CA’ DEL BOSCO - ein Winzer-Porträt
Das Zugpferd der „bollicine“
An seinen Ufern schmiegen sich kleine Orte in die grüne Landschaft, vom Wohlstand dieser Gegend erzählt das viele grelle Türkis auf den Grundstücken: Man hat sein eigenes Schwimmbad vorm Haus. Bis ins frühe 20. Jahrhundert haben sie an diesen Gestaden noch schwitzend Torf gestochen. Zanella war für die Franciacorta über viele Jahre das Zugpferd, als unternehmerisches Vorbild und ab 2009 sechs Jahre auch als Präsident der Schutzgemeinschaft für den hiesigen Schaum-wein. Sein kühner Schlachtruf: „Wir werden eines Tages besser sein als die Champagne!“ Das kompakte Gebiet zwischen Brescia und Bergamo erfand sich mit dem Schaumwein neu. Heute sind über 100 Mitspieler auf dem Brett. Gesamtausstoß im Jahr: über 17 Millionen Flaschen der „bollicine“, der „Bläschen“, wie man hier sagt.
Der Ursprung der „ca’ del bosco“
Kaum zu glauben, dass Maurizio Zanella vor nunmehr 50 Jahren zur Spitze der Bewegung wurde: „Ich war das Sorgenkind, der Schrecken meiner Eltern, die Schule hat mich null interessiert. Ich war als Teenager fasziniert von den Revolten der Studenten in Paris und bei uns in Mailand, wo sie ‚Ho Ho Ho Chi Minh!‘ skandierten. Viel besser, als in der Schule zu hocken!“ Den aufmüpfigen Knaben suspendierten sie zwei Mal aus demselben Schuljahrgang. Der Vater außer sich, die Mutter bekümmert ihr unartiges Kind in Schutz nehmend. Zanella senior, ein viel beschäftigter Logistiker schickte seinen Sohn ins Exil in ihr kleines Waldhaus – italienisch eine „ca’ del bosco“. Diese bescheidene Keimzelle des Schaumwein-Imperiums mit dem kühn geschwungenen Dach steht noch, etwas geduckt abseits des Erfolgsbetriebs.
Die Erlösung
In Erbusco bei Brescia, gab es damals nichts als dichten Mischwald. Der Verwalter teilte den genervten Maurizio nach-mittags nach der Schule zur Arbeit in den Gemüsebeeten ein. Die Erlösung kam eines Tages in Gestalt einer Einladung zu einer Wein-Bildungsreise nach Frankreich, die der Vater nicht wahrnehmen konnte. Statt seiner durfte – grünes Licht der Mamma! – der 16-jährige Maurizio mit einer Gruppe lombardischer Adeliger im Reisebus, nach Burgund, Bordeaux, in die Champagne und sogar nach Paris. „Die Herren hatten alle selber Weinberge, hielten sich für die Größten.“
Der Busfahrer stoppte zunächst in Burgund, vor dem ersten professionellen Weinkeller, den Maurizio betreten sollte: Man war bei der Domaine de la Romanée-Conti! Auch die vermeintlichen Topwinzer hatten noch nie von dieser Legende gehört, fanden alles nur rückständig und unhygienisch, auch das Arbeitspferd im Weinberg. Maurizio kaufte sich als An-denken ein Dreier-Weinpaket. Er ließ sein gesamtes Reisebudget dafür springen, lieh sich die fehlenden 32 Francs im Bus.
„Dann mach es!“
Die Beute: Richebourg, Échezeaux und Grands Échezeaux. „Für mich waren diese Weine nur ein Souvenir, das ich aber unbedingt wollte, so, wie japanische Touristen in Venedig halt eine Schneekugel mit Gondel kaufen.“ Aber etwas hat diese Reise doch ausgelöst. Kein halbes Jahr später verkündete Zanella junior, er wolle Winzer werden, einen richtigen unterirdischen Keller bauen und großartigen Wein machen. Der Vater: „Dann mach es!“ „Aber wovon denn?“ „Geh zur Bank, lass dir einen Kredit geben!“ „Ich? Du machst Witze!“ „Versuch es wenigstens!“ Mit seiner Mutter, die für ihn bürgen sollte, saß er bald beim Bankdirektor, der ihm einen Kredit über 160 Millionen Lire (etwa 160 000 DM) zusagte. Die Mamma geschockt: „Das wird uns ruinieren!“ Annamaria Clementi setzte unter heißen Tränen ihre Unterschrift auf die Kreditverträge.
Der Newcomer
Für ihren Sohn aber galt ab sofort vor allem die Devise „think big!“. Dazu gehörten 13 Meter tiefe Ausschachtungen für den Keller. „Ich habe als Teenager und Laie Dinge geplant, die ich auf besagter Reise gesehen hatte.“ Allein die unter-irdische Kellerfläche, bei null begonnen, beträgt heute 25 000 Quadratmeter. „Wir haben seit 50 Jahren die Maurer im Haus,“ sagt Zanella trocken. Und auch für die Bagger gab und gibt es dauernd zu tun. „Mitte der 70er-Jahre hatte ich als Newcomer zu kämpfen, auch wenn da schon die Wende zu Qualitätsweinen in Italien anbrach. Die Scheinwerfer waren jedoch alle auf die Toskana und Piemont gerichtet. Aber Luigi Veronelli, der legendäre Weinautor, war mein väterlicher Freund, er hat mich damals sehr ermutigt, etwas Neues, spektakulär Gutes zu machen. Denn: Unter den Ersten bei etwas Neuem zu sein, hat er gesagt, das bringt dir schnell die nötige Aufmerksamkeit!"
Der Investor
Sein Vater habe ihn immer glauben lassen, dass er, Maurizio, das alles allein geschafft habe, auch, nach eigenen Ideen den ersten Bau des Weinguts zu organisieren. „Erst viel später habe ich begriffen, was er im Stillen gelenkt hat.“ Die ersten 30 Jahre Ca’ del Bosco haben im Grunde nur gekostet, zum Ärger des Seniors, der seinem Spross dann den Hahn zudrehen wollte. „Ich sollte mir einen potenten Investor suchen.“ Zwei Jahre haben sie darüber heftig gestritten, bis sich 1994 der große italienische Weinproduzent Santa Margherita fand, dem Maurizio und seine Schwester Emanuela den Betrieb und die Weinberge überschrieben, dabei allerdings die 60 besten Hektar als ihr Privateigentum behielten. Seitdem pumpt nun der Investor die nötigen Millionen in Signor Zanellas technisch hochfliegende Projekte. Zum Beispiel in eine Traubenwaschanlage.
Nach Reifelagerung noch jugendlich
Irritiert von Kupferspritzmittel-Rückständen (im biozertifizierten Anbau in regulierten Mengen erlaubt), die dem Aromen-spektrum der Weine Glanz und Tiefe nahmen, beschloss Zanella, mal bei den Lieferanten vorgewaschener Salate, wie sie in Supermärkten verkauft werden, zu recherchieren. Nach längerem Hin und Her entstanden bei Ca’ del Bosco ab 2008 schließlich drei riesige mehrstufige „Waschstraßen“, alles Hightech und gut zweieinhalb Millionen Euro teuer. Waschen, abduschen, sanft trocknen – aus derart sauberem Material entstehen besonders frische, reintönige Grund-weine für die verschiedenen Cuvées, die auch nach über zehn Jahren Reifelagerung noch springlebendig und jugendlich sind, so, wie Zanella seine Franciacorta haben will: mit viel weniger Schwefel, ohne Oxidationsnoten, ohne brotig-hefigen Ton, sondern fein und klar, fruchtbetont und ein bisschen forever young. Beiläufig zeigt Zanella auf ein Edelstahl-ungetüm, das so riesig ist, dass man als Besucher kein verständliches Foto davon machen kann: Ein Tank, der 300 000 Liter fasst!
100 Jahre zur Spitzenqualität
Darin kann man Grundweine gleich für 500 000 Flaschen auf einmal zusammenführen, ohne die Cuvée in verschie-denen Behältern portionsweise immer wieder neu zu mischen. Eben: nicht kleckern – klotzen. Man schließt bei Ca’ del Bosco bald die zweite Bepflanzung der Weinberge ab. „Uns fehlen,“ sinniert Zanella, „das Wissen und die Tradition, wie man sie in der Champagne schon so lange hat. Ich bin heute überzeugt: Es braucht 100 Jahre, bis du wirkliche Spitzen-qualität machst. Bis dahin pflanzt du als Neuling in diesem Metier dreimal alles neu, jede 30, 35 Jahre. In der zweiten Phase, wie wir jetzt, korrigierst du alle deine Anfangsfehler und feilst an deinem Stil, mit der dritten Runde näherst du dich endlich der Wahrheit – mit idealen Standorten für deine Rebsorten, den besten Klonen, präziser Kenntnis deiner Böden. Die dritte Pflanzung beginnt hier in etwa zehn Jahren. Das Ergebnis werde ich nicht mehr erleben“, bedauert der 66-Jährige.
Das alles war nie Arbeit, sondern Leidenschaft
Einen großen Coup landete Zanella 1979, als er per Anzeige einen Kellermeister suchte. Der Vater riet ihm: „Nimm den mit den schwarzen Fingernägeln!“ „Aber“, sagt Zanella, „ich habe natürlich schon aus Opposition den einzigen mit Krawatte eingestellt. Und nach einem Monat wieder entlassen.“ Es wurde dann einer mit schwarzen Fingernägeln: André Dubois, altgedient bei Moët & Chandon, blieb 12 Jahre bis zum Rentenalter bei Ca’ del Bosco – ohne je auch nur ein Wort Italienisch zu sprechen. Sein immenses Wissen hat Dubois seinem Assistenten Stefano Capelli trotzdem übermittelt, vier Jahre lang. Capelli wurde sein Nachfolger und ist nun auch schon seit 35 Jahren eine zentrale Figur im Betrieb. Ich habe das hier alles nie als Arbeit erlebt. Ca’ del Bosco war immer meine Priorität, meine Leidenschaft."
Spitzencuvée „Annamaria Clementi“. Welche Klasse!
Der Franciacorta, ein geschützter Begriff wie der Champagner, ist im Ausland noch immer ein Exot. Auch weil die Italiener 80 Prozent ihrer besten Schaumweine selbst trinken. „Das müssen wir mal ändern“, sagt Mr. Ca’ del Bosco, spießt ein Stück Hummer auf und schenkt nach von der herrlich kristallinen Spitzencuvée „Annamaria Clementi“. Welche Klasse! Maurizio hat sie seiner Mutter Annamaria, seiner Verbündeten gewidmet, wem denn auch sonst? Die Flasche trägt ein elegantes Jahrgangsbändchen aus mattschwarzer Seide um den Hals.
Maurizio Zanella
Geboren 1956 in Südtirol. Als er zwei Jahre alt ist, zieht die Familie nach Mailand. Seine erste Karriere macht er als Schulverweigerer. Der erste Keller von Ca’ del Bosco entsteht in den 70ern im Hinterland von Brescia unweit des Lago d’Iseo mithilfe eines Bankkredits. Maurizio ist noch nicht volljährig, plant und entscheidet zunächst vieles selbst – Ingenieure und Architekten kommen erst später dazu. Der Verwalter des Landhauses der Familie Zanella hilft bei der Weinbergsplanung. Autor und Kritiker Luigi Veronelli wird ein väterlicher Freund, der ihn mit kompetenten Ratgebern zusammenbringt.
Heute sind alle Weinberge von Ca’ del Bosco biozertifiziert. Die Schaumweine entstehen nach der klassischen Champagnermethode (zweite Gärung in der Flasche). Der „Einsteiger“ ist die Franciacorta Brut Cuvée Prestige für etwa € 30. Ca’ del Bosco produziert jährlich insgesamt 1,7 Millionen Flaschen von derzeit etwas über 240 Hektar. Eine Spezialität der Franciacorta ist der „Satèn“ mit geringerem Kohlensäure-Druck (4 Atü statt 6) – sehr schön etwa für beschwingte Nachmittage, zu rohem Fisch und leichten Vorspeisen. Ca’ del Bosco Satèn Jahrgangs-Brut kostet um € 46.
Drei Empfehlungen:
1 Die Spitzencuvée „Annamaria Clementi“ stammt von den ältesten Rebanlagen (um 30 Jahre) im Dreiklang von Chardonnay, Pinot Bianco und Pinot Nero, sie reift neun Jahre auf der Hefe. Herrliche Eleganz und Klarheit, jugendlich in der Anmutung. Der 2010er ist jetzt perfekt. Um € 100 (der Rosé um € 140)
2 Neben den vielen Varianten des schäumenden Franciacortas gibt es bei Ca’ del Bosco auch beachtliche stille Weine:
„Maurizio Zanella Rosso di Sebino“ ist ein sehr guter, würziger, etwas wilder Roter im klassischen Bordeaux-Mix aus Cabernet Sauvignon, Merlot und Cabernet Franc. Er trägt die Unterschrift des Chefs auf dem Etikett. Preis: etwa € 55
3 „Ca’ del Bosco Chardonnay“: Manche halten Chardonnays aus dem Hause Ca’ del Bosco für die besten ihrer Art in Italien. 2008 zum Beispiel betört mit Noten von Weihrauch, Passionsfrucht und Bleistift. Preis: etwa € 55