Weintipps von Jens Priewe: Kopfkino hat Pause
Ständig wird Jens Priewe ins Kreuzverhör seiner Follower genommen, dabei will er Wein einfach mal nur genießen! Die aktuellen Weintipps des bekannten Weinjournalisten:
Jens Priewe empfiehlt
Der Weinwelt wäre viel erspart geblieben
Es gibt Momente, da möchte man am liebsten die Tür seines Büros hinter sich zumachen und abhauen. Irgendwohin. Florida, Mallorca, Dubai oder, in meinem Fall, aufs Sofa und einfach nur in Ruhe gelassen werden. Vielleicht sich dazu ein Glas Wein einschenken – aber bitte ohne den Druck, ihn genial, geil, grottenschlecht oder sonst wie finden zu müssen. Für Menschen, die sich beruflich mit Wein beschäftigen, ist es gar nicht einfach, das Kopfkino auszuschalten. „Sie halten den 2016er Mouton Rothschild bestimmt für überbewertet, oder?“, fragte der reichlich selbstbewusste Weinhändler heute Morgen. Und gestern ein Follower auf Facebook: „Würde mich mal interessieren, warum du die messerscharfe Präzision dieses Barolo nicht erkannt hast …“ Nee, habe ich nicht. Weingebildete Menschen passen genau auf, dass niemand anderes als sie und ihre Mitstreiter die Stammtischhoheit über Wein erlangen. Urteile, die von den eigenen abweichen, empfinden sie leicht als „skandalös“. So schrieb unlängst ein User namens „Hasi“ in einem Internet-Weinforum unter Bezug auf meine frühere Tätigkeit, ich hätte Wirtschaftsjournalist bleiben sollen, dann wäre der Weinwelt viel erspart geblieben. Wenn ich so etwas lese, springe ich von meinem Sofa auf, kehre sofort ins Büro zurück, fahre den Mac wieder hoch und denke: Lieber Hasi, Dir erspare ich gar nichts.
Geradlinig wie der Scheitel
Zum Beispiel nicht diesen Wein: den 2017er Corbières „Ambroise“ (1) vom Château du Vieux Parc. Aus dem wilden Süden Frankreichs kommend, besitzt er eine Klasse, wie man sie dort nicht an jeder Ecke findet. Der „Ambroise“ ist von disziplinierter Fülle und so glatt und geradlinig wie der Scheitel von Leonardo DiCaprio. Syrah und Mourvèdre sind die Traubensorten, und 2017 war in Südfrankreich ein großer Jahrgang. Klarer Kauftipp (€ 18,98 www.vandermeulen-wein.de).
Kein Anlass zur Beanstandung
Ob Hasi dieses Urteil verschmerzen kann, weiß ich nicht. Wenn nicht, hätte ich einen weiteren Roten auf dem Einkaufszettel. Er ist genauso gut, kommt aus Italien und ist etwas rustikaler. Die Rede ist vom 2019er Rosso Conero „San Lorenzo“ (2) aus dem Weingut Umani Ronchi. Der Wein wird aus der Montepulciano-Traube gewonnen, die Weine ergibt, die immer etwas stürmisch sind. Man würde sie wohl nicht zur Oscarverleihung ausschenken. Aber das Buffet nach der Verleihung des Deutschen Fernsehpreises würde er zweifellos aufwerten. Und dem Rechnungshof böte er auch keinen Anlass zur Beanstandung (€ 9,10 www.schelte.de).
Kenner wissen, was gemeint ist
Der dritte Rote auf meinem Zettel ist für ganz feine Zungen gedacht: ein Spätburgunder aus der Südpfalz (3). Der Winzer Johannes Jülg hat vom Jahrgang 2019 drei geniale Lagenweine gefüllt, die zu den zehn besten deutschen Spätburgundern gehören – nach meiner Meinung und der einiger (von mir) geschätzter Kollegen. Zwei dieser Weine sind bereits ausverkauft, vom dritten hält Jülg 60 Flaschen extra für FEINSCHMECKER-Leser zurück (€ 35 www.weingutjuelg.de). Die Trauben kommen übrigens aus dem Elsass, wo die Jülgs (und ein paar andere Pfälzer Weingüter auch) seit Generationen Reben besitzen. Durch eine Sondergenehmigung, die Adenauer und De Gaulle 1953 ausgehandelt hatten, dürfen die Weine als deutsche Spätburgunder auf den Markt kommen. Verboten haben die Behörden nur die Nennung der Lage, in diesem Fall „Kostert“. Auf dem Etikett steht „Sonnenberg“ und dahinter die kryptischen Buchstaben „KT“. Kenner wissen, was gemeint ist.
Einer der schönsten weißen Bordeaux
Nach so vielen feinen Roten brenne ich darauf, noch drei Weißweintipps loszuwerden. Alle drei sind geeignet, nervige Zeitgenossen auf Distanz zu halten. Der erste Weiße ist ein Klassiker aus Frankreich, den man auf vielen Weinkarten findet, aber selten auf der heimischen Tafel. Warum eigentlich? Der Carbonnieux blanc (4) ist einer den schönsten weißen Bordeaux, die es gibt, gekeltert aus Sauvignon und Sémillon. Die stilisierte Shell-Muschel auf dem Etikett deutet an, wozu man ihn am besten trinkt, wobei er möglichst ein paar Jahre reifen sollte. Da passt es gut, dass man bei Alpina Wein in Buchloe jetzt gerade mit dem Verkauf des vorgereiften 2014ers beginnt (€ 39 www.alpinawein.de).
Blitzsauber, hochmineralisch und so markant feinwürzig
Der zweite Tipp geht vor allem an die norddeutschen FEINSCHMECKER-Leser, weil diese österreichischen Weinen oft mit vornehmer Zurückhaltung begegnen. Beim 2019er Grünen Veltliner „Stein“ (5) vom Weingut der Stadt Krems ist diese Zurückhaltung unangebracht: ein begeisternder Wein, blitzsauber, hochmineralisch und so markant feinwürzig, dass man lange suchen muss, um einen derart feinen Tropfen in der benachbarten und ungleich berühmteren Wachau zu finden (€14,90 www.wir-winzer.de).
Zum menschlichen Genuss hochgradig geeignet
Der dritte Weiße ist ein heimischer Wein. Er kommt aus Württemberg und beweist, dass die dortigen Wingerter nicht nur Rotwein-Cuvées beherrschen. „Die Mauern von Schaubeck“ (6) heißt die Weißwein-Cuvée von Graf Adelmann, die 2019 zum ersten Mal komponiert wurde und nach meiner Meinung zum menschlichen Genuss hochgradig geeignet ist. Sie besteht aus Riesling, Grauburgunder und Weißburgunder, ist im großen Holzfass vergoren und im kleinen ausgebaut worden. „Ein neuer Weintyp“, erklärt Graf Felix mit berechtigtem Stolz. Mein Rat: unbedingt karaffieren (€ 19,50 www.graf-adelmann.com).
Jens Priewe
Weinexperte Jens Priewe ist stets dem guten Geschmack auf der Spur. Dabei findet er echte Schätze, jenseits von Namedropping und Etikettentrinkerei