Kulinarik im Elsass: Charme mit neuem Schliff

Kulinarik im Elsass: Charme mit neuem Schliff

Elsass: hübsch, viel besucht und eine der beschaulichsten Regionen Frankreichs. Dachte unser Autor – und erlebte eine Überraschung: Von Straßburg bis Colmar verzaubern kreative Köche mit einer feinen Balance zwischen Tradition und Modern. Die kulinarischen Höhepunkte des Elsass im Überblick.
Text Alexander Oetker
Datum25.05.2023

Ganz ehrlich? Ich habe in der zurückliegenden Dekade das Elsass weitgehend gemieden. Noch vor zehn Jahren hatte ich rund um Straßburg das Gefühl architektonischen wie gastronomischen Stillstands, während sich in Colmar die Touristen gegenseitig über den Haufen rannten – was der Kulinarik allerdings auch nicht gerade half.

Welch wunderbare Überraschung brachte dann ein neuerlicher Besuch: Das Elsass hat sich aufgemacht! Das ist überall spürbar, Alt und Jung berichten davon, und besonders bemerkbar macht sich dieser Aufbruch auf den Tellern und in den Gläsern. Aber fangen wir vorne an, an einem Morgen auf der Landstraße in Richtung Kaysersberg. Die Vogesen liegen als dunkelgrüne Schatten hinten im Frühnebel, und in der Ferne hört man Schüsse.

Zu Gast beim besten Koch Frankreichs in Kayserberg

Verschlafene Orte, aufgeweckte Gastronomen. Ob im Örtchen Barr mit seinen Weinbergen oder in Kaysersberg – überall im Elsass warten Genüsse.

Die Gemeinde Kayserberg ist 800 Jahre alt, unter den roten Dächern der wohlrestaurierten Häuser recken sich Balken empor, sind die Fassaden bunt, obenauf besetzen die Störche gerade wieder ihre Nester. Und dann kommt Olivier Nasti in seinem Wagen zurück, der wohl bekannteste Kaysersberger nach Albert Schweitzer. Heute hatte er kein Glück bei der Jagd, aber das passiert dem Chef des Restaurants "La Table d" Olivier Nasti" nicht oft. Stolz zeigt er Fotos von dem Hirschen, den er vor einigen Monaten erlegte. Drei- bis viermal pro Woche zieht er los, morgens, kurz vor Sonnenaufgang. "Es ist mein Jungbrunnen", sagt Nasti, der vor 15 Jahren als bester Koch Frankreichs ausgezeichnet wurde. Am Nachmittag treffen wir uns in der Küche wieder, wo bereits das Team wartet. "Was ist denn mit euch?"

Kulinarischer Höhepunkt: Das Restaurant "La Table d" Olivier Nasti“

Dienstbeginn ist um sechs, nicht um fünf. Ihr seid alle verrückt“, näselt Nasti fröhlich. Dabei ist er der Verrückteste hier. Mit ihm ein Interview zu führen ist beinahe unmöglich, weil er immer wieder losrennt, um in der Küche etwas zu justieren, auszuprobieren, abzuschmecken. Als Meilleur Ouvrier de France, als bester Vertreter seines Handwerks also, dürfte er den Kragen in den Nationalfarben "Bleu Blanc Rouge" tragen, doch in der Küche lässt er das. Die jungen Köche sehen eh ständig zu ihm herüber, weil es stets etwas zu lernen gibt, einen Handgriff, eine Technik. Der Abend im Restaurant beginnt mit einer Tour d’Alsace, denn es gibt ein paar Produkte, die gehören hierher wie das Straßburger Münster. Der Meerrettich etwa, "raifort" auf Französisch, den sie hier seit dem Mittelalter kultivieren. Der Kohl, dem sie mit dem allgegenwärtigen "choucroute" ein gastronomisches Denkmal gesetzt haben. Den Saibling, den sie in ihren herrlichen kleinen Flüssen fischen. Und die Schnecken, die sie hier genießen wie nirgendwo sonst im Lande. All diese Produkte serviert Nasti als Amuse-Bouche – und zwar so meisterhaft, dass es perfekt einstimmt auf den Abend. Meeresfische verarbeitet er seit Jahren nicht mehr, nur noch Fluss- und Seefische. Den leicht geräucherten Aal lässt er mit einer Hechtfarce und lackiert mit Zitrusfrüchten servieren, während er den Saibling am Tisch in Bienenwachs gart und mit lauwarmer Honig-Kiefernöl-Vinaigrette anrichtet.

Das sonst so schwere "choucroute" interpretiert er leicht und sehenswert: mit einem gegrillten Kohlblatt, einer Mousse aus Kohl und Trüffel sowie einer Liebstöckeljus. Highlight ist "Der König des Elsässer Waldes": Hirschtatar mit Ossietra-Kaviar. Grob geschnitten, würzig, zart – ein Aromenfeuerwerk. Nach zwei Stunden ist der Lärmpegel in dem schicken Saal gestiegen, es wird geredet, gelacht, und doch ist eine allgemeine Ergriffenheit spürbar angesichts der schlichten Perfektion, die den Abend bestimmt. Da befindet sich auf keinem Teller irgendetwas nur wegen der Optik oder einer Show. Alles hat seinen Sinn, ist dabei zurückgenommen und pur. Nasti hat in Kaysersberg noch viel vor. Kürzlich ließ er am Rande seiner Küche ein Schaufenster einbauen, dahinter gibt es nun eine Sauerteigbäckerei für die Dorfbewohner. "Corona hat auch die Menschen hier verändert", sagt er. "Sie suchen beim Essen ihre Wurzeln, so als wollten sie sich ihrer selbst und ihrer Traditionen vergewissern." Das geht bei Nasti beispielhaft.

links: Koch Oliver Nasti Mitte: Marillen-Dessert im Restaurant "La Table d’Olivier Nasti" rechts: Leicht geräucherter und mit Zitrus­früchten lackierter Aal, mit Lauchpüree und Orangengelee

Die "Route des Vins" im Elsass

Auf ein Glas: Bei der Weinbar "Le Cercle des Arômes" in Colmar geht das drinnen wie draußen.

Auch auf der "Route des Vins" erlebt man das Ursprüngliche der Region. Die führt durch pittoreske Dörfchen und vorbei an blühenden Reben. Wie hat sich der Wein im Elsass verändert, nach all den quälenden Jahren, in denen die hiesigen Gewächse um Bedeutung rangen, allzu oft eher Masse als Klasse waren. Doch die jungen, weit gereisten Winzer scheinen die Vorteile ihres Terroirs nun zu nutzen, unterlassen die Fehler der Großväter, setzen keinen Zucker mehr zu und lesen, wenn die Trauben wirklich reif sind und nicht, wenn der Kalender es sagt. Jeder hiesige Crémant auf unserer Reise stand gutem Champagner sowohl in Sachen Perlage als auch Frische und Tiefe in nichts nach. Und die Rieslinge? Weltklasse. Ob der Gemische Satz der biodynamisch arbeitenden Domaine Marcel Deiss oder die mineralischen Grands Crus der Domaine Agapé – das Elsass schmeckt auch im Glas. Auf der "Route des Vins" kommt der Reisende durch Barr, ein Kleinod, ein wenig verschlafen vielleicht, und deshalb ist das nächste Restaurant eine echte Überraschung.

Lust auf ein Wochenende Nordosten Frankreichs? In unserem Artikel 48 Stunden in Nancy zeigen wir Ihnen Restaurant- und Übernachtungstipps.

Elsässische Gastfreundschaft im "Enfin"

Die junge Wirtin Carole Eckert hat die alte Tischlerei vor Corona gekauft und umgebaut. Und weil das ewig dauerte bis zur Eröffnung, heißt der Laden jetzt "Enfin" – endlich. Die Tische gruppieren sich um die riesige offene Küche, die Holzbalken an der Decke kontrastieren mit den stoffbespannten Wänden, alles ist sehr chic, sehr modern, luftig und doch gemütlich. Lucas Engel, der Chefkoch, präsentiert ein Menü, das komplett aus dem Elsass stammt: Fisch, Fleisch, Gemüse, Kräuter und Gewürze. Drei Gänge plus Nachspeise vom Dessertwagen kosten mittags nur 42 Euro. Eine gute Gelegenheit, den Stil und die hohe Qualität kennenzulernen, abends wird das Doppelte fällig.

Die gedämpfte Rübe wird in Scheiben serviert, mit sahnig-süßer Crème fraîche vom nahen Bauernhof, Salz bringen die Lachsforelleneier, und Kresseschaum sorgt für kräuterigen Genuss und Farbe. Sehr fein sind auch der Saibling mit Crémant-Zabaione und das Sot-l'y-laisse, das Pfaffenstückchen vom Huhn, welches sie hier über offenem Feuer garen. "Die letzten Jahre waren für das Elsass eine Verjüngungskur", sagt Wirtin Carole Eckert, "Die jungen Winzer:innen heben das Niveau, genau wie die jungen Köch:innen. Und dazu kommen die Wärme und die Gastfreundschaft, für die diese Region schon immer bekannt waren."

links: Wirtin Caroline Eckert und Koch Lucas Engel Mitte: Restaurant "Enfin" rechts: Bouchot-Muscheln in drei Variationen

Weltoffenheit im Elsass: Das "JY's"

Zeremonie mit köstlichem Ende: In seinem Restaurant „JY’s“ lässt Jean-Yves Schillinger Hummer vor den Augen der Gäste zubereiten. Der erhitzte Sud der Hummerkarkasse steigt nach oben, wo er ausgelöstes Hummerfleisch gemeinsam mit Möhren, Ingwer, Knoblauch, Zitronengras und Kräutern gart.

Für seine Weltoffenheit, dafür steht ganz prominent Jean-Yves Schillinger. Was für eine Lebensgeschichte dieser Mann hat: Sein Vater war der berühmte Koch Jean Schillinger, der im Feuer seines Restaurants umkam, als es Jungs aus Colmar in Brand setzten. Der Sohn floh daraufhin nach New York und kochte sich jenseits aller heimatlichen Aufmerksamkeit ins Herz des Big Apple, um dann in eben jenes Colmar zurückzukehren. Erst ins "Bord'Eau", zuletzt ins neue "JY's", benannt nach seinen Initialen. Seine Frau Kathia führt Regie in dem gläsernen Saal, der so modern ist wie Schillingers Kreationen. Asien spielt eine wichtige Rolle, Butter und Sahne hat der Koch längst durch Kokosmilch ersetzt. Herausragend gelingt das Tatar vom Thunfisch, Schillinger schneidet breite Streifen, die dadurch ihre Kraft bewahren, mariniert das alles in Wasabi und Erdnussöl und reibt obenauf Späne von Foiegras – eine Wucht.

Sein Signature-Gericht: der beste Hummer, den ich seit Langem gegessen habe. Die Patronin bringt eine doppelte Kanne an den Tisch, unten der Sud der Hummerkarkasse, darüber das ausgelöste Hummerfleisch mit Möhren, Ingwer, Knoblauch, Zitronengras und zahlreichen Kräutern. Dann wird der Gaskocher entzündet, der Sud steigt nach oben und gart den Hummer vor den Au­gen des Gastes im eigenen Saft. Anschließend wird die Bouillon serviert, mit Agnolotti vom Hummer, dazu kommt eine phänomenale Frühlingsrolle mit dem Sche­renfleisch. Und dann, als zweiter Gang, der mit Blüten umrankte Hummer auf Kräuternudeln – pur, zart und doch so voller Kraft, dass es wirklich sprachlos macht. Auch hier kommt wieder ein Wagen mit "mignar­dises" an den Tisch, lauter kleinen Desserts. Großzügig­keit und die Liebe zum Genuss begegnen dem Reisenden überall. Die meisten Dörfer sind nach Jahren des Brach­liegens wiederbelebt, die Zentren geschichtsträchtig sa­niert, und es gibt unzählige Delikatessengeschäfte: her­ausragende Bäcker, Fleischer, Weinboutiquen.

Obernai im Elsass: Ein Ort der Genüsse

Das Fach­werk­ Ensemble am Markt von Obernai sucht seinesgleichen. Doch im Idyll ruhen sich die Gastgeber nicht aus: Im "Parc Hotel" haben sie kürzlich eine der modernsten Wellnessoasen Frankreichs eröffnet: das "Yonaguni Spa", inspiriert von der fernöstlichen Badekultur, mit einem Labyrinth aus Pools und Erlebnisbädern, aufregenden Saunen und ei­nem eigenen Restaurant. Die Gäste kommen aus Deutschland, der Schweiz, aus Belgien – und aus dem Elsass. "Wir sind auf Monate aus­gebucht", sagt Geschäftsführer Maxime Wucher. "Weil die Leute in einer so traditionellen Region eben auch mal das Andere, das Besondere suchen – und das ist für uns Antrieb, nie stehenzubleiben."

links: Marktplatz von Obernau Mitte: Der Fluss Ill rechts: Das Straßburger Münster

Gourmetessen im "Les Plaisirs Gourmands"

Charlotte und Guillaume Scheer mit ihrem Restaurant „Les Plaisirs Gourmands“.

Unsere Reise geht weiter gen Norden vor allem wegen des Essens, denn Schiltigheim, Straßburgs Braue­rei­ Vorort, ist nun wirklich nicht das, was man eine gute Lage nennt. Eher Banlieue, städtische Randzone, als grü­ne Villengegend. Das Ehepaar Scheer kam trotzdem, weil es sich hier "les murs" leisten konnte, wie man hier­zulande sagt – die beiden konnten also ein altes Restau­rant kaufen. Guillaume Scheer hatte jahrelang in Paris gekocht, genau wie seine Frau Charlotte. Doch als der Chefkoch dort der jungen Mutter sagte, dass eine "ma­man" in der Küche nichts zu suchen hätte, war klar: Das Paar brauchte etwas Eigenes.

"Les Plaisirs Gourmands" heißt ihr Restaurant, der Gastraum ist hell und einladend, der Blick geht in den Garten, im Obergeschoss wohnt das Ehepaar mit der Tochter. "Chez nous", sagt Charlotte Scheer immer wie­der, denn der Gast ist hier wirklich bei ihnen zu Hause. Sie und ihr Mann setzten zunächst auf Mund­-zu-­Mund­-Propaganda, dann auf Internet­empfehlungen. Auf der Rangliste bei Tripadvisor steht das Restaurant auf Platz Fünf – weltweit. "Les Plaisirs Gourmands" ist auf Wo­chen ausgebucht, auch weil Scheer Hemmnisse vermei­den will, hier finden sich keine Schnecken auf der Kar­te, keine Innereien, nicht einmal Wild. Stattdessen ist alles sehr gefällig und sehr gut, quasi ein Gourmetessen für Anfänger. Das Rinderfilet etwa ist mit Majoran à point gegart, das Soufflé von Kartoffeln ein echter Hin­gucker, dazu gibt es eine würzige Schnittlauchjus und Erbsen sowie Pfifferlinge.

Noch mehr Spitzenküche finden Sie in unserer Übersicht Die besten Restaurants in Deutschland

Die berühmteste Weinstube des Elsass: "Chez Yvonne"

Das bringt auch die Gourmets aus Straßburg hier­her – und die Hauptstadt des Elsass hat viele Genusssüch­tige. Weil es hier einfach zur Tradition gehört, sonntags schick essen zu gehen. Denn was wäre dieses Straßburg ohne seine kleinen Gasthäuser mit den engen holzgetä­felten Räumen, die jeder hier nur Winstub nennt. "Chez Yvonne" ist wohl die berühmteste unter diesen Weinstu­ben, versteckt in einer Gasse unweit der Kathedrale. Sie war der Lieblingsort von Präsident Jacques Chirac, 1995 aß er hier mit Helmut Kohl den legendären Kalbskopf. So ein Lokal kann Legende werden – oder zur Abfer­tigungsstelle für Touristenmassen verkommen. Letzteres wurde hier gottlob verhindert: Die neuen Besitzer haben dem Ort mit den Holzstühlen und den sehr bunten Tisch­decken zum 150. Geburtstag in diesem Jahr ein zweites Leben eingehaucht – mit Chefkoch Serge Cutillo und seinem achtköpfigen Team, das täglich fast 400 Gäste versorgt. Keine Ahnung, wie er das macht, die Qualität jedenfalls leidet nicht darunter."Als ich anfing, wollte der Besitzer, dass ich nur tra­ditionelle Gerichte koche", sagt der Elsässer mit italie­nischen Vorfahren lachend, "doch ich habe mich einfach nicht daran gehalten."

In der Schweiz hatte er reichlich Erfahrung in der Spitzengastronomie gesammelt, und so nahm sich Cutillo die alten Gerichte des Elsass vor und interpretiert sie heute so neu und spannend, dass auch junge Leute wieder den Weg in die Winstub finden. So bereitet er elsässische Maki zu, gefüllt mit Entenstopfleber und Kraut, dazu lässt er einen Salat aus Karotten und eingelegten Zwiebeln servieren, alles schmeckt süf­fig und fein, ist mehr Gourmetkost als Gassenhauer. "Das bestellen selbst die Stammgäste", sagt Cutillo. Er weiß: So geht Veränderung – indem das Neue eben auch rich­tig gut ist. Doch das Know­how dieses Kochs spürt der Gast auch bei den großen Klassikern: Der Kalbskopf schmeckt zart und ausgewogen mit seiner kalten "sauce ravigote" aus Kräutern, die Leberknödel sind geradezu leicht und fluffig, der Pilzrahm dazu würde jedem gut­bürgerlichen Gasthaus zur Ehre gereichen. Genau wie der umsichtige Service, geführt von Maria Lowinska, einer älteren Dame aus Polen, die hier schon 20 Jahre arbeitet, ein freundlich­strenges Regiment führt und jeden gleich behandelt. Egal, ob Stammgast aus der Nachbarschaft oder Präsident der Republik.

links: Weinstube "Chez Yvonne" Mitte: 64-Grad-Ei in einer Käse-Veloué rechts: Koch Serge Cutillo

Partner