Paris à Table
Mory Sacko
Sie schwankt, aber sie geht nicht unter
Der Bekannteste von ihnen ist Mory Sacko. 28 Jahre ist er jung, dieser zwei Meter große Mann, Sohn einer senegalesischen Mutter, der mit seinem Charisma und seinem Lachen den Saal des „MoSuke“ nahe des Tour Montparnasse sofort für sich einnimmt.
So ein Publikumsliebling ist er, dass selbst kleine Kinder ins Gourmetrestaurant mitkommen, um ein Selfie mit Mory zu machen. Seit der Eröffnung ist das „MoSuke“ auf vier Monate im Voraus ausgebucht. Doch der Mann kann nicht nur Show, er kann auch auffallend gut kochen. Weil er die spannendsten Einflüsse der Welt in seiner winzigen Küche verbindet, zu zweit sind sie dort nur, und wie sie so mittags und abends je vierzig Gäste bekochen, bleibt ihr wohlgehütetes Geheimnis: Afrikanische Gewürze, japanische Zutaten, französische Technik, so fasst Mory Sacko seinen Stil zusammen.
Der Hummer liegt in einem Sud aus Tomaten und Basilikum, die geröstete Wassermelone bringt die Frische, die geräucherte Paprika die afrikanische Schärfe. Überhaupt: Sacko liebt es pikant, sehr pikant – und doch stören die scharfen Elemente aus der senegalesischen Heimat überhaupt nicht, sie erschließen vielmehr neue Zugänge zu traditionellen französischen Produkten: Den bretonischen Adlerfisch wickelt der Koch in ein Bananenblatt und serviert ihn mit Salsa verde und einer Jus von Liebstöckel, als Beilage gibt es Attiéké, ein Couscous von fermentiertem Maniok, sehr afrikanisch, sehr spannend.
„PARIS HAT DURCH CORONA GEWONNEN“,
sagt Mory Sacko. „Sehen Sie: Früher gab es Restaurants, die setzten nur auf Eintagsfliegen, auf Touristen, die einmal kamen und dann nie wieder. So war auch die Qualität. Doch diese Läden mussten umdenken, als nur noch die Pariser kamen. Ich glaube, dass die Qualität in der Stadt zugenommen hat, der Pandemie sei Dank.“
Auch fallen Personalprobleme hier in der Hauptstadt noch nicht so ins Gewicht wie in anderen Regionen Frankreichs. Wer jung ist und Gastronomie kann, der kommt nach Paris. Mory Sacko schart mit seiner gewinnenden Art ein Team um sich, das noch jünger ist als er selbst. Jung, aber auf auffallend hohem Niveau, freundlich, gewinnend, mit Know-how – kurzum: Ganz und gar unpariserisch, wenn man die alten mürrischen Kellner der 90er-Jahre kannte. Doch diese Zeiten scheinen ein für allemal vorbei. Besonders angenehm ist die bunte Gästeschar, die sich in Paris in die anspruchsvollen Restaurants wagt: Jung und alt, reich und nicht ganz so reich, Gourmets sind in Frankreich eben nicht die Ausnahme, sondern die Regel – gutes Essen bleibt hier ganz und gar urdemokratisch.
Das Liquide
Richtig jung ist das Publikum hingegen bei zwei anderen „Top-Chef“-Kandidaten: Jarvis Scott und Matthias Marc haben unweit des wiederauferstandenen Nobelkaufhauses Samaritaine das „Liquide“ eröffnet.
Dank der Bekanntheit durch die Fernsehauftritte ist das von Philippe Starck designte Bistro allabendlich voll, ein Klangteppich liegt über dem schönen Raum mit offener Küche, der junge DJ tut sein Übriges, dass sich Gespräche schnell erschöpfen. Die geschnippelten Bohnen auf Meerrettich mit Brombeeren sind hochspannend und stecken voller neuer Aromen. Das mit Herbsttrompeten gefüllte Täubchen kommt außen kross und innen saftig an den Tisch. Nur die Lachsforelle kämpft tapfer gegen Rote Bete und allzu viel Essig und hat am Ende aromatisch doch keine Chance.
Matthias Marc stammt aus dem Jura genau wie die Weine, die hier angeboten werden, eine Region im Osten Frankreichs, erdig, gebirgig, entlegen. Im „Liquide“ kann man sie neu kennenlernen. Vielleicht ist das die zweite Neuerfindung von Paris nach der Pandemie: Die Hauptstädter haben während Corona auch das Homeoffice für sich entdeckt, doch weil die Wohnungen intra muros zu klein und zu teuer sind, machten sie sich auf in die Ländlichkeit: Die Immobilienpreise selbst fünf, sechs Stunden von Paris entfernt steigen derzeit sprunghaft an, weil sich mit Blick auf Berge und Meer entspannt arbeiten lässt. Und so entdeckt die Hauptstadt La France profonde neu, das einfache Frankreich à l’ancienne, früher aus der eleganten Elfenbeinturm-Perspektive belächelt, heute trumpfen die Regionen auch in der Küche der Kapitale neu auf.
Das einfache Frankreich
Lucis Boursier-Mougenot etwa hat ihrer Großmutter in Toulon am Mittelmeer zugesehen, wie sie Gemüseragouts und die Daube provençale kochte, das berühmte Gulasch mit Rotwein. Was sie besonders begeisterte: die Zeit. Stundenlang kochte die alte Dame. In der Provinz hat man, was in Paris oft fehlt: Zeit.
Diese Erfahrungen hat die 34-Jährige in ihre eigene Küche mitgebracht: Im „Pétrelle“ südlich des Montmartre gingen jahrelang Madonna, Lady Gaga und sogar Mick Jagger ein und aus und feierten die Nächte durch – bis Jean-Luc André sein Restaurant mit goldenen Wänden und Trompe-l’Œil-Malereien vor dem zweiten Lockdown an Lucie und Sommelier Luca Danti übergab. Nun nimmt sich die Küche mehr Zeit, um die Produkte aus dem ganzen Land pur zu präsentieren: Der Thunfisch aus dem Golf der Gascogne verschmilzt mit gelben Pfirsichen zu einem zarten Akkord, das Öl von Verveine und ein Pinienzapfenpüree schaffen Raum für neue Entdeckungen. Das Täubchen serviert Lucie mit einer unwiderstehlichen Sauce, lange eingekocht, ihre Großmutter lässt grüßen. Die Zucchiniblüten, die schwarzen Kichererbsen, die Anleihen am Ratatouille – hier winkt der Süden. Genau wie bei der luftleichten Creme von der Kokosnuss, die mit süßem Piment zubereitet wird, das hauchzarte Meringue und das Himbeersorbet schaffen Biss und Frische zum Dessert.
Mehr Paris geht nicht
Im Schatten der Bastille gibt es auch etwas Neues zu entdecken: In den ehemaligen Räumen der kleinen „Bofinger“-Dependance hat sich Adrien Spanu ausgetobt und vor Wochen die „Grande Brasserie“ eröffnet.
Mehr Paris geht nicht: An den Wänden sind die alten Malereien freigelegt, die Theke strahlt im Art-déco-Stil, wer sich hier zum Rendezvous auf den traditionellen Bistrostühlen trifft, kann auch gleich den Antrag machen. Der junge Gastwirt stammt aus der Lorraine unweit von Metz und übersetzt die bürgerliche Küche Frankreichs in die heutige Zeit. „Fine Dining ist in Paris mittlerweile an jeder Ecke zu finden“, sagt Spanu, „aber die Menschen wünschen sich in schwierigen Zeiten die zeitlose Küche in all ihrer Vielfältigkeit.“
Eine Küche der Regionen, Produkte von Bauern aus dem ganzen Land, aber besonders aus Ostfrankreich. Im Winter soll es ein ganz besonderes Choucroute geben, ein elegantes, leichtes. Das Konzept funktioniert, denn der Gast schwelgt sofort im Frankreich vergangener Tage, ohne dass die Küche der Butter und der Sahne allzu sehr zusprechen würde. Die Terrine von Hühnerleber bekommt mit Äpfeln und Calvados geradezu eine Leichtigkeit. Die Schnecken aus der Bourgogne sind in gebutterten Kroketten mit Petersilie und Knoblauch verpackt und schmecken daher auch jenen, die sonst keine Escargots mögen. Der provenzalische Kabeljau ist glasig und zart, er wird mit knackigen Wintergemüsen angerichtet, warum nur ist an der deutschen Ostsee ein solches Gericht in seiner Einfachheit und Perfektion so schwer zu finden?
Adrien Spanu hatte Sorge vor einem weiteren Lockdown, so kurz nach der Eröffnung. Nicht nur für sich, auch für seine Gäste: „Paris besteht aus so vielen kleinen Dörfern – und jedes Dorf braucht doch seine Gaststube. Wo sollen die Leute denn sonst daheim sein? Genießen? Durchatmen?“
Der Altmeister
Einer der ganz Großen aus dem ländlichen Frankreich will es auf seine alten Tage auch noch mal in der Hauptstadt wissen: Michel Bras eröffnet mit 75 Jahren eine Pariser Dependance seines legendären Restaurants in Laguiole im Aubrac. Ganz oben im neu eröffneten Museum der Bourse de Commerce fällt der Blick aus seinem Restaurant „Halles aux Grains“ auf eine beeindruckende Freskenkuppel, die die fünf Weltkontinente abbildet, darunter liegt die Ausstellung des französischen Milliardärs und Kunstmäzens Pinault.
Vor 200 Jahren befand sich hier die Börse der Getreidehändler – und so hat der Maître auf jedem Teller kleine Anleihen an die Getreide Frankreichs: Das beginnt mit wunderbarem Gerstenbrot und endet bei den Hosen der Servicemitarbeiter, die aus Hanf sind und extra für Michel Bras in der Heimat genäht wurden. Doch neben diesen Spielereien bringt der Altmeister der Kräuter und Pflanzen aus seiner Heimat auch die unnachahmlichen Messer mit, für die Laguiole berühmt ist – und die während des Essens nicht gewechselt werden. Sinnbildlich steht das für den Ort im tiefen Okzitanien, in dem jedes Kind ein solches Messer bekommt und für den Rest seines Lebens behält.
Weil Michel Bras seinen Landsitz nicht mehr ganz so gern verlässt, hat er Maxime Vergely zum Chefkoch gemacht, auch wenn jedem Teller anzumerken ist, wer hier Regie führt: Die Sellerieknolle ist so zart und auf den Punkt geröstet, dass die ganze Liebe für die simpelsten Gemüse zu schmecken ist – und dann kommt da Püree aus Erdnüssen und schafft zusammen mit jungen Blättern von Halfagras eine völlig neue Geschmackswelt, einen Akkord, der wirklich überzeugt. Ähnlich gut gelingt das beim Filet vom Perlhuhn in seiner Jus, das auf einem dunklen Tomatenpüree liegt, dazu gibt es jungen Pak-Choi und gebratenen Kopfsalat. Und erst das Dessert: Ein Hafertörtchen, das wie eine Welle daherkommt, obenauf rote und unglaublich fruchtige gelbe Himbeeren, ein Sorbet von Thaibasilikum und gedünstete Kokosnuss – was für ein Kunstwerk. Michel Bras wagt den Schritt in die Museumsgastronomie mit breiter Brust: Mittags gibt’s verschiedene Menüs, genau wie am Abend. Nachmittags werden Kuchen auf Gourmetniveau und kleine Gerichte serviert, täglich ist bis Mitternacht geöffnet. Die Gäste werden kommen, da hat hier niemand Zweifel. Paris bleibt auch die Welthauptstadt der Kultur – gerade jetzt, wo die Europäer in puncto Ausstellungen und feinem Essen so lange darben mussten.
HÔTEL DE CRILLON
Auch die Nobelherberge HÔTEL DE CRILLON bestätigt den Run auf Europas schönste Kapitale: Ausgebucht sind sie, und das nicht nur an den Wochenenden. Es scheint, die Gäste würden sich nach all den Entbehrungen der Lockdowns endlich den puren Luxus gönnen wollen – und wo ginge das besser als in dem historischen Palast nahe der Tuilerien.
Sie punkten hier nicht nur mit den ausladenden Suiten, dem goldenen Schwimmbad und dem perfekten Egg Benedict, sie punkten mit derart herzlichen und hochprofessionellen Mitarbeitern, dass jeder deutsche Hoteldirektor vermutlich vor Neid erblassen würde
Gleich nebenan wird übrigens auch Jean-Francois Piège seine neue Wirkungsstätte eröffnen:
Das „Mimosa“ im Hôtel de la Marine. Gerade erst hat Emmanuel Macron eines der größten Bauprojekte der Hauptstadt eingeweiht – in dem Palast hatte im 18. Jahrhundert der königliche Intendant die Möbel des Hofes restauriert, später residierte hier die Marine, nun erstrahlen die Gemächer wieder im goldenen Glanz. Im Innenhof kocht bald der einstige Ducasse-Schüler, und nicht nur er beweist: Paris bleibt auch in schwierigen Zeiten die Welthauptstadt der Gastronomie – mais sans doute!
Düfte im Buly
Zurückhaltende Düfte? Nein, die gibt’s nicht im Officine Universelle Buly. Seit 1803 hat die Parfümerie ihren Sitz in der noblen Rue Saint-Honoré und ist ein Universum für Parfums, Seifen und Duftkerzen. Die Boutique mit ihren hölzernen Regalen ist selbst ein Stück Zeitgeschichte. Gemeinsam mit dem Louvre hat Buly Düfte für acht Kunstwerke entwickelt, darunter für die Venus von Milo.
Jüdische Küche im Marais
Wie schön sind die engen Gassen nördlich des Rathauses, seitdem der Autoverkehr weitgehend verbannt wurde. Jetzt schlendert man hier ungefährlich, die Schaufenster der kleinen Boutiquen sind ein Rezept gegen den modischen Einheitsbrei anderswo. Und es gibt in ganz Europa keine besseren Falafel als die im jüdischen „L’As du Fallafel“: Die Kichererbsenbällchen sind kross und würzig, für die säuerliche Aubergine und den legendären Hummus stehen die Gäste gerne an. Am Sabbat ist hier selbstredend geschlossen.
Fontaine de Mars Barack
Obama war hier, Robert de Niro kommt oft vorbei – einfach, weil die „Fontaine de Mars“ das traditionellste Pariser Bistro ist, das nicht zur Touristenfalle wurde. Die Qualität ist gleichbleibend hoch, der Service diskret und verbindlich. Das Landhuhn mit Morchelsauce ist eine Wucht genau wie das Cassoulet mit Bohnen aus Tarbes. Der Hauswein, exklusiv für die „Fontaine“ gekeltert, kostet 18 Euro pro Flasche und ist deutlich mehr wert. Die alternativlose Nachspeise im Frühsommer: Walderdbeeren mit einem Klecks Sahne. Mehr Geschmack geht nicht. Unbedingt reservieren!