Jens Priewe: Trinkt mehr Wein!

Jens Priewe: Trinkt mehr Wein!

Der Trend zum alkoholfreien Leben nimmt zu - doch Weinkenner Jens Priewe hält nicht viel davon. In Zeiten, in denen immer mehr Menschen dem Wein abschwören, plädiert er für bewussten Genuss und kritisiert irreführende Informationen für Konsumenten.
Text Jens Priewe
Datum15.10.2024

Die Schauspielerin Sandra Hüllerhat kürzlich auf die Frage, welcher Wandel im vergangenen Jahr ihr Leben positiv beeinflusst habe, nicht etwa geantwortet: die Nominierung für den Oscar. Sie sagte: „Ich habe aufgehört, Alkohol zu trinken.“ Über die Gründe hat sie nicht gesprochen. Muss sie auch nicht. Ist Privatsache. Aber Hüller steht repräsentativ für eine Entwicklung, die sich in Deutschland, ja in der ganzen Welt breitmacht: weniger Wein zu trinken oder ganz auf den Alkohol zu verzichten. Die Entwicklung ist dramatisch und rüttelt an den Grundfesten des Marktes für alkoholische Getränke. 

„Wein ist durch und durch natürlich, schärft Nase und Zunge und fördert die Geselligkeit.“

- Jens Priewe

Brenner, Brauer, Winzer, Weinhändler – sie alle sind schwer betroffen von dem zunehmenden Verzicht der Menschen auf alles, was Alkohol enthält. Besonders bitter ist, dass der Bann der Konsumenten auch das Getränk trifft, das durch und durch natürlich ist, auf jegliche künstliche Geschmackszusätze verzichtet, Nase und Zunge schärft, Geselligkeit fördert, zu Gesprächen inspiriert: Wein.

Limonade statt Wein?

Als Hauptgrund vermuten Experten eingestiegenes Gesundheits- und Wellnessbewusstsein, das mit Weingenuss nicht kompatibel ist. Wenn, wie Befragungen zutage gefördert haben, jeder Zweite künftig seinen Weinkonsum reduzieren oder ganz einstellen würde, müssten zahlreiche Weingüter schließen und Bulldozer anrücken, um Weinberge platt zu machen. Wein würde in den Regalen der Supermärkte durch Mineralwasser, Limonaden, gesüßte Eistees und aromatisierte Fruchtsäfte verdrängt. Traurig. 

Irreführende Informationen verwirren Konsumenten

Besonders erzürnt mich, dass die steigende Bereitschaft so vieler Menschen zum Verzicht auf Wein durch irreführende Informationen stimuliert wird. Schlagzeilenwie „Alkohol auch in Maßen gefährlich“ oder „Das tägliche Glas Wein ist doch nicht gesund“, wie sie im Wochenrhythmus durch die Medien, auch die seriösen, geistern, ist durch die Ergebnisse wissenschaftlicher Untersuchungen in keiner Weise belegt. Gerade hat eine kanadische Studie herausgefunden, dass Alkoholkonsumenten genauso lange oder gar länger leben als Abstinenzler. Außerdem wird in den Studien fast nie zwischen Whisky-, Schnaps-, Bier- und Weintrinkern unterschieden. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) sei das nicht nötig. Alkohol sei Alkohol. Stimmt, aber nur chemisch.

Weinkonsum erfolgt meist bewusst

Wein wird zum Beispiel in kleinen Schlucken und meist zum Essen konsumiert, wodurch sich die Resorption des Alkohols verlangsamt. Zum Rausch kommt es bei Weintrinkern eher selten, während Schnaps- und Bierkonsumenten ganz andere Trinkmuster aufweisen, ohne dass dies in den Studien ihren Niederschlag findet. Darauf weist zum Beispiel Claudia Hammer hin, die wissenschaftliche Leiterin der Deutschen Weinakademie: „Das eindeutige Ergebnis Hunderter von Studien, die wir analysiert haben und die nicht von der Alkoholindustrie finanziert wurden, belegt, dass das Glas Wein, eingebunden in einen gesunden Lebensstil, für die meisten Erwachsenen mehr Vor- als Nachteile bringt.“ 

Wo führt der Gesundheitswahn hin?

Geradezu entsetzt bin ich, dass im Sommer auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung eingeknickt ist, die bisher immer den Standpunkt vertreten hatte, dass moderater Weingenuss der Gesundheit förderlich sei. Sie rät jetzt plötzlich ganz vom Alkohol ab: Es gäbe keine sichere Grenze zwischen gesund und ungesund. Finanziert wird die Gesellschaft übrigens zum größten Teil vom Bundesgesundheitsministerium. Dessen Minister Karl Lauterbach ist bekennender Rotweintrinker, und ich wette, dass er weder den Ernährungsexperten noch dem Beispiel Sandra Hüllers folgt und die zwei Glas, die er nach eigener Aussage regelmäßig trinkt, auf ein Glas reduziert oder gar dem Rotwein ganz abschwört.

Weinkenner Jens Priewe

Jens Priewe ist Autor, Journalist und Weinkenner. Für den Feinschmecker gibt er regelmäßig Einkaufstipps und empfiehlt seine Weine des Jahres.

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