Wein mit allen Sinnen
Die Flutkatastrophe
Bei den Nachrichten zur Flutkastastrophe im Ahrtal ist ein kleines Detail unbeachtet geblieben, das für Weingüter und Gastronomen existenziell ist: Der Rotweinwanderweg in den Weinbergen ist von der Flut unberührt und intakt. Und der lohnt sich: Er ist 35 Kilometer lang und schlängelt sich durch die Reblandschaft, mit spektakulären Aussichten ins Tal und über die Felslandschaften. Die Nachricht mag für manche deplatziert wirken, schließlich gibt es nur wenig andere Orte, an denen unbeschwerter Genuss in solch starkem Kontrast zur Umgebung steht wie derzeit im Ahrtal. Und doch gibt es keinen anderen Ort, an dem es aktuell wichtiger ist, dass genau das stattfindet: erlebte Weinkultur. Denn seit Monaten sind die Weingüter im Wiederaufbau, und es wird noch Jahre dauern, bis dieser abgeschlossen ist. Ob und wie sehr das gelingt, hängt nun vor allem auch von den Besuchern ab, denn die Region lebt seit Jahrzehnten vom Tourismus – und braucht diesen jetzt mehr denn je.
Der Rotweinwanderweg blieb erhalten
Die Landschaft ist spektakulär, die Hänge rahmen den Fluss ein, an den Steilhängen wächst der Wein. Wenn die Gäste nun ausbleiben, sind die Weingüter und Gastronomen doppelt getroffen. So stehen die erhaltenen Wanderwege vor allem für eines: Hoffnung. „In den Steillagen ist es so schön wie eh und je. Der Rotweinwanderweg ist erhalten, und das ist wichtig“, sagt Hans Stefan Steinheuer. Er führt ein Hotel mit Gasthaus und dem dazugehörigen Gourmetrestaurant „Zur alten Post“. Eine Adresse auf absolutem Spitzenniveau, die bereits zwei Wochen nach der Flut wieder öffnete. „Auch wenn die Zerstörung im Tal noch sichtbar ist, hat die Gastronomie sich wieder schön gemacht: In den Restaurants kann man sich wieder richtig wohlfühlen!“ Steinheuers Konzept vereint Regionales mit internationaler Hochküche, seine Wildgerichte sind exzellent. Neben seinem Hotel hat auch das Hotel Hohenzollern wieder geöffnet. Ein Haus, das ganz oben in den Weinbergen steht und somit von den Wassermassen komplett verschont blieb. Es ist der optimale Ausgangspunkt für den beliebten Rotweinwanderweg. Die Strecke kann man wahlweise in zwei Tagen an einem Wochenende zurücklegen – oder für weniger ambitionierte Wanderer – auch in Teil-Etappen genießen. Und eines hat sich durch die Flut nicht verändert: Die Spitzenspätburgunder aus dem Ahrtal schmecken einfach am besten an dem Ort, an dem sie entstanden sind. Und es gibt dazu sicher kein genussvolleres Souvenir für zu Hause.
Wein vor Ort erleben
Diese Faustregel gilt für allen Regionen, in denen Wein hergestellt wird: Wer Wein vor Ort erlebt, hat mehr vom Genuss. Das gilt nicht nur für das entspannende Glas Wein nach einem Radtouren- oder Trekking-Tag. Schließlich muss es nicht immer das Outdoor-Erlebnis für Fitnessfans sein. Auch Geschichts- und Kulturinteressierte finden in den Anbaugebieten Orte, die den Wein auf eindrucksvolle Art erlebbar machen. Vor allem, wenn historische Orte noch so gut erhalten sind wie im Kloster Eberbach.
Kloster Eberbach
Wer den Weinkeller des Klosters betritt, wenn die Kerzen angezündet sind, wird das so schnell nicht vergessen. Dann strahlt der Ort eine erhabene, fast magische Ruhe aus. Das kühle Gewölbe ist durch massive Säulen unterteilt. Bunte Fenster lassen ein wenig Licht hinein, das große Holzfässer aus der Dunkelheit schält. Das Spiel aus Licht und Schatten zieht nicht nur Besucher des Klosters Eberbach in den Bann, sondern auch Profis der Bild-Ästhetik. Immer wieder nutzen Filmteams den atmosphärischen historischen Weinkeller als Filmkulisse. Das bekannteste Werk, das hier gedreht wurde, ist sicherlich „Der Name der Rose“.
Doch der Keller hat nicht nur eine einzigartige Ausstrahlung. Er sorgte vor Jahrhunderten dafür, dass der Ort weltberühmt wurde. Denn der Wein, der hier ausgebaut wurde, hat das Kloster zu dem gemacht, was es heute ist. Weinbau und das Kloster Eberbach gehören seit Jahrhunderten untrennbar zusammen. Von Beginn an war der Weinbau Teil der alltäglichen Arbeiten im Klosterleben, und das extrem erfolgreich. Die Mönche ließen die Weine in großen Holzfässern reifen und brachten sie oft erst Jahre nach der Lese in den Verkauf – mit immensen Wertsteigerungen. Der Wein wurde zur wichtigsten Währung der Mönche. 1803 ging das Kloster in weltliche Hände über. Heute verwaltet eine Stiftung die Klosteranlage. Dort, wo früher die Mönche geschlafen haben, tagen heute Firmen. In der Basilika und im Klosterhof finden regelmäßige Konzerte statt. Beliebte Wanderwege führen am Kloster vorbei. Auch ein Restaurant und ein Hotel gehören zum Ensemble. Und eben das Weingut.
Mit 238 Hektar Anbaufläche ist Kloster Eberbach heute das größte Weingut Deutschlands. Es ist eine Herausforderung, mit dieser Größe Weine auf Topniveau zu produzieren, doch es gelingt. Das Weingut ist Gründungsmitglied des Verbands Deutscher Prädikatsweingüter. Heute sitzt Betriebsleiter Dieter Greiner auf einem Schatz unterschiedlicher Terroirs und Top-Lagen, die er gemeinsam mit Kellermeisterin Kathrin Puff zu Weinen mit Charakter werden lässt: ob mit dem einfachen, trinkfreudigen Gutswein oder den klar herausgearbeiteten Lagenweinen. Das Portfolio probiert man am besten nach einer Klosterführung in der angeschlossenen Vinothek. Doch der interessanteste Ort des Klosters befindet sich direkt darunter: das Weinarchiv des Klosters Eberbach.
Ein Gewölbe mit Regalen, die bis zur Decke ragen. In den Gitterboxen lagern und reifen Hunderttausende Weinflaschen, die von einer dicken Staubschicht bedeckt sind. Der älteste Wein stammt aus dem Jahr 1706. Es ist das weinhistorische Archiv der gesamten Region. In den Regalen liegen nicht nur klostereigene Weine, sondern auch Raritäten und Spezialitäten zahlreicher anderer Betriebe aus dem Rheingau und ganz Deutschland. Seit 1925 sind alle Jahrgänge lückenlos archiviert. Wie viele Flaschen hier lagern, weiß nur der Betriebsleiter Dieter Greiner. „Doch das gehört zu den am besten gehüteten Geheimnissen des Klosters”, sagt Greiner. Sein Vorgänger habe ihm die Information vererbt, er wird sie entsprechend hüten. Nur so viel sei verraten: Jedes Jahr kommen rund 1500 Flaschen neu dazu, ausschließlich die Spitzenweine schaffen es hier herunter.