Limburg Restaurants: Geheimtipps in der belgischen Provinz
Ostflandern, 21 Jahre zurück, ein alter Hof an der Straße nach Kermt: Rohe, weiß gestrichene Balken tragen die Decke des Gastraums, in der offenen Küche schmurgelt, was im zwölf Hektar großen Garten gerade wächst. Ein knappes Dutzend selbst produzierter Essige lagert auf einem Bord voller Tonkrüge, Basis für die wenigen, oft sudartigen Saucen. Der Hausherr Roger Souvereyns gilt 1999 als bester Koch Flanderns, wenn nicht ganz Belgiens. Der sanfte Visionär, verliebt in flämische Antiquitäten und den Pappel-Horizont vor den Fenstern, holt die ländliche Region kulinarisch ins Rampenlicht. Heimat, Säure, farm to table: Die Küchentrümpfe des kommenden Jahrtausends, im „Scholteshof“ werden sie frühzeitig gespielt.
Ein Jahr später, auf dem Höhepunkt seines Ruhms, verkauft der heute 81-Jährige sein Lebenswerk. Er fühlt sich müde, ist gesundheitlich angeschlagen. Zwei Nachfolgern hintereinander wird der „Scholteshof“ wirtschaftlich das Genick brechen, dann ist endgültig Schluss. Seitdem verfällt das Anwesen, dornröschenhaft geschützt durch einen dauergrünen Blätterwall. Ab und zu kommen Ruinen-Stalker, ihre nervös sirrenden Kameradrohnen stören kurz die Friedhofsruhe. Doch die Steine, die Souvereyns einst ins kulinarisch stille Wasser des Herktals warf, sie haben große Kreise gebildet. Die Auswirkungen sind bis heute spürbar in der Gastronomie der Region.
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Geheimtipp "'T Hemelhuys" in Hasselt
Hasselt, knapp zehn Kilometer östlich von Limburg, ist Souvereyns Geburtsort. Bekannt ist die Provinzhauptstadt vorrangig für Genever, auch Jenever geschrieben (dazu kommen wir noch). Im „'t Hemelhuys“ wohnt man bei Liesbeth und Ann mitten in der Altstadt, von Antiquitäten umgeben. Fünf Zimmer bietet das winzige Hotel, im Hintergebäude gibt es noch drei kleine Apartments. Alle Räume strahlen erdverbundene Wärme aus – flämische Rustikalität, viel Holz, enge Stiegen, der schöne Kelim im Eingang stammt vom Antiquitätenmarkt in Tongern. Wie Souvereyns lieben die Gastgeberinnen Barockmusik, zu Kaffee und warmer Honigbrioche dringen Takte von Agostino Steffani durch den kleinen Frühstücksraum.
Geheimtipp "Just Eat Right" in Hasselt
Nur wenige Schritte sind es von hier zu John Weijnjes’ Restaurant „JER“ (kurz für „Just Eat Right“). Bis zum Schluss war er Sommelier von Souvereyns’ Wunderkammer, verantwortlich für 40 000 Flaschen, Schwerpunkte: Frankreich und Italien. „Ein Viertel davon haben wir jährlich nachgekauft“, erinnert er sich, „in Burgund haben sie Roger und mich daher jedes Mal fürstlich empfangen.“ Heute begrüßt Weijnjes seine Gäste in einem schmalen, salonartigen Erdgeschoss, gemütlich und intim. Auch sein Keller ist kleiner, ganz abgestimmt auf die Küche von Wim Schildermans. Überraschend fügt sich ein säurebetonter Grillo aus Sizilien zum Gänseleberparfait mit Apfelstreifen und einer Scheibe Armer Ritter. Die Wildente ruht noch kurz vor dem Servieren auf einem glimmenden Heubett, den Seehecht begleiten Spinat und Ringelblume – ein Kochstil, der originell und zugänglich zugleich ist. „Der ‚Scholteshof‘ hatte für mich eine besondere Dynamik“, erinnert sich Weijnjes, „außergewöhnlich inspirierend. Er konnte aber nur mit jemandem wie Souvereyns funktionieren.“ Man spürt die Verbundenheit, nicht nur angesichts des rohen, weiß gestrichenen Deckenbalkens, der das Restaurant in Limburg durchmisst.
Ansichten der Stadt Hasselt:
Am Markt steht das Fachwerkhaus von 1659 „Het Sweert“. Fast intim ist der Gastraum des Restaurants „JER“. Moderne Bauten wie das neue Rathaus übertrumpfen die alten Nachbarn auf spektakuläre Art
Geheimtipp "Stiemerheide" in Genk
Ländlich ist die Gegend jenseits der Stadtgrenze. Das Landhotel „Stiemerheide“ liegt etwas außerhalb von Genk, am Nationalpark Hoge Kempen. Belgisch-gemütlich ist es, also auch ein bisschen bieder, ideal für Tagungen und Familientreffen – gut, dass es nebenan einen Golfplatz gibt. Zwischen Hotel und Green durchbricht ein kastiges Ufo aus Beton und Licht das behäbige Bild. Stiemerheides Gourmetrestaurant „De Kristalijn“ kontert jede Betulichkeitserwartung mit seiner nicht nur architektonisch maximal offen gestalteten Küche. Schon Koen Somers erste Grüße von dort öffnen ein Fenster zur Welt: vegetarisches tataki (ganz kurz angebraten) aus getrockneter Wassermelone mit Schwarzkümmel, dazu ein orientalisches Dreierlei aus Süßkartoffel-Hummus-Espuma, Wildkräuter-LinsenSalat mit Ras el-Hanout und einem Beignet mit Harissa-Dip.
Naturwein vom Ätna für den Steinbutt
Somers Fasan zum Hauptgang ist dagegen belgische Klassik, ein Duo aus Brust und Keulenragout, gehüllt in ein Prachtkleid aus Lardo, Chicoréeblättern und Thymian. Die Weinbegleitung wiederum wirkt avantgardistisch – zum Steinbutt etwa ein 2017er „Munjebel bianco“ von Frank Cornelissen! Der Exilbelgier am Ätna ist ein heiß diskutierter Star der sizilianischen Naturweinszene, seine Garganega-Carricante-Cuvée wird durch viertägigen Schalenkontakt zum spannenden Gegengewicht zu Kürbiskern und Estragon am Fisch.
Geheimtipp Limburger Porzellan
Seinen wirtschaftlichen Aufstieg Anfang des 20. Jahrhunderts verdankte Genk dem Limburger Steinkohlebecken. Der Abbau ist längst Vergangenheit, auf dem Gelände des ehemaligen Winterslag Bergwerks produziert heute das Studio Pieter Stockmans. Sein zartes Porzellan glänzt auf den Tischen der Restaurants von Europas Spitzenköchen, bei Peter Goossens (Kruisem; Belgien) ebenso wie bei Christian Bau (Nennig; Mosel) und Mauro Colagreco (Menton; Côte d’Azur). „Den Anstoß gab Alain Ducasse“, erinnert sich Widukind Stockmans, Tochter des Gründers, „er hatte unsere Arbeiten im New Yorker MoMA gesehen.“ 2005 bestellte der Multigastronom ein neues Dessertservice für sein „Le Louis XV“ in MonteCarlo – 3600 Teile für gerade mal 40 Plätze. „Danach hat es noch mal fünf Jahre gedauert, bis Sergio Herman uns entdeckte.“ Dank dem niederländischen Star wurde das Limburger Porzellan auch bei deutschen Gourmets populär. Klassische Motivdekore sucht man vergebens, einprägsam ist das zartkühle Himmelblau vieler Stücke. Auch Privatkunden sind willkommen.
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De Kristalijn
Sehr idyllisch ist die Lage des Restaurants „De Kristalijn“ beim Städtchen Genk. Chefkoch Koen Somer holt sich seine Ideen aus aller Welt. Ein Carpaccio von Jakobsmuscheln (u. r.) würzt er mit Nashi-Birne und deren Vinaigrette
Geheimtipp "Slagmolen" in Oudsbergen bei Opglabbeek
Die nächste Etappe führt zu Bert Meewis. Im „Scholteshof“ stand er dreieinhalb Jahre am Herd, seine längste und wichtigste Station vor der Selbstständigkeit. Sein Restaurant Slagmolen bei Opglabbeek erreicht man auf schmalen Wegen zwischen Weiden und Tümpeln, vom Parkplatz schlängelt sich ein Gartenpfad zum Restaurant, vorbei an Stauden und Hortensien. Das Lokal ist wie üblich ausgebucht – mittags unter der Woche.
Slagmolen
Einen Monat im Voraus sollte man reservieren, wenn man im Restaurant „Slagmolen“ bei Genk Platz nehmen möchte. Was die Stunde in der Stadt Tongern geschlagen hat, zeigt die Uhr der Liebfrauen-Basilika am Grote Markt
Rebhuhn sous-vide? In den Ofen mit ihm!
Geheimtipp "Altermezzo" in Tongeren
Geheimtipp Wein aus Tongern
Die Statue des Keltenkönigs Ambiorix prägt den Marktplatz von Tongern. In der ältesten Stadt Belgiens bereitet Jo Grootaers im Restaurant „Altermezzo“ mit Perlhuhnbrust, Pastinaken und Shimeji-Pilzen heutige Genüsse
Geheimtipp Original Hasseltse Jenever
Nach außen still, im Innersten berührend
Dennoch hat sich der IT-Spezialist Vanderlinden vor drei Jahren mit seiner „Henri“ genannten Kupferbrennblase selbstständig gemacht. Anders als viele Massenproduzenten legt er Wert auf regionalen Bezug: „90 Prozent der Zutaten kommen aus einem Umkreis von 20 Kilometern“, erklärt er stolz. Seine Spezialität sind moutwijnen, im Holzfass gelagerte Malzbrände, die ursprünglichste Form des Jenevers. Eine Wand steht voll dieser Fässchen. „Josephine“, „Aleidis“, „Albertina“ – Vanderlinden hat ihnen die Namen ehemaliger Äbtissinnen des Klosters Herkenrode gegeben. Heute bezieht die Brennerei ihr Getreide von dort, wo schon Roger Souvereyns Ziegenkäse und Zicklein für den benachbarten „Scholteshof“ holte. Den abschließenden Drohnenblick auf dessen Wintergartentrümmer sparen wir uns, wohl wissend, dass Souvereyns’ flämisches Anwesen Vergangenheit ist. Mitstreiter und Nachfolger bleiben, um seine Geschichte fortzuschreiben – nicht als Porträt eines einzelnen Gastgebers, sondern als das einer nach außen stillen, im Innersten berührenden Region.