Trend-Getränk Wermut
Wermut, so alt und jetzt neu entdeckt
Nostalgie ist noch immer der wichtigste Trend in der Barszene – neue spektakuläre Hotelbars wie im Fredericks in Berlin oder im Ritz Carlton in Wien feiern die Partykultur der 20er-Jahre. Passend dazu entdecken die Bartender klassische Cocktails wieder neu, etwa den „Sidecar“ (Cognac, Cointreau, Zitronensaft, erfunden um 1920), den „New Orleans Sazerac“ (Rye Whiskey und Bitterlikör, um 1880) oder den „Manhattan“ (Canadian Whisky, Roter Wermut, Angostura Bitter, um 1880). Und fast vergessene, lange belächelte Spirituosen erleben ein phänomenales Comeback. Nach dem jahrzehntelangen Hype um den Gin, dessen Wurzeln bis zu einem Erlass 1690 zurückgehen, scheint nun die Stunde des Wermuts gekommen: Neue Abfüllungen mit symbolträchtigen Namen belegen die Getränkeregale („Helmut“, „Werner“, „Merwut“, „Threemut“), und neben Winzern und Brennern entdecken auch Küchenchefs den herben Kräuterwein.
Was ist Wermut?
Wermut ist kein Destillat, sondern mit Kräutern aromatisierter Wein. Seinen Namen hat er vom Echten Wermutkraut (Artemisia Absinthium), das laut EU-Verordnung neben vielen anderen Zutaten wie Kräutern und Gewürzen unbedingt enthalten sein soll. Für einen stabilen Alkoholgehalt von rund 17 bis 18 Prozent gibt man noch eine Spirituose oder Neutralalkohol dazu sowie zur geschmacklichen Abrundung etwas Zucker. Mit dem Wermut verwandt ist der berüchtigte Absinth, das Mode- und Rauschgetränk der Belle Époque in Frankreich, der ebenfalls Wermutkraut enthält, aber auch sehr viel mehr Alkohol (heute meist 40 Volumenprozent, zu Zeiten der Absinth-Freunde wie Toulouse-Lautrec und Baudelaire oft über fünfzig).
Die Geschichte des Wermuts
Bekannt war Wermutwein schon in der Antike, er sollte durch seine bitteren Kräuter den Magen beruhigen, die Leber anregen, den Appetit fördern. Kommerziell erfolgreich wurde er dann vor über 230 Jahren, als Antonio Benedetto Carpano mit seinem „Vermouth“ erstmals in Turin Herren und Damen der vornehmen Gesellschaft begeisterte. Später folgten Francesco Cinzano, Ausano Ramazzotti und Alessandro Martini, deren Namen man noch heute in Bars und Supermarktregalen auf Etiketten begegnet. Viel interessanter als diese in Massen produzierten Wermutweine sind jedoch die neuen Sorten aus kleinen Manufakturen in Deutschland und Österreich.
Der Wermut-Test
Ob hinter der schicken Aufmachung und den griffigen Namen der neuen Wermuts auch Qualität steckt, prüften wir in der Redaktion mit Barchefin Lorena Böhm (Drilling, Hamburg). Beim Test von 20 aktuellen Sorten zeigte sich, dass ein guter Wein als Basis schon sehr viel für den Gesamteindruck ausmacht. Ferdinand’s etwa basiert auf dem Steillagen-Riesling des Weinguts Forstmeister Geltz-Zilliken von der Mosel, das auch auf dem Etikett ausgeflaggt wird. Für den Helmut wählen die Hamburger Gründer Markus Weiß und Nils Liedmann Weine vom Weingut Bergdolt-Reif & Nett aus der Pfalz. Unser Überraschungssieger Werner, mit zwei Sorten in den Top Five, ist das Handmade-Produkt des Winzers Frank Spiegel, Weingut Ellermann-Spiegel, ebenfalls aus der Pfalz.
Wermuts „first“
Besonders beeindruckt hat uns der nahezu perfekt abgerundete Kräutergeschmack des Wermuts first aus Österreich – ein Joint Venture des Brenners Hans Reisetbauer und des Winzers Josef Dockner aus Niederösterreich. Die langjährige Erfahrung eines hoch renommierten Obstbrenners und der ambitionierte Weißwein eines jungen Aufsteiger-Weinguts ergeben ein spannendes Getränk, das eine ideale Balance hält zwischen fruchtig-weinigen Aromen und leicht herben Kräuternoten. „Der ist zum Mixen eigentlich zu schade“, rät Barchefin Lorena Böhm beim Verkosten, „den ‚first‘ sollte man pur auf etwas Eis genießen.“
Und zwar am besten am frühen Abend vor dem Menü. Denn Wermut ist vor allem im Süden der klassische Aperitif. Von Mailand bis Rom genießt man zum eisgekühlten Wermut-Aperitivo kleinere Snacks und Antipasti, in Spanien Tapas. „Vermuterias“ bereiten dort dem herben Aperitif die große Bühne, legendär ist die Auswahl etwa in der Bar La Rosa in Palma de Mallorca mit über 60 Sorten Wermut samt Wermut-Zapfhahn.
Freude am Experimentieren
Gastronomen hierzulande sind erst dabei, das Potenzial des herben Würzweins für sich zu entdecken und zu nutzen. Dabei liegt es nahe, Wermut nicht nur anzubieten, sondern eigene Versionen auszuprobieren. Schließlich benötigt man dafür keine Destillieranlage, nur guten Grundwein, Kräuter und Freude am Experimentieren. Besonders jenen Restaurants, die dem Regionalitätstrend folgen, spielt der eigene Wermut in die Hände: Sie bieten ein hausgemachtes Getränk aus selbst gesammelten Kräutern an, und die Gäste freut es auch – Wermut ist eine preiswerte Alternative zum Champagner.
Wermut ohne Wermut
Die Österreicher sind dabei Vorreiter. Chefkoch Vitus Winkler vom Restaurant Kräuterreich in Sankt Veit (Salzburger Land) etwa hat über 30 Zutaten für seinen „Threemut“-Wermut kombiniert. Basis ist bei ihm ein Veltliner von Winzer Julius Klein. Das Weingut Sattlerhof in der Steiermark sitzt wiederum buchstäblich an der Quelle, verarbeitet wird „Wermutkraut aus eigenem Anbau“, wie Anna Sattler verrät, „direkt nach der Ernte verarbeiten wir das Kraut weiter, nach einem alten Familienrezept“.
Robert Stolz bei der Herstellung seines Wermuts
Pionier in Deutschland ist Küchenchef Robert Stolz in Plön. Für sein winziges Restaurant Stolz. Eat. Share. Live erntet er ohnehin eigenhändig Kräuter im Schlossgarten am Plöner See. Für den eigenen Wermut verzichtet Stolz allerdings auf das namensgebende Kraut, sondern wählt Alternativen: Weinraute, Eberraute, außerdem Thymian, Rosmarin, Majoran und Bohnenkraut.
Möglichst in der Sonne, dann wird er am besten
Insgesamt ein halbes Kilo Kräuter legt Stolz in sieben Liter Wein ein, in einem großen Glaskolben. Er wählt dazu einen Riesling vom Weingut Franzen an der Mosel, „der hat für mich die perfekte Mineralität und Fruchtsüße“. Etwas Zucker dazu, Neutralalkohol mit 70 Volumenprozent, dann das Ganze mindestens sieben Tage stehen lassen, „möglichst in der Sonne, dann wird er am besten“. Stolz serviert den Wermut in einem großen Wasserglas auf Eis mit Zitronenscheibe – fertig. „Das kommt bei den Gästen sehr gut an!“
Wermut als Aperitif
In Hamburg haben die jungen Betreiber des Restaurants Zeik ebenfalls erfolgreich eigenen Wermut angesetzt. Chefkoch Maurizio Oster und Restaurantleiter Tobias Greve bieten gleich drei Sorten an: trockenen weißen, halbtrockenen Rosé und kräftig fruchtigen, an einen italienischen Amaro erinnernden Roten, die sie zu 7,50 Euro pro Glas ausschenken.
Den ersten Wermut hatte Maurizio Osters Lebensgefährtin Johanna Stier, damals Restaurantleiterin, angesetzt: aus gutem Riesling, Wermutkraut aus dem Hochbeet, dazu Obstler und zur Abrundung Honig. Das heutige Rezept ist deutlich komplexer: „Wir nehmen als Basis Riesling aus Rheinhessen“, verrät Sommelier Tobias Greve, „bei Rosé und Rotem stattdessen Spätburgunder. Dazu geben wir Wermutkraut, Weinraute, Johannisbeerblätter, Dill, Bronzefenchel, Rosmarin, Thymian, Senfsaat, Fenchelsaat, Sternanis, Piment und Nelken, in der Pfanne angeröstet. Wir lassen es zwischen zwei und drei Wochen ruhen. Zu allen Sorten geben wir Obstler dazu.“ Der Wermut wird im Tumbler-Glas auf großen Eiskugeln serviert, dazu eine Orangenscheibe. „Wir bieten ihn den Gästen als Aperitif an, viele bestellen alle drei Wermutsorten und probieren sie durch.“
Für Oster und Greve spielt ein Aperitif im Restaurant eine wichtige Rolle. „Damit können wir die Gäste erst einmal abholen, sie zur Ruhe kommen lassen“, sagt Greve. „Bis zum ersten Wein dauert es sowieso, da die Küche auch erst einmal Amuse-Gueules und kleine Snacks schickt. Der Aperitif ist der Opener. Der Vorhang geht auf, die Ouvertüre beginnt!“
Das sind unsere Wermut-Empfehlungen
First Wermut Dry, 17,5 Vol.-%, 0,75 l
Exzellente Harmonie von Fruchtsüße und herben Kräuternoten.
€ 19,71, vinospirit.at
Werner RG White, 18 Vol.-%, 0,75 l
Florale und fruchtige Rieslingnoten, herb, mit sehr dezentem Wermutaroma.
€ 19,50, genuss7.de
Werner PN Red, 18 Vol.-%, 0,75 l
Sehr rund und schön, zu den Rotweinnoten fügen sich Nelke, Rosmarin, Wermutkraut. Trocken.
€ 19,50, genuss7.de
Helmut Rosé, 18 Vol.-%, 0,75 l
Kräftiger Rotwein-Stil, mit Noten von Wermut, Paprika, Physalis, Heidelbeeren.
€ 29,90, wacholder-express.de
Ferdinand´s White, 18 Vol.-%, 0,5 l
Die Weinaromen wirken leicht oxidativ: schöne Variante! Chinarinde, Pfirsich.
€ 16,90, myspirits.eu