben, und dem sind wir gerecht geworden. Wenn sie uns zum 15. Mal mit meinem Stand bei der Mainzer Weinbörse oder bei der VDP-Verkostung sehen, ist klar, dass wir es ernst meinen. Viele haben mir auch sehr geholfen, vor allem Carl von Schubert, Florian Lauer, Roman Niewodniczanski, die Zillikens. Roman hat ja die Weinregion Saar wieder nach vorn gebracht, früher kamen von hier die teuersten Weine der Welt, auch aus unseren Weinbergen: Vier Goldmark erzielte um die Jahrhundertwende eine Flasche Riesling, die teuersten französischen Weine kosteten nur anderthalb Goldmark. Auf Schiffen, in Hotels und Schlössern wurde ein Prozent als Fass- wein verkauft – und damit 100 Prozent der Kosten des Weinguts gedeckt. So eine Umsatzrendite schaffen Sie heute nur noch mit Drogenhandel oder Fernsehen.
„So eine starke Solidarität wie unter Winzern gibt es beim Fernsehen nicht.“
Apropos Fernsehen: Erholen Sie sich in der erdverbundenen Weinszene auch von der TV-Welt?
Das sind wirklich zwei völlig verschiede- nen Welten – unser Weingut ist mittel- ständisch, RTL ein Supertanker. Wenn ich eine Sendung mache, habe ich am nächsten Morgen die Einschaltquote, kann jedes Detail messen, wie viele Zuschauer aussteigen, wenn ich einen Monolog halte. Schnell kann man dann neue Stellschrauben drehen, aber man kann sich auch schnell darin verlieren. Beim Wein geht das nicht, einmal im Jahr ist die Ernte meine Einschaltquote und dazu kommt noch die Wetterquote, die man nicht beeinflussen kann.
Sind Sie lieber mit Winzern oder mit Fernsehleuten zusammen?
Winzer gehören auf jeden Fall zum lustigeren Teil der Menschheit, sie sind sehr direkt, kernig und herzlich. Und es gibt eine tolle Solidarität, nach dem Motto: Komm vorbei, ich helf dir aus! Beim Hochwasser an der Ahr kamen Winzer bundesweit und halfen oder schickten Gerätschaften, um die Ernte zu retten. So eine Solidarität gibt es beim Fernsehen nicht. Muss es auch nicht, warum soll man sich mit mir solidarisieren, wenn ich eine schlechte Quote habe? Diese landwirtschaftliche Welt gefällt vor allem meiner Frau sehr gut, ich bin gut eine Woche im Monat an der Saar, sie ist noch häufiger auf unserem Weingut.

Sind Sie in den Jahren auch zum Weinphilosophen geworden?
Ich bin nicht jemand, der sich stunden- lang über Tanninstrukturen unterhalten möchte. Denn da geht für mich oft der Genuss verloren. Ich habe aber gelernt, dass der frische mallorquinische Weiß- wein, den man an einem tollen Sommerabend mit der Dame seines Herzens mit Blick auf den Hafen getrunken hat und von dem man sich gleich sechs Kisten nach Deutschland bestellt hat, und die man dann Mitte November erstmals entkorkt, oft eine große Enttäuschung ist. Da merkt man auch, wie viel Wein mit der eigenen Psyche zu tun hat.
Sie verkosten aber auch mit Winzern, etwa mit Egon Müller ...
Und solche Abende bei ihm sind wirklich sehr lustig, da werden Weine in fröhlicher Runde blind verkostet, geraten und in allen Facetten beschrieben. Ich halte mich da aber sehr mit Kommentaren zurück.
Was waren in den 15 Jahren Winzer- leben sonst noch Ihre schönsten Momente?
Wenn Menschen aufs Weingut kommen und ganz angetan sind von der Atmosphäre, wenn sie sich an dem Park er- freuen, Spaß an tollem Wein haben und man gemeinsam mit vielen passionierten Genießern draußen sitzt. Wir veranstalten jährlich das Event „von Othegraven rockt“, das ist schon etwas sehr Schönes. Ich freue mich auch immer sehr, wenn mir Menschen historische Wein- und Speisekarten schicken, auf denen unser Wein steht. Vor Kurzen war jemand in dem wohl nördlichsten Restaurant der Welt am Nordpol, von dort schickte er mir auch eine Karte, auf der unser Wein stand.
Sammeln Sie Weine?
Nein, aber wir haben eine Schatzkammer, in der wir Weine aus jedem Jahrgang zurücklegen. Wir haben noch eine Fla- sche aus dem Jahrhundertjahrgang 1921, sie liegt da wie Tutanchamun in einer Holzkiste, der wertvollste Wein des vergangenen Jahrhunderts. Ansonsten beginnt unsere Sammlung mit dem Jahr- gang 1959.
Wann und wie genießen Sie am liebsten Wein?
Abends, wenn ich des Tages Last und Müh hinter mir habe, am liebsten auf dem Balkon oder auf der Terrasse, immer gern gen Westen, wo die Sonne unter- geht. Darauf kann ich mich den ganzen Tag freuen. Ich liebe natürlich Riesling, aber auch georgische Weine finde ich großartig, die zehn Jahre in Amphoren in der Erde liegen und reifen.
Welche Missverständnisse gibt es immer noch über die Weinwelt?
Es ist oft erschreckend, wie wenig Aufmerksamkeit selbst betuchte Leute
dem Thema Wein schenken, sie meinen es ja nicht böse, aber das Auto ist komplett ausgestattet mit jedem Extra, und im Kühlschrank steht die Flasche für 4,50 Euro. Es fehlt uns in Deutschland in der Breite das Qualitätsbewusstsein, das wir beim Auto haben, beim Wein wie beim Essen. Es gibt immer noch dieses Stirnrunzeln, wenn ein Wein zweistellig kostet, aber die Menschen verstehen die Prozesse dahinter nicht, wissen nicht, mit wie viel Mühen ein guter Wein gewonnen wird. Wie bei der Beerenauslese jede einzelne Rosine gepiddelt wird, um ein Tröpfchen zu gewinnen. Wer das einmal gesehen hat, hat für immer Ehrfurcht vor dem Wein.
Was würde Ihnen im Leben fehlen, wenn Sie nun kein Weingut hätten?
Ich habe mich kopfüber in das Abenteuer gestürzt, wenn ich alles das gewusst hätte, was auf mich zukommt, wäre ich wohl doch zurückgeschreckt. Aber ich konnte so eintauchen in eine neue faszinierende, lustige und lebendige Welt. Bei der man nicht dem Missverständnis erliegen sollte, der Wein wachse ja von allein.