Jonnie Boer: Zum Tode einer Kulinariklegende

Am Morgen des 23. April 2025 wurde die kulinarische Welt von einer traurigen Nachricht erschüttert: Spitzenkoch Jonnie Boer ist im Alter von 60 Jahren verstorben. Auf der Facebook-Seite des Restaurants De Librije teilte seine Familie den Verlust mit:
Liebe Freunde & Gäste,
Leider ist unser schlimmster Albtraum wahr geworden. Jonnie ist heute Morgen in Bonaire an den Folgen einer Lungenembolie verstorben. Wir sind unendlich traurig und niedergeschlagen und können es immer noch nicht begreifen.
Wir hoffen, dass Sie uns Frieden und Zeit geben, um mit dieser Trauer fertig zu werden. Und wir möchten uns bei Ihnen für all die Unterstützung bedanken, die wir erhalten haben ❤️
In Liebe, Thérèse, Jimmie & Isabelle
Mit Jonnie Boer verliert die Welt nicht nur einen Ausnahmekoch, sondern einen Visionär, der die niederländische Gastronomie revolutionierte und prägte wie kaum ein anderer.
Über das Lebenswerk von Jonnie Boer
Geboren und aufgewachsen in Giethoorn, einem kleinen Dorf nördlich von Zwolle, war Boer von Kindheit an tief verwurzelt in seiner Heimat.
Das Wasser, die Moore, die Flora und Fauna der Region begleiteten ihn von klein auf. Mit seinem Großvater, einem Fischer, durchquerte er fast täglich das Kanalsystem rund um Zwolle, lernte die Pflanzen und Fische kennen, die später sein kulinarisches Repertoire prägen sollten. Es war diese Nähe zur Natur, die sein ganzes Schaffen bestimmte.
Der Pionier der niederländischen Moderne
Jonnie Boer war kein Koch, der Trends folgte – er war es, der sie setzte. Bereits in den 1990er Jahren, als internationale Luxusprodukte die Gourmetwelt dominierten, kochte er unbeirrbar mit heimischen Zutaten: Lamm aus der Region, Austern aus Zeeland. Für viele Kollegen damals undenkbar. „Du musst Pauillac-Lamm und Austern aus der Bretagne kaufen“, rieten sie ihm. Doch Boer blieb standhaft: Warum in die Ferne schweifen, wenn das Beste vor der eigenen Haustür liegt?
Mit dieser Haltung wurde er zum Paten der niederländischen Moderne – gemeinsam mit seinem Freund und Kollegen Sergio Herman. Beide vereinte der Wille, sich niemals auf Erfolgen auszuruhen. Für Boer war das Streben nach dem Neuen, dem Unkonventionellen, ein Lebenselixier. Er sagte einmal: „Unsere Küche ist nicht typisch holländisch. Sie ist typisch Boer.“
Die Tulpe als Delikatesse
Dieses unermüdliche Streben nach dem Besonderen zeigte sich auch in Projekten wie seiner Hommage an die Tulpe – dem Sinnbild der Niederlande. Boer recherchierte, probierte, experimentierte, bis es ihm gelang, aus der unscheinbaren Tulpenzwiebel eine Delikatesse zu kreieren: fein geschnittene Streifen der Zwiebel, kombiniert mit Nordseeshrimps, Hühnerleberparfait und Algenöl, serviert auf knusprigen Hühnerhaut-Chips. Es war diese Art des Denkens, die ihn zur Ikone machte – das Unscheinbare veredeln, das Naheliegende neu denken.
De Librije – ein Ort wie kein anderer
Boers Lebenswerk, das Restaurant De Librije in Zwolle, spiegelt seine Philosophie wider: naturnah, unkonventionell, zutiefst persönlich. Ursprünglich in einer Klosterbibliothek untergebracht, zog es später in ein ehemaliges Frauengefängnis – samt integriertem Hotel und einem Baum, der mitten im Restaurant wächst. Für Boer war dies kein Gag, sondern Ausdruck seiner Verbundenheit mit der Natur. Der Baum, das Glasdach, die Kräuter in den Töpfen – all das machte das De Librije zu einem einzigartigen Erlebnisort, einem Gegenentwurf zu steifen Gourmettempeln.
Ein Familienmensch
An seiner Seite stand stets seine Frau Thérèse. Von Anfang an war sie nicht nur für Service und Wein verantwortlich, sondern auch seine wichtigste Kritikerin. Gemeinsam bauten sie das De Librije zu einer Institution auf – als Team, als Familie. Der niederländische Michelin nannte sie „Bonnie und Clyde der kulinarischen Welt“.
Ein Vermächtnis für die Zukunft
Boer war nicht nur Koch, sondern auch Lehrer und Mentor. Junge Talente wie Jeroen Achtien, Sydney Schütte oder Mathias Sühring hat er geprägt, ihnen seine Philosophie des „out-of-the-box“-Denkens mitgegeben. Fermentation, Wildkräuter, regionale Produkte – was heute selbstverständlich klingt, war für Boer schon seit Jahrzehnten gelebte Praxis.
Er hat gezeigt, dass große Küche nicht von teuren Zutaten abhängt, sondern von der Fähigkeit, das Einfache groß zu machen. Seine Liebe zur Heimat, zur Natur, sein unerschütterlicher Wille, neue Wege zu gehen, bleiben unvergessen.
Mit Jonnie Boer verliert die Welt einen der originellsten und kreativsten Köpfe der Gastronomie - doch sein Vermächtnis lebt in seinen Schülern und in jedem Gericht weiter, das aus Liebe zur Region und zum Handwerk zubereitet wird.
Jonnie Boer verstarb mit 60 Jahren auf niederländischen Karibik-Insel Bonaire.