Vom Wetter gegerbt und dunkel sind das Holz der Tür und der Sitzbänke, die vor großen, weiß eingefassten Fenstern stehen, darüber spannt sich eine Markise in British Racing Green, passend zur Farbe der Fassade. „
The Eagle“ steht in Großbuchstaben über dem Eckeingang an der Londoner Farringdon Road. Auch drinnen prägt gemütliches Holz die Atmosphäre: Stühle und Bänke mit und ohne Lederbezug, alte Tische auf knarzenden Dielen, nichts passt so richtig zusammen.
Jeder Platz ist besetzt, der Raum dröhnt vom Stimmengewirr, dicht gedrängt stehen die Gäste – etwa gleich viel Männer wie Frauen – vor der Bar. Darüber hängen zehn Tafeln, wild mit Kreide beschrieben. „Schwarze-Bohnen-Suppe mit Kümmel und Chili“ steht dort, „Wild-Eintopf mit Rotwein und Kartoffelpüree“ oder „Gegrillter Glattbutt mit Linsen“. Immer wieder steigt einer der beiden Köche auf den Hocker hinter der Theke und wischt eines der Angebote weg, begleitet von einem kurzen „what?!“ des Publikums. An Bar und Tischen wird fröhlich getrunken, die Hauptsache jedoch, das wird schnell klar, das sind die Speisen, die täglich wechselnd neu an den Tafeln stehen.
Die Mischung aus Pub, Bar und Restaurant
Willkommen im ersten Gastropub der Welt! Mit ihrem „The Eagle“ im Londoner Stadtteil Clerkenwell, 20 Minuten nördlich der Themse, haben Michael Belben und David Eyre 1991 einen neuen Stil in die britische Pub-Kultur, in die kulinarische Historie und soziale Identität des Landes gebracht. Er findet bis heute Nachahmer und hat viele der rund 40 000 typisch englischen Kneipen in eine Mischung aus Pub, Bar und Restaurant mit Bier-, Wein- und Speisenangebot verwandelt.
Das typisch britische „Public Hause“ geht bis auf die römischen Besatzer der Antike zurück und bezeichnet eigentlich den gemütlichen Trinkhallen-Treffpunkt für Männer, die abends vor allem Bier konsumieren. Doch diese Einrichtung hat sich im Zuge der Gastropub-Revolution binnen 30 Jahren in eine kulinarische Destination für Frau, Mann und Kind entwickelt, für Foodies, Vegetarier oder Brutal-Lokal-Liebhaber. Ausgesuchte Weine und Craft-Biere ergänzen das übliche lokal Gebraute, und warme Speisen mit frischen, regionalen Zutaten, teils handwerklich raffiniert und mit Techniken aus aller Welt kreativ zubereitet, haben die einst typische Pub-Verpflegung ersetzt, eine oft eintönige Angelegenheit in Form warm gehaltener Pies oder des traditionellen ploughman’s lunch, also Brot, Käse und eingelegtes Gemüse.
From Taverns to Gastropubs
Doch wie konnte eine jahrhundertealte, von den Briten geliebte und in anderen Ländern kopierte Tradition eine neue Gestalt annehmen und trotzdem populär bleiben? Die
Cambridge-Professorin Christel Lane nennt in ihrem Werk „
From Taverns to Gastropubs“ Gründe: das Verschwinden der industriellen Arbeiterklasse und damit einhergehend das Wachstum einer Mittelschicht, die Wert auf gutes Essen legte, sich Fine-Dining-Restaurants jedoch selten leisten konnte. Weitere Faktoren zwangen ebenfalls zum Umdenken. Die Biersteuer, elfmal höher als in Deutschland, dämpfte den Konsum und machte so weitere Einnahmequellen nötig; dank dem 2007 auch in England durchgesetzten Rauchverbot wurde das Essen im Pub attraktiver. Und dann waren da noch die vielen gut ausgebildeten jungen Köche, die sich die Lokalmieten für Prestigerestaurants zum Start in die eigenständige Karriere nicht leisten konnten, während Pub-Lizenzen von den großen Brauereien immer einfacher zu bekommen waren.
Die Gerichte wurden feiner
Also folgten Michael Belben und David Eyre, die zuvor in Restaurants in
Covent Garden gearbeitet hatten und nach Selbstständigkeit strebten, Anfang der 90er-Jahre schlicht als Erste diesem Zeitgeist. „Das Timing hätte nicht besser sein können“, sagen sie, „wir sicherten uns einen der günstigen Mietverträge, strichen einmal über die Wände, trugen ein paar Weine und Rumsorten zusammen und servierten Suppe, Würstchen, Steak-Sandwich, Salat, Auflauf, ein Ofengericht … und ab ging’s!“ Nach drei Monaten konnten sie die Küche erweitern und professionell ausstatten, die Gerichte wurden feiner, die Zahl der Gäste stieg. „Der Pub ist Teil unserer Kultur, und sein Essen sollte komplexer sein als pork pie“, sagt heute Tom Norrington-Davies, einer von nur drei Küchenchefs in der Geschichte des „The Eagle“.
Wie ausgereift, eigenständig und auf hohem kulinarischem Niveau einige der public houses mittlerweile arbeiten, zeigen unsere zehn Gastropub-Favoriten auf den folgenden Seiten. Die Auswahl reicht von Seafood an der Küste über ein Pub-„Noma“ in North Yorkshire bis zu Englands bestem Koch Heston Blumenthal, der ebenfalls seinen Platz in der Pub-Kultur gefunden hat.