Interview mit René Redzepi und Matt Goulding

Interview: René Redzepi und Matt Goulding

Im Feinschmecker-Interview erzählen René Redzepi vom Noma in Kopenhagen und Food-Autor Matt Goulding, wie sie für ihre neue Serie „Omnivore“  (deutscher Titel: Allesesser) alltägliche Lebensmittel neu entdeckt haben und warum sie Kaffee zum Staunen bringt.
Text Julius Schneider
Datum10.07.2024

Acht Folgen, jeweils ein Lebensmittel und Stoff für unzählige Geschichten. In der Apple TV+ Serie „Omnivore“ zeigen Sternekoch René Redzepi vom Noma in Kopenhagen und Food-Autor Matt Goulding, wie alltägliche Lebensmittel den Lauf der Welt beeinflusst haben und immer noch beeinflussen. Mehr als fünf Jahre Arbeit, acht Regisseure und Reisen in 17 Länder waren nötig, um diese Serie zu produzieren. Eine Serie, die die Welt der Lebensmittel aus einer neuen Perspektive zeigt - mit beeindruckenden Bildern und spannenden Geschichten.

Feinschmecker: René, nach dem Sprichwort „Du bist, was du isst“ bist du eine Mischung aus Brombeeren, wildem Knoblauch und einer Prise Salz. Matt, mit welchen Lebensmitteln würdest du dich beschreiben?

Matt Goulding: 97% Kaffee, 2% Chili und eine Prise Salz, würde ich sagen.

René Redzepi: Du vergisst den Jamon.

Matt Goulding: Stimmt, danke René. Ich bestehe auch aus Schinken, das geht gar nicht anders, wenn man in Barcelona lebt. 

Feinschmecker: Das sind schon drei der acht Lebensmittel, die in eurer Serie „Omnivore" vorkommen. Darin zeigt ihr, wie diese Lebensmittel die Entwicklung der Menschheit beeinflusst haben und immer noch beeinflussen. Wer von euch hatte die Idee dazu?

René Redzepi: Die Idee entstand vor mehr als zehn Jahren, und als COVID kam, hatte ich plötzlich Zeit, darüber nachzudenken. Ich rief Matt an, der an einem ähnlichen Projekt arbeitete – es war die perfekte Fügung.

Feinschmecker: Ihr habt acht von unendlich vielen Lebensmitteln ausgewählt. Wie habt ihr die Lebensmittel für die Show ausgewählt? War es schwierig, sich zu einigen? 

René Redzepi: Die Arbeit für „Omnivore“ und im Noma sind wirklich zwei verschiedene Welten. Im Noma muss ich als Küchenchef oft allein entscheiden, und die Leute warten auf meine Entscheidung. Bei „Omnivore“ war das ganz anders, da haben wir mit einem großen Team entschieden, welche Lebensmittel vorkommen sollen. Wir haben mit 150 angefangen, acht sind übrig geblieben. Am Ende war entscheidend, dass wir eine große Vielfalt darstellen wollten. 

Matt Goulding: Es gab ein paar Zutaten, die wir unbedingt haben wollten, zum Beispiel Chili und Kaffee, die lieben wir einfach viel zu sehr. Um ein Gleichgewicht zu finden, einigten wir uns auf Lebensmittel, die die Welt verändern, und solche, die im Kleinen viel bewirken. Zu den weltverändernden, alltäglichen Lebensmitteln gehört zum Beispiel die Cavendish-Banane. Sie wird auf der ganzen Welt gegessen und hat in gewisser Weise die politische Landkarte verändert - eine unglaubliche Geschichte. 

Küchenchef und Inhaber des Noma in Kopenhagen: René Redzepi

„Unsere Welt ist köstlich und wir beschränken uns auf einen Bruchteil dessen, was es gibt.“

René Redzepi

Feinschmecker: Die Lebensmittel in „Omnivore“ sind so alltäglich, dass niemand mehr darüber nachdenkt. Was ist das Ziel der Serie, sollen die Leute mehr nachdenken, bevor sie einkaufen gehen?

René Redzepi: Auf jeden Fall. Wir wollen die Welt des Essens auf eine neue Art und Weise zeigen. So, dass die Menschen verstehen, dass wir nicht nur essen, um zu überleben. Wir wollen, dass die Menschen verstehen, dass Essen uns geformt hat. Es ist das kostbarste auf der Welt. Wenn wir gut und saisonal essen, geht es uns besser und der Welt auch. Wir wollen, dass die Leute bewusster werden und vielleicht bessere Entscheidungen treffen. Niemand soll gesagt bekommen, was er zu tun hat, aber wir wollen, dass die Menschen darüber nachdenken und erkennen, dass Lebensmittel mehr geschätzt werden sollten. 

Matt Goulding: Und wir wollen die Menschen zum Staunen bringen. Sie sollen verstehen, wie unglaublich komplex und großartig unsere Lebensmittelwelt ist, wie viel Zusammenarbeit nötig ist, um alltägliche Produkte herzustellen. Jede Entscheidung, die wir beim Essen treffen, kann die Welt verändern. Es ist ein wirklich mächtiges Werkzeug, um uns selbst und die Welt zu verändern, weil wir es ein paar Mal am Tag tun.

Feinschmecker: Hast du ein Beispiel?

Matt Goulding: Kaffee ist ein gutes Beispiel. Ich trinke Kaffee seit meiner Teenagerzeit, aber ich wusste nicht, wie viele Menschen an der Produktion einer einzigen Bohne beteiligt sind. Wir sprechen von 30 bis 40 Menschen, die mit einer einzigen Kaffeebohne in Kontakt kommen, bevor sie in deiner Tasse landet. Eine unglaubliche Kette, die sich über Ozeane und Kontinente bis in dein Lieblingscafé erstreckt. Und wir ärgern uns, wenn ein so komplexes Produkt zehn Cent teurer wird. Wenn ich jetzt meinen Kaffee trinke, empfinde ich eine Mischung aus Demut und Staunen. 

Feinschmecker: René, gab es für dich ein Lebensmittel, das dich überrascht hat?

René Redzepi: Jedes einzelne. Aber die Banane hat mich wirklich beeindruckt. Ich wusste nicht, wie mächtig und weltverändernd sie ist. Und die Tatsache, dass man auf einem Flughafen in Grönland die gleiche Banane bekommt wie in Kopenhagen, in Deutschland oder sonst wo auf der Welt, ist einfach unglaublich. Es ist erstaunlich, wie ein einzelnes Lebensmittel so optimiert wurde und zu welchem Preis.

Vielfach ausgezeichnet und von Kaffee fasziniert: der Food-Autor Matt Goulding.

„Jede Entscheidung, die wir beim Essen treffen, kann die Welt verändern.“

Matt Goulding

Feinschmecker: In „Omnivore“ wird deutlich, dass Vielfalt in der Welt der gängigen Lebensmittel keinen Platz hat – alle essen das Gleiche. Ist eure Serie ein Plädoyer für mehr Vielfalt auf dem Teller?

René Redzepi: Ja, wir wollen, dass die Menschen erkennen, wie eintönig ihre Ernährung oft ist, und sie ermutigen, abenteuerlustiger zu sein und saisonal einzukaufen. Unsere Welt ist köstlich und wir beschränken uns auf einen Bruchteil dessen, was es gibt. Saisonales Gemüse ist ein guter Anfang, aber auch das wird immer schwieriger. Vor fünf Jahren hätte niemand im Winter Blaubeeren gegessen, heute gibt es sie das ganze Jahr über. Es ist eine allgegenwärtige Beere geworden. Das macht mich traurig, die Jahreszeiten spielen in unserer Ernährung keine große Rolle mehr. 

Matt Goulding: Wir wollen auch die andere Seite der Medaille zeigen. Es ist schon erstaunlich, dass wir im Winter Blaubeeren essen können und es auf der ganzen Welt nur eine einzige Bananensorte gibt. Aber was bedeutet das umgekehrt? Wir übersehen die unglaubliche Vielfalt der Bananen, die vielen anderen Sorten, die es gibt. Wenn man größer denkt, kann man die Frage auf unser Landwirtschaftssystem übertragen. Was verpassen wir, wenn Monokulturen dominieren und riesige Betriebe nur wenige Sorten anbauen? Es gibt genügend Beispiele und Studien, die zeigen, dass Mischkulturen ertragreicher und weniger anfällig für Schädlinge sind. Wir stellen nur acht Lebensmittel vor, aber der Kontext, in dem sie entstanden sind, muss verstanden werden, wenn wir etwas ändern wollen.

Feinschmecker: Wie geht es euch damit im Alltag? Denkt ihr jedes Mal, wenn ihr in ein Restaurant oder einen Supermarkt geht, dass ihr Staffel 2, 3, 4 … drehen solltet?

René Redzepi: Oh Mann, wir reden fast jeden Tag darüber.

Matt Goulding: Wir könnten eine Daily Show daraus machen. Es gibt kein Ende. Wirklich nicht.

Feinschmecker: Lieber René, lieber Matt vielen Dank für das Gespräch. 

Omnivore läuft ab dem 19. Juli 2024 exklusiv auf Apple TV+
Noma
I N R Q

Das Kopenhagener Spitzenrestaurant hat regionale Küche auf eine neues Level gehoben und damit einen eigenen Küchenstil geprägt: "New Nordic". Das Team um Inhaber und Küchenchef René Redzepi serviert drei verschiedene Menüs pro Jahr, die saisonal geprägt sind. Im Sommer basiert das Menü auf pflanzlichen Produkten, im Herbst auf Wild und im Winter auf Fisch. Kein Gericht gibt es zweimal, jedes Mal gibt es einzigartige Menüs, etwa mit gegrilltem Kabeljaukopf und einer säuerlichen Sauce aus Ameisen zum Dippen, butterzartem Tintenfisch in Algenbutter Kuchen aus Plankton. Neben ungewöhnlichen Grundprodukten, spielt Fermentation eine wichtige Rolle in der Küche der Skandinavier.

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