Emilia-Romagna: Restauranttipp Modena

Soziales Gastro-Projekt: Die stolzen Frauen von Modena

Inspiriert von Massimo Bottura, finden geflüchtete Frauen in einem Restaurant in Modena Heimat, Arbeit und eine Perspektive. Ein Gastro-Projekt für die Zukunft.
Text Anja Wasserbäch
Datum13.03.2025
Im „Roots“ werden die Gerichte in kleinen Schälchen serviert: kolumbianischer Kichererbsensalat, nigerianische Okraschoten-Salsa oder pakistanisches Curry mit zartem Hühnerfleisch.

Blutrote Granatapfelkerne toppen einen würzigen kolumbianischen Kichererbsensalat. Dazu gibt es Joghurt, eine nigerianische Okraschoten-Salsa, die schön scharf ist, und ein pakistanisches Curry mit zartem Hühnchen, begleitet von einem fluffigen Kokos-Reis. Die Speisen werden in kleinen Schälchen serviert und finden begeisterte Abnehmer unter den Gästen, die an diesem Abend in dem schummrig beleuchteten Lokal namens „Roots“ zusammensitzen. 

Die lässige Location, die man eher in einer Großstadt wie New York oder London vermuten würde, liegt in Modena in Norditalien. In der Küche herrscht eine ausgelassene Stimmung: Joy, Esther, Faithful, Margarita und Nazma tragen weiße T-Shirts, rote Schürzen, um ihre Köpfe haben sie bunte Turbane gebunden, aus der Box ertönen afrikanische Klänge, eine Frauenstimme singt. 

Massimo Bottura unterstützt das Roots

Das Restaurant „Roots“ in Modena ist modern eingerichtet und bietet mit seinen sanften Gelbtönen in der Farbgestaltung eine gemütliche Atmosphäre.

Das Restaurant „Roots“ ist ein besonderer Ort, nicht nur wegen der vielfältigen, überraschenden Speisen. Ausschließlich Frauen arbeiten in der Küche und im Service, geflüchtete Frauen, die ohne das Restaurant kaum eine Zukunftsperspektive hätten. Die Brigade an diesem Herbstabend stammt aus Nigeria, Kolumbien, Pakistan und Guinea, sie alle lieben Essen und leben in Modena. Das italienische Städtchen in der Emilia-Romagna ist die Heimat von Ferrari und Lamborghini, bekannt für Aceto Balsamico und Gnocco Fritto. Und es ist die des berühmten Kochs Massimo Bottura, der „Roots“ unterstützt. Zwei Frauen aus seinem unternehmerischen Kosmos haben das Projekt ins Leben gerufen. Bottura lobt es mit poetischen Worten. „Ich säe die Saat, wie schön ist es, die Blumen blühen zu sehen.“ 

Tatsächlich gedeiht das gemeinnützige Restaurant, das geflüchteten Frauen eine Möglichkeit bietet, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Erst im Juni wurden die Initiatorinnen Jessica Rosval und Caroline Caporossi in Las Vegas mit dem „50 Best Champions of Change“-Award ausgezeichnet. Die Frauen, die das viermonatige, bezahlte Ausbildungsprogramm absolvieren, kommen aus afrikanischen, südamerikanischen und osteuropäischen Ländern und sind zwischen 20 und 50 Jahre alt.

Gemeinsame Menüentwicklung aus kulinarischen Erinnerungen

In der „Roots“-Küche wird von den Köchinnen ein gemeinsames Menü aus ihren Heimatgerichten zusammengestellt.

„Wer bin ich?“ lautet das Thema der ersten Unterrichtsstunde im „Roots“. Jede Teilnehmerin kocht ein Gericht, das etwas über sie aussagt, ein Essen, das Emotionen auslöst, das sie an ihre Kindheit und Heimat erinnert. Aus diesen kulinarischen Erinnerungen entwickelt die Gruppe gemeinsam mit Jessica Rosval das Menü. Esther aus Nigeria fällt das leicht, sie hat schon als Kind ihrer Mutter in der Küche geholfen und sagt: „Kochen ist für mich Leben, ohne zu kochen könnte ich nicht sein.“ Die hellen Räume mit hohen Decken, warmen Farben und Terrazzoböden werden an manchen Tagen als Co-Working-Space genutzt. So wie heute Nachmittag. Frauen sitzen vor ihren Laptops, checken ihre Smartphones, trinken Kaffee.

Blessing, eine Absolventin des Programms, kommt vorbei. Jessica Rosval umarmt sie herzlich. Blessing, deren Name wörtlich übersetzt „Segen“ bedeutet, bekommt feuchte Augen. „‚Roots‘ ist alles für mich“, bekennt sie, „mein Leben, meine Heimat, mein Traum, meine Zukunft.“ Und Jessica sei ihr großes Vorbild.

Jessica Rosval: Eine Mentorin mit Mission

Die Gründerinnen des „Roots“-Projekts Jessica Rosval (l.) und Caroline Caporossi.

Die Kanadierin Rosval, ausgebildet in französisch geprägten Fine-Dining-Küchen, hat schon viel erlebt: gute Chefs, schlechte Chefs, viele Überstunden weit entfernt von jeglicher Work-Life-Balance. Inzwischen hat sie einen guten Mentor: „Massimo ist ein beeindruckendes Vorbild für Köche. Von ihm habe ich gelernt, dass man immer auch etwas Gutes tun kann. Egal, wie voll der Tag mit dem Alltagsgeschehen sonst ist.“ Neben ihrem Engagement für das Projekt arbeitet sie hauptberuflich als Küchenchefin des „Al Gatto Verde“, einem Restaurant von Bottura, in dem über Holzfeuer gekocht wird. Der große, über hundert Jahre alte Baum im Innenhof des Gebäudekomplexes, in dem das „Roots“ untergebracht ist, gilt als Symbol ihrer Arbeit: „Wir wollen, dass sich die Frauen hier zu Hause fühlen, dass sie starke Wurzeln entwickeln und wachsen können“, erklärt Rosval. Wenn sie über das „Roots“ spricht, ist sie nicht zu bremsen. Begeistert erzählt sie von dem Projekt, in dem es um Frauen geht, die mit vielen Benachteiligungen zu kämpfen haben und einem hohen Armutsrisiko ausgesetzt sind. Und welche Chancen sich diesen Frauen anschließend bieten. Eine dieser Frauen ist Blessing aus Nigeria. Die 34-Jährige wurde mit 14 Jahren Vollwaise, spielte Straßenhockey, um zu überleben, und erlitt quälende Übergriffe.

2021 kam sie nach Modena, über die genauen Umstände möchte sie nicht sprechen. „Ich musste viel Schmerz erleben“, sagt Blessing mit brüchiger Stimme. Mit „Roots“ entdeckte sie ihre Liebe fürs Backen. Heute arbeitet sie in Vollzeit in der Bäckerei der „Osteria Francescana“. Als sie einen unbefristeten Vertrag bekam, wurde im „Roots“ gefeiert. 

Viele Absolventinnen finden nach dem Programm eine Anstellung. Mehr als 80 Prozent haben inzwischen einen Job. Bis heute haben 30 Frauen aus 14 Ländern das Trainee-Programm absolviert. Die Frauen lernen nicht nur, wie man schnell Zwiebeln schneidet, brät, frittiert und backt, sondern auch, wie man einen Lebenslauf schreibt, Verträge aushandelt, im Team arbeitet, Konflikte löst und die Gehaltsabrechnung liest.

Es gibt Kurse in Kommunikation und Italienisch. Der viel zitierte „safe space“ – das ist die Küche im „Roots“. Hier fühlen sich die Frauen zugehörig. Hier dürfen Fehler gemacht werden. Das Ergebnis: Das Programm entlässt sie als selbstbewusste, stolze Frauen in die Welt.

www.rootsmodena.com

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