In Bestform: Moldbrothers

Wer verstehen will, wie essbare Fischgräten, Schokolade in Korkenform oder hauchdünne Blätter aus Teig entstehen, muss in ein Industriegebiet im niederländischen Wijchen nahe der deutschen Grenze fahren. In einem unscheinbaren Flachbau zwischen Klimatechnik und Fliesenhandel befindet sich die Firma der Brüder Joost und Stijn Sommerdijk – in den Spitzenküchen der Welt besser bekannt als Moldbrothers (mold = engl. für Form). Ihre Silikonformen ermöglichen es den Köchinnen und Köchen, selbst absurd klingende Ideen in Form zu bringen. Dass sie so weit gekommen sind, hat mit Glück, Hartnäckigkeit und dem Blick für eine Marktlücke zu tun.

Tausche Playstation gegen 3D-Drucker
Joost hatte schon früh einen Bezug zu Lebensmitteln und wollte eigentlich Koch werden. „Aber meine Eltern waren skeptisch“, erinnert er sich. Also studierte er Food Design and Innovation in s’-Hertogenbosch und arbeitete nebenbei in einer Restaurantküche. Dabei fiel ihm auf, dass dort häufig Silikonformen verwendet wurden, meist ein und dieselbe für verschiedene Gerichte. An der Universität belegte er einen Kurs über die Formgebung von Lebensmitteln und deren Bedeutung für die Wahrnehmung. Langsam reifte in seinem Kopf die Idee, dass es doch möglich sein müsste, individuelle Silikonformen für bestimmte Gerichte herzustellen. Die Idee klang gut, aber er brauchte jemanden, der die Zahlen im Blick hatte und wusste, wie man ein Unternehmen aufbaut. Sein Bruder Stijn schien dafür wie geschaffen, denn er studierte zur gleichen Zeit Betriebswirtschaft in Amsterdam. Teil des praxisorientierten Studiums war es, ein Unternehmen zu gründen, das echten Umsatz macht. Warum nicht ein Unternehmen, das Silikonformen für Restaurants herstellt? „Es brauchte etwas Zeit, bis mein Bruder überzeugt war“, sagt Joost, „aber dann war er zu 100 Prozent dabei.“ Joost und Stijn überredeten ihre Eltern, dass die heimische Garage der perfekte Ort für die Gründung eines Start-ups sei. Als Zeichen für ihren festen Plan verkauften sie ihre geliebte Playstation, um mit dem Geld einen 3D-Drucker und lebensmittelechtes Silikon zu kaufen. Sechs Monate verbrachten sie in ihrer Garage, um Prototypen herzustellen und herauszufinden, wie sich das Material verhält. Bei einem lokalen Cateringunternehmen konnten sie ihre Formen unter realen Bedingungen testen, bevor sie Restaurants besuchten, um Köchinnen und Köchen ihre Idee vorzustellen. Nachdem der Test beim Caterer erfolgreich war, schrieben sie verschiedene Restaurants an und erhielten eine Einladung.

Auf Zweifel folgt der Durchbruch
Mit Papas Auto fuhren sie in die Kleinstadt Leiden und betraten das Restaurant „Bistro Bord’o“. Der Koch fragte, ob er die Formen sehen könne, aber die beiden hatten ein anderes Konzept. „Wir konnten ihm ein paar Formen zeigen, aber eigentlich wollten wir ja individuelle produzieren“, erinnert sich Joost, „der Koch suchte aber nichts Maßgeschneidertes, und wir fuhren wieder nach Hause.“ Auf den ersten Rückschlag folgte jedoch schnell ein Erfolgserlebnis. Küchenchef Jermain de Rozario vom Restaurant „De Rozario“ in Helmond verstand die Idee sofort. „Er war begeistert und hatte sofort viele Ideen für Formen im Kopf“, sagt Joost. Seine Ergebnisse und die Verwendung der Formen postete der Koch auf Instagram und brachte damit den Stein ins Rollen. Aufträge folgten, Stijns Umsatzziel wurde erreicht, doch zum Leben reichte es noch nicht. Die ersten drei Jahre war es ein Nebenprojekt, dem das Aus drohte, als die Welt von der Corona-Pandemie erschüttert wurde. „Alles, was wir aufgebaut hatten, war weg. Unsere Kunden konnten nicht mehr arbeiten, und wir dachten, wir müssten aufgeben.“

Globales Netzwerk
Nach dem ersten Schock änderten die Brüder ihre Strategie und kontaktierten Restaurants überall auf der Welt. Da die Restriktionen von Land zu Land unterschiedlich waren, erwies sich diese Taktik als richtig. „So bauten wir uns ein großes Netzwerk auf, das sich auszahlte, als die Beschränkungen aufgehoben wurden“, sagt Joost, „denn da konnten wir uns vor Anfragen kaum retten.“ Nach einem Jahr hatten konnten sie das Unternehmen hauptberuflich weiterführen. Heute arbeiten 28 Mitarbeiter für Moldbrothers. Wenn sie von Köchen kontaktiert werden, ist es wichtig, genau zu wissen, was sie sich vorstellen. „Mit unseren Produkten ist fast alles möglich, aber wir müssen das gleiche Wissen haben wie ein Koch, um die Formen zu produzieren.“ Sind die ersten Fragen geklärt, bauen die 3D-Designer ein erstes Modell. In einem Raum surren 16 3D-Drucker, die die Gussform millimetergenau herstellen. Nebenan wird mit flüssigem Silikon gearbeitet, und nach einer Trocknungszeit von zweieinhalb Stunden ist die Form fertig und einsatzbereit. Einer der ersten Kunden war der mit vier Feinschmecker-Fs ausgezeichnete Emile van der Staak, der sein Restaurant De Nieuwe Winkel im 20 Minuten entfernten Nimwegen betreibt. „Ich wollte den Abfall bei einem Dessert reduzieren und ließ eine Form für eine Nusspâté anfertigen, die genau die Form der Stroopwaffel hatte“, erinnert sich Emile. Er möchte nur Formen verwenden, die einem Zweck dienen und nicht, weil sie spektakulär aussehen. So geht es den meisten Kunden, die sich individuelle Formen anfertigen lassen. Geschmack und Textur stehen immer an erster Stelle, aber die Formen verleihen den Gerichten eine zusätzliche Dimension. Zu den Kunden gehören die besten Köche der Welt, darunter Jan Hartwig, Tim Raue, Daniel Humm und Mauro Colagreco.

Die Patisserie, eine eigene Welt
Man könnte meinen, dass Patissiers wichtige Kunden der Moldbrothers sind, aber für sie haben sie erst seit Ende 2024 spezielle Formen entwickelt. „Um die Bedürfnisse eines Patissiers zu befriedigen, müssen andere Formen entwickelt werden als für Köche. Und wir hatten einfach nicht genug Know-how in dieser Welt“, sagt Joost. Es hat Monate gedauert, um zu verstehen, wie hochwertige süße Kunst funktioniert und worauf es ankommt. Heute ist „Moldbrothers Pastry“ eine eigene Linie, die speziell für die Patisserie entwickelt wurde. Aber es gibt noch einen weiteren Grund, warum die Formen so gut Von Hand kaum herzustellen: ein Geburtstagstörtchen mit 3D-Glückwunsch ankommen. „Auch in der Patisserie fehlt es an Arbeitskräften und an Menschen, die handwerklich so gut sind, dass sie spezielle Formen herstellen können“, weiß Joost. Die Silikonformen aus Wijchen helfen dabei, auch bei aufwendigen Kreationen gleichbleibende Ergebnisse zu garantieren, die optisch beeindrucken. Ein wichtiger Aspekt in einer Zeit, in der jedes Gericht am Tisch fotografiert wird und die Formen der Moldbrothers zu einer spektakulären Inszenierung beitragen (siehe auch Chef’s Table auf Seite 8). Die Produktqualität, das Handwerk und die Zubereitung sind jedoch die entscheidenden Faktoren, um ein hervorragendes Gericht zu kreieren. So gilt für den Einsatz der Formen eine alte Weisheit: Form follows function.