Winzerin mit Mission
Jutta Ambrositsch
Jutta Ambrositsch kam aus Kärnten nach Wien, wurde Winzerin und bewirtschaftet hier heute etwas über vier Hektar Reb äche in den Weinbergen rund um Wien
Text: Christian Seiler | Fotos: Herbert Lehmann
Grinzing ist ein Ort oder ein Zustand, je nachdem. Der Ort befindet sich im Wiener Gemeindebezirk Döbling, dort, wo die Stadt langsam in die Weinberge hinaufklettert. Der Zustand hat mit der Wirkung des hier gekelterten Weins zu tun: In Heurigen und Buschenschanken sprechen zahllose Gäste diesem Wein vergnügt zu, oft zu den Klängen von Schrammelmusik.
Wien ist eine der wenigen Großstädte, auf deren Terrain Weinbau von nennenswertem Ertrag stattfindet. Auf den Hügelausläufern des Wienerwalds, den seit Jahrtausenden bewirtschafteten Hängen des Kahlen-, Nuss- und Bisambergs, wächst Wein und wird in den Kellern der traditionellen Winzerdörfer gekeltert. Grinzing ist dabei zum Synonym für Wien, Wein und Gesang geworden. Es ist so berühmt, dass Busladungen von Touristen aus aller Welt hier der Wiener Gemütlichkeit auf den Grund gehen wollen und dass es eine ganze Menge Geschick braucht, um zwischen Klischees und Touristenfallen dort zu landen, wo das Heurigenbüfett sorgfältig zubereitet wird, die Schrammelmusiker Geschmack haben und der Wein der Rede wert ist.
Die Winzerin Jutta Ambrositsch hat sich der Herkulesaufgabe angenommen, sich mit frischem Blick der Traditionen zu bemächtigen und sie einfühlsam in die Gegenwart zu heben. Sie stammt nicht aus Wien, sondern aus Kärnten und hat auch das Weinmachen erst spät gelernt. Die frühere Grafikerin fand Anfang der Nullerjahre solchen Gefallen an Grinzing und den Weinbergen, dass sie selbst Hand anlegen wollte.
Ambrositsch streunte durch das Mukenthal und über den Reisenberg, wie zwei der Grinzinger Rieden (Lagen) heißen. Sie betrachtete aufmerksam die oft kreuz und quer in die Hänge gezirkelten Zeilen mit Grünem Veltliner, Riesling und anderen Trauben. Sie lief über den Nussberg und die „Eiserne Hand“, einen steilen Anstieg, und notierte, wo ein Weingarten offensichtlich unbewirtschaftet war. Zu dieser Zeit gab es noch reichlich verwilderte Rebberge, das Wiener Weinwunder lag noch weit in der Zukunft.
Weine von Jutta Ambrositsch
Die Weine von Jutta Ambrositsch tragen Namen wie „Satellit“, ein gemischter Satz aus Stammersdorf.
Denn der Wiener Wein hat erst in den letzten zehn, zwanzig Jahren Karriere gemacht, nachdem er die längste Zeit einfach nur eine Selbstverständlichkeit im täglichen Leben gewesen war. Das Weinwissen der Wiener beschränkte sich auf die Unterscheidung von Rot- und Weißwein, und statt nach Jahrgängen wurde gefragt, ob der Wein aus aktueller Ernte stamme, ein „Heuriger“ sei oder „alt“. Aber die qualitativen Quantensprünge, die Österreichs Weinbau nach dem Weinskandal 1985 unternommen hat, machten auch vor Wien nicht halt. Und mittendrin war plötzlich Jutta Ambrositsch.
Sie setzte sich mit Ferdinand Hengl, dem Obmann des Grinzinger Weinbauvereins, in Verbindung und deponierte ihren Wunsch, einen Weinberg zu pachten. „Gib mir einen Nachmittag“, sagte er. „Dann hast du deinen Weinberg.“ So einfach ging es dann doch nicht, denn die bäuerliche Sturheit, wenn es um die Weitergabe von Land geht, herrscht natürlich auch in Wiens grünen Außenbezirken. Aber weil Hengl die begeisterte junge Frau nicht mit leeren Händen gehen lassen wollte, verpachtete er ihr eben ein paar Zeilen des eigenen Weingartens. Und so fuhr Ambrositsch 2004 ihre erste Ernte von ein paar Hundert Flaschen Wiener Riesling ein.
Dann intensivierte sich die Geschichte langsam, aber stetig. Hin und wieder bekam Jutta Ambrositsch Anrufe und Hinweise auf Weinberge, die zu haben wären. Sie vergrößerte ihren Betrieb um ausgesuchte Flächen im Mukenthal, auf dem Reisenberg und Nussberg. Heute beträgt die Fläche ihres Betriebs, der über das gesamte Wiener Weinbaugebiet verstreut ist, etwas über vier Hektar. Ihr Weine sind sehr geradlinig, frisch und intensiv, sie haben oft eine wilde Note, würzige Aromen und ein salziges Finish. Und kommen häufig von alten Reben, die als gemischter Satz gepflanzt wurden. Das heißt, verschiedenste Traubensorten – Grüner Veltliner, Riesling, Neuburger, insgesamt bis zu 20 Sorten – gedeihen in generöser Unordnung nebeneinander, werden gleichzeitig geerntet und verarbeitet. Die Mischung gibt dem Wein seinen eigenwilligen, ungezähmten Charakter und war ursprünglich eine Sicherheitsmaßnahme der Wiener Winzer. Ganz egal, welche Wetterkapriolen eine Saison auch schlagen mochte, wenigstens ein Teil der Trauben wurde immer reif.
Handarbeit spielt für die Winzerin eine wichtige Rolle, auch bei der Lese der Trauben.
Nach den ersten Jahrgängen, als Ambrositsch genug Wein dafür hatte, eröffnete sie ihren eigenen „Buschenschank in Residence“, das heißt: an einem Ort, wo sie nicht selbst ihren Wein produziert, sondern nur ausschenkt. Zuerst war das ein Kamaldulenserkloster in Sievering, seit einigen Jahren ist es ein aufgegebener Heurigenbetrieb der Familie Hengl, direkt dort, wo die Straßenbahnlinie 38 vom Wiener Schottentor in Grinzing ankommt. Dort exerzieren sie und ihr Mann Marco Kalchbrenner vor, wie eine Buschenschank im Idealfall aussehen kann: Mit geschmackvollen Speisen wie Geselchtem, Zunge, Schinken, Schweinsbraten, Frischkäse, herrlichem Brot und den kristallklaren Weinen von Ambrositsch, die so klangvolle Namen tragen wie Grüner Veltliner Reisenberg, Gemischter Satz Glockenturm oder Sieveringer Ringelspiel.
Anfangs wurde die Ankunft von Jutta Ambrositsch in Grinzing misstrauisch betrachtet, vielleicht auch weggelächelt. Aber inzwischen hat sich ihre „Buschenschank in Residence“ zum Treffpunkt der Locals entwickelt, und auf den Stehplätzen vor der Theke finden angeregte Gespräche statt. Über den Wein, über das Essen, über die Musik. Über die sensible Mischung kulinarischer und kultureller Komponenten, aus denen ein gelungenes Heurigenerlebnis nun einmal zusammengesetzt ist.
Vielleicht ist es Zufall, dass in Grinzing an manchen Orten wieder aufmerksamer ausgesteckt wird, das manche Wirte ihr Heurigenbüfett sorgfältiger bestücken und die Musik nicht den übelsten Kitschschrammlern überlassen wird, sondern den Feingeistern des neuen Wienerlieds. Aber wahrscheinlich hat es schon damit zu tun, dass jemand wie Jutta Ambrositsch sich sensibel und hartnäckig dafür interessiert, Grinzing, den Ort, sauber von Grinzing, dem Zustand, zu trennen.